Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 3/2010: Leute
Pionier der Elektronenmikroskopie
Zum Tode von Professor Dr. Karl-Heinz Herrmann ein Nachruf von Dieter Kern und Erich Plies
Karl-Heinz Herrmann war ein Wissenschaftler, der sowohl in der industriellen Entwicklung als auch in der Grundlagenforschung, der angewandten Forschung und der Lehre mit nachhaltigem Erfolg tätig war. Die Elektronenoptik und die Elektronenmikroskopie waren seine Themen – und hier hat er wesentlich zum guten Ruf Deutschlands in aller Welt beigetragen.
Direkt nach Abschluss seines Physikstudiums an der Humboldt-Universität zu Berlin trat er im November 1950 in das Werkstoff-Hauptlaboratorium der Siemens und Halske AG ein. Sein Arbeitsgebiet war hier zunächst die Röntgen- und Kurzzeitphysik und mit einer zum damaligen Zeitpunkt herausragenden Arbeit mit dem Titel „Röntgenblitzuntersuchungen an Funkenstoßwellen in Gasen“ wurde er 1958 an der Freien Universität Berlin promoviert.
Schon vorher hatte er aber 1955 in das Laboratorium für Elektronenoptik der Siemens und Halske AG gewechselt, dessen Leitung er 1956 übernahm. Hier entstanden einige für die Elektronenmikroskopie bahnbrechende Neuerungen: Ein Röntgenanalysezusatz für das Transmissionselektronenmikroskop wurde entwickelt, der nun zusätzlich zur Morphologie und Kristallstruktur auch die chemische Zusammensetzung zu untersuchen ermöglichte, die Elektronenoptik wurde konsequent ingenieurmäßig entworfen – sowohl was ihre Funktion als auch die Konstruktion angeht – und eine Bildverstärkeranlage wurde entwickelt, die auf dem Elektronenmikroskopiekongress 1968 in Rom großes Aufsehen erregte. Schon 1966 hatte Herrmann die Leitung des Entwicklungslaboratoriums für Elektronenmikroskopie der Siemens AG übernommen. Das in dieser Zeit entstandene Durchstrahlungsmikroskop Elmiskop 101, das sowohl durch seine Leistungsfähigkeit als auch durch seine Bedienungsfreundlichkeit weltweit bekannt wurde, darf zurecht als Herrmanns Kind bezeichnet werden.
1971 wurde Karl-Heinz Herrmann von dem späteren Nobelpreisträger Ernst Ruska an das Institut für Elektronenmikroskopie des Fritz-Haber-Instituts der Max-Planck-Gesellschaft berufen. Hier konnte er sich mit den apparativen und methodischen Grundlagen der Elektronenmikroskopie befassen. Insbesondere galt sein Interesse den Methoden zur Bestimmung der Abbildungsfehler, der elektronischen Bildverstärkung und -aufzeichnung sowie der numerischen Bildverarbeitung. Es ging ihm darum, den Beitrag jedes einzelnen Elektrons zur Bildinformation in optimaler Weise zu erfassen.1978 habilitierte er sich an der Technischen Universität Berlin für das Fach Elektronenoptik und Elektronenmikroskopie.
Im Februar 1982 kam Karl-Heinz Herrmann als ordentlicher Professor für Angewandte Physik und Direktor des Instituts für Angewandte Physik an die Universität Tübingen. Er machte die höchstauflösende Elektronenmikroskopie zum Schwerpunkt der Arbeiten am Tübinger Institut und erreichte mit seiner Berufung einen deutlichen Ausbau der experimentellen Möglichkeiten, was sich in zahlreichen, von ihm betreuten Diplom- und Doktorarbeiten niederschlug. Ein Höhepunkt wurde 1987 erreicht, als Karl-Heinz Herrmann, Friedrich Lenz, Hannes Lichte und Gottfried Möllenstedt der Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft verliehen wurde, und zwar „für die Weiterentwicklung der Elektronenholographie“, also „für die Entwicklung eines Verfahrens, mit dem ein Tübinger Forscherteam zur internationalen Spitzengruppe vorgestoßen ist“, wie es bei der Körberstiftung nachzulesen ist. Aber nicht nur die Mikroskopie interessierte ihn. Als Mitte der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts sich die Überzeugung durchsetzte, dass die optische Lithographie für die Erzeugung der Halbleiterbauelemente bei Dimensionen von etwa 1 Tausendstel Millimeter ihre Grenze erreichen würde und dass die Lösung des Problems die Elektronenstrahllithographie sein könnte, aber dies wirtschaftlich nur mit vielen Elektronenstrahlen parallel geschehen könne, waren die Tübinger zentral an der Entwicklung eines Vielstrahlelektronenschreibers beteiligt. Auch die Rastersondenmikroskopie hatte schon frühzeitig Einzug ins Institut gehalten und z.B. durch extreme Miniaturisierung des Mikroskopaufbaus wurde der Grundstein für weitreichende Entwicklungen gelegt.
Prof. Herrmann war 1983/84 Dekan der Fakultät für Physik an Universität Tübingen und er hat sich intensiv um die Deutsche Gesellschaft für Elektronenmikroskopie (DGE) gekümmert, deren Erster Vorsitzender er war. 1997 ernannte ihn die DGE zu ihrem Ehrenmitglied, als „Physiker und Wissenschaftler, der sowohl durch industrielle Entwicklung leistungsfähiger Elektronenmikroskope als auch durch apparative und methodische Grundlagenforschung zur Bestimmung der Abbildungsfehler, zur elektronischen Bildaufzeichnung und numerischen Bildverarbeitung die Möglichkeiten der elektronenmikroskopischen Charakterisierung atomarer Strukturen wesentlich erweitert hat“.
Darüber hinaus kannten wir Karl-Heinz Herrmann auch als engagierten Lehrer, der neuen Ideen aufgeschlossen begegnete und stets mit Rat und Tat zur Hilfe bereit war, als kompetenten Kollegen, als Freund und Musiker, der nicht zuletzt an sein Cellospiel höchste Ansprüche stellte und einfach als feinen, liebenswerten Menschen. So werden wir ihn im Gedächtnis behalten.