Professorin Claudia Friedrich ist ständig auf der Suche nach Probanden. Und die können sich nicht selbst melden, denn bei den ersten Experimenten sollten sie am besten etwa drei Monate alt sein. Die 39-jährige Entwicklungspsychologin im Fachbereich Psychologie erforscht, wie Sprache im kognitiven System des menschlichen Gehirns entsteht und funktioniert. Bis zur Geburt haben Babys die Muttersprache bereits einige Monate lang gehört. Claudia Friedrich baut mit ihrem Forschungsteam zurzeit ein Labor auf, in dem sie über ein Elektroenzephalogramm (EEG) die Spannungsschwankungen an der Kopfoberfläche messen kann, die Auskunft über die Aktivität des Gehirns geben – das ist völlig ungefährlich und schmerzfrei. Die Forscherinnen belauschen sozusagen die Kommunikation der Nervenzellen, die sich auf elektrischen Wegen untereinander verständigen. „Eigentlich messen wir bei Babys und Kleinkindern einfach nur, worüber sie sich wundern“, sagt Claudia Friedrich verschmitzt. „Wenn ein Baby den Unterschied zwischen „l“ und „r“ hört, wundert es sich in einer Reihe von ‚la, la, la‘ über ein eingestreutes ‚ra‘. Die Überraschung spiegelt sich in der Hirnaktivität wider.“
Zuerst sei vor allem die Betonung wichtig, umreißt die Professorin die Entwicklung: Säuglinge deutschsprachiger Mütter lernen, dass die erste Silbe betont wird, französische Kinder sind dagegen an die Betonung der letzten Silbe gewöhnt wie in „Croissant“ oder „moment“. Wird den Babys die jeweils andere Sprache präsentiert, lässt sich die erhöhte Aufmerksamkeit im EEG messen. Erst später werden die eigentlichen Laute wichtig. Zunächst könnten Babys bei einer großen Bandbreite von Lauten sehr feine Unterschiede heraushören, sie seien „Experten für alle Sprachen“. Was in ihrer Muttersprache unwichtig ist, wird jedoch später ignoriert und verlernt. „Das Erlernen der Schriftsprache ist ein weiterer Einschnitt. Dann muss man zum Beispiel zwischen ‚n‘ und ‚m‘ genau unterscheiden, was bei ‚Gartem‘ statt ‚Garten‘ gesprochen kaum zu hören wäre.“
Claudia Friedrich forscht an der Schnittstelle zwischen Kognitions- und Sprachwissenschaft und findet an der Universität Tübingen zahlreiche Anknüpfungspunkte zur interdisziplinären Forschung: Das Institut für Psychologie habe eine kognitionswissenschaftliche Ausrichtung, die engen Beziehungen zur Sprachwissenschaft seien unter anderem über den Sonderforschungsbereich „Bedeutungskonstitution – Dynamik und Adaptivität sprachlicher Strukturen“ (SFB 833) gegeben.
Claudia Friedrich studierte bis 1999 Psychologie an der Technischen Universität in Berlin und promovierte 2003 am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. Danach forschte sie in der Sprachwissenschaft an der Universität Konstanz und in der Psychologie an der Universität Hamburg. Dort vertrat sie auch von 2010 bis 2012 den Lehrstuhl für Entwicklungspsychologie. Seit 2009 leitet die Forscherin eine Nachwuchsgruppe zum Spracherwerb im Rahmen der ‚Europäischen Exzellenzinitiative’. Im April 2013 wurde sie auf die Professur für Entwicklungspsychologie an die Universität Tübingen berufen.
Janna Eberhardt
Nähere Informationen für Eltern, die mit Kind beim Babylabor mitmachen möchten: http://www.pi.uni-tuebingen.de/arbeitsbereiche/entwicklungspsychologie/arbeitsbereich/baby-kinderlab-uni-tuebingen.html