Während der Krieg in Syrien alles zerstört, was ihm in die Quere kommt, wird die Universität Tübingen gelegentlich zu einer Art Zuflucht: Sie versucht, syrischen Wissenschaftlern die Möglichkeit zu geben, in Deutschland ihre Forschung weiter zu betreiben ‒ einer von vielen Grundsteinen, die zu Syriens Wiederaufbau nach dem Krieg beitragen sollen.
Der Archäologe und Doktorand Mohamad Fakhro ist einer der Forscher, die an der Universität Tübingen und insbesondere im Institut für die Kulturen des Alten Orients (IANES) einen sicheren Hafen gefunden haben. „Ich habe Glück, dass ich in Deutschland als Gastwissenschaftler arbeiten kann“, sagt der frühere stellvertretende Direktor des syrischen Nationalmuseums in Aleppo. „Dafür habe ich einen Teilzeit-Vertrag mit der Universität Tübingen abgeschlossen. Ich arbeite am Tell Halaf-Projekt.“ Durch die Teilzeit-Stelle bleibe ihm genügend Zeit, nebenher an seiner Promotion weiterzuarbeiten.
Mit dem Krieg hat sich der Schwerpunkt in Fakhros Doktorarbeit verschoben. „Ursprünglich habe ich über ein Gebäude geschrieben, das bei Ausgrabungen in Halaf freigelegt wurde“, erzählt er. „Inzwischen untersuche ich, wie Artefakte in Syrien geschützt werden können, und wie der Wiederaufbau der dortigen Museen nach dem Krieg aussehen kann. Ich schaue mir dafür an, welche Maßnahmen nach dem zweiten Weltkrieg in Berlin und Warschau ergriffen wurden. Von meinen Erkenntnissen können nicht nur Syrer, sondern auch die Kollegen im Irak profitieren.“
Tell Halaf ist ein Ausgrabungsort im nordwestlichen Syrien, der 1899 vom deutschen Archäologen Max von Oppenheim entdeckt wurde. Hier lebte vor tausenden von Jahren eine hochentwickelte Zivilisation, der sowohl Archäologen als auch Linguisten und Historiker eine große Bedeutung beimessen.
Mohamad Fakhro ist Deutschland schon sehr lange verbunden. Nach seinem Studium arbeitete er 2001 auf Ausgrabungen mit Tübinger Archäologen im syrischen Emar. Als Deutschland und Syrien 2006 in Tell Halaf gemeinsame Ausgrabungen starteten, gehörte er zum Team. Abgesehen von einer Pause während seines Militärdienstes im Jahr 2010 war er dabei ‒ bis der Krieg die Ausgrabungsarbeiten beendete. Er kennt Tell Halaf wie seine eigene Westentasche und ist heute an einem dreijährigen Projekt beteiligt, das die Ergebnisse der Feldarbeit dokumentiert.
Bei Ausgrabungen in Syrien und der Türkei arbeitete Fakhro mit dem Archäologen Mirko Novák zusammen, der damals am IANES forschte und inzwischen eine Professur an der Universität Bern innehat. Er ist heute Fakhros Doktorvater. Als Fakhro und seine Ehefrau Zelal nach ihrer Ankunft im Dezember 2014 über Monate hinweg auf Wohnungssuche waren, nahm er das Paar und ihre zwei kleinen Kinder kurzerhand in seiner Privatwohnung auf.
„Als der Krieg in Syrien andauerte, wurde die Not unserer Kollegen dort immer offensichtlicher“, sagt Professor Konrad Volk, Direktor des IANES. „Deshalb entschieden wir uns, Mohamad Fakhro bei der Ausreise zu unterstützen und ihm darüber hinaus zu ermöglichen, an seiner akademischen Qualifikation weiterzuarbeiten.“
Fakhro war nicht der erste syrische Wissenschaftler, den das Institut nach Deutschland holte. Professor Volk erzählt von einem weiteren Forscher, dessen Doktorarbeit er betreut hatte. „Gemeinsam mit meinen Tübinger Kollegen wollten wir Syrer für die akademische Ausbildung nach Deutschland holen, damit diese später ihre Expertise wieder in Syrien einbringen können.“ Dann sei der Krieg dazwischen gekommen. Nun wollen die Wissenschaftler des Instituts noch mehr syrischen Kollegen ermöglichen, ihre Arbeit unter sicheren Bedingungen fortzusetzen. „Wir konnten Fördergelder der Gerda Henkel Stiftung einwerben“, sagt Volk. „Mit diesen können wir den früheren Direktor des Nationalmuseums in Aleppo, Professor Youssef Kanjou, und seine Familie mit fünf Kindern nach Deutschland holen.“ Außerdem arbeite man daran, drei weiteren Wissenschaftlern den Weg nach Europa zu ebnen.
Dass Mohamad Fakhro gut unterkommen konnte, sei zum Großteil dem persönlichen Engagement Mirko Nováks zu verdanken, sagt Volk. Er selbst und sein Sekretariat hätten sich zudem in unkonventioneller Problemlösung geübt, was Verwaltungsfragen angehe. „Für dieses Programm waren die Anstrengung und der Einsatz vieler Menschen nötig.“ Da mehr Wissenschaftler erwartet würden, brauche man künftig verstärkt die Unterstützung der Universität, vor allem um Räume und Arbeitsmöglichkeiten für syrische Forscher zur Verfügung zu stellen.
Wenn Fakhro nicht mit seiner Promotion beschäftigt ist, hält er manchmal Vorträge über Syrien. „Ich habe schon in Rheinfelden, Steinen und meinem jetzigen Wohnort Grenzach gesprochen“, erzählt er. Es seien viele hundert Zuhörer gekommen, sogar in kleinen Orten. „Viele Syrer kommen derzeit nach Deutschland, die Leute hier wollen mehr über unser Land erfahren. Ich empfinde es als großes Glück, ihnen über die syrische Kultur und Geschichte berichten zu können.“
Manchmal hat er Heimweh, sagt Mohamad Fakhro. Dann macht er sich Sorgen um seine Familie und Freunde in Syrien. Hält er die innere Unruhe gar nicht mehr aus, muss er an die frische Luft. Dann läuft und läuft er, ganz so, wie er es zuhause in Aleppo getan hat, wenn er die Entspannung suchte.
Taryn Toro