Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2010: Forum

Sprenkel, Striche oder Punkte – Literarisches Übersetzen in der Praxis

Das Translators-in-Residence-Programm der Universität Tübingen

Die literarischen Übersetzerinnen Katharina Wolf-Grießhaber und Štefica Martić waren Mitte Juli als "Translators in Residence" am Slavischen Seminar der Universität Tübingen zu Gast. Im Rahmen des Translators-in-Residence-Programms kommen jedes Semester erfahrene literarische Übersetzer und Übersetzerinnen für einen Monat nach Tübingen und geben den Studierenden einen praktischen Übersetzungskurs. Der Schwerpunkt im zu Ende gehenden Semester lag auf den südslawischen Sprachen Bosnisch, Serbisch und Kroatisch.

Katharina Wolf-Grießhaber übersetzt seit über 30 Jahren Literatur ins Deutsche. Sie hat unter anderem Slavenka Drakulić, Danilo Kiš, und Dževad Karahasan übertragen. Als sie Mitte der 1980er Jahre nach Belgrad reiste, war die Stadt noch die Hauptstadt von Jugoslawien, und sie übersetzte aus dem Serbokroatischen. Heute fragt sie ihre Autoren, bevor ein Text erscheint, aus welcher Sprache sie übersetzt sein möchten, denn die Unterschiede zwischen Bosnisch, Serbisch und Kroatisch sind vor allem politischer Natur.

Štefica Martić ist in Bosnien aufgewachsen, hat in Belgrad studiert und viele Jahre am dortigen Goetheinstitut gelehrt. Mit dem Krieg musste die Kroatin nach Zagreb übersiedeln, wo sie heute als Übersetzerin deutschsprachiger Literatur lebt. Zu den von ihr übersetzten Autoren gehören Daniel Kehlmann, Judith Hermann und Katja Lange-Müller.

Die Erfahrungen aus dem Seminar „Literarisches Übersetzen Bosnisch/Kroatisch/Serbisch-Deutsch“ beschreibt die Studentin Maja Konstantinović wie folgt: „Mir ist besonders bewusst geworden, dass man nicht einfach frei übersetzen kann, wenn einem der Text selbst so besser gefallen würde. Wir hatten zum Beispiel einen Text, der aus der Perspektive eines Kindes geschildert wird. Da sind die Sätze sehr einfach, und es häufen sich Wiederholungen. In meiner ersten Variante hatte ich die Wiederholungen gestrichen und die einfachen Sätze zusammengefasst, das schien mir besser zu klingen. Frau Wolf-Grießhaber hat uns klar gemacht, dass wir dem Stil des Autors folgen müssen. Außerdem habe ich verstanden, dass man beim Übersetzen auch den begrifflichen Gehalt der deutschen Wörter prüfen muss. So haben wir zum Beispiel diskutiert, was „Sprenkel“ sind: Müssen das Punkte sein, oder versteht man darunter auch Striche? Eine Frage, für die man am besten den Duden konsultiert.“


Claudia Dathe