Zittrige Hände, steife Muskeln und verlangsamte Bewegungen – das sind die typischen Symptome der Parkinsonerkrankung. Rund 220.000 Personen sind in Deutschland von der Krankheit betroffen, die zunehmend mit steigendem Alter auftritt. Sie beruht auf dem Verlust von Nervenzellen im Gehirn und ist bislang nicht heilbar. Ein Forschungsteam um Dr. Dr. Michela Deleidi am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung und der Universität Tübingen berichtet nun, dass der Wirkstoff Nicotinamid-Ribosid einen möglichen Therapieansatz darstellen könnte. Es handelt sich dabei um eine Form des Vitamins B3. Erste Ergebnisse im Labor waren vielversprechend: „Das Mittel kurbelt den defekten Energiestoffwechsel in betroffenen Nervenzellen wieder an und schützt sie vor dem Absterben“, erklärt Deleidi. Die Wissenschaftler veröffentlichten die Studie in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Cell Reports.
Wie Parkinson entsteht, ist noch nicht genau geklärt. Klar ist, dass zunehmend dopaminhaltige Nervenzellen in der Region der schwarzen Substanz (Substantia nigra) im Gehirn absterben. In jüngster Zeit festigt sich die Erkenntnis, dass in den betroffenen Nervenzellen die Mitochondrien beschädigt sind. Mitochondrien funktionieren wie kleine Kraftwerke in den Zellen und sind für die Produktion von Energie verantwortlich. Sind sie defekt, kann das zum Tod der Zelle führen. „In unserer Studie wollten wir untersuchen, ob die beschädigten Mitochondrien nur eine Begleiterscheinung oder Auslöser der Parkinsonerkrankung sind“, sagt Studienleiterin Deleidi.
Um das herauszufinden, entnahmen die Forscher in einer internationalen Zusammenarbeit Zellen aus der Haut von Parkinsonpatienten. Diese stimulierten sie so, dass zunächst Stammzellen aus ihnen entstanden, die sich dann zu Nervenzellen weiterentwickelten. Die Zellen hatten einen Defekt im sogenannten GBA-Gen, dem häufigsten Risikogen für Parkinson. Wie bei „echten“ Nervenzellen waren die Funktion ihrer Mitochondrien und ihre Energieproduktion beeinträchtigt.
Die Wissenschaftler versuchten nun, die Bildung von neuen Mitochondrien anzuregen. Dabei spielt das Coenzym NAD eine wichtige Rolle. Die Wissenschaftler fütterten die Zellen mit Nicotinamid-Ribosid, einer Form des Vitamins B3 und Vorstufe des Coenzyms. Dadurch stieg die Konzentration von NAD in den Zellen an. Das Ergebnis: „Der Energiehaushalt in den Nervenzellen verbesserte sich stark. Es bildeten sich neue Mitochondrien und die Energieproduktion erhöhte sich.“
Um die Wirkung des Vitamins in einem lebenden Organismus zu beobachten, untersuchten die Forscher im nächsten Schritt Fliegen mit einem GBA-Gendefekt. Wie bei Parkinsonpatienten sterben bei ihnen dopaminreiche Nervenzellen ab und sie haben mit steigendem Alter zunehmend Probleme beim Laufen und Klettern. Deleidi und ihre Kollegen teilten die Fliegen in zwei Gruppen. Bei einer reicherten sie das Futter mit dem Vitamin an, bei der anderen nicht. „Der Wirkstoff erzielte auch hier eine positive Wirkung: Bei den behandelten Fliegen starben viel weniger Nervenzellen ab als bei den unbehandelten.“ Darüber hinaus blieb bei ihnen das Bewegungsvermögen länger erhalten.
„Unsere Ergebnisse legen nahe, dass der Verlust von Mitochondrien tatsächlich eine bedeutende Rolle bei der Entstehung von Parkinson spielt“, fasst Deleidi zusammen. „Die Gabe von Nicotinamid-Ribosid könnte ein neuer Therapieansatz sein.“ Ob das Vitamin tatsächlich bei Parkinson helfen kann, müssen weitere Studien zeigen. In Zukunft planen die Forscher, den Wirkstoff an Patienten zu untersuchen. „Andere Studien haben gezeigt, dass er von gesunden Versuchspersonen gut vertragen wird und auch bei ihnen den Energiestoffwechsel ankurbelt“, so Deleidi.
Schöndorf DC et al. (2018): “The NAD+ precursor, nicotinamide riboside, rescues mitochondrial defects and neuronal loss in iPSC and fly models of Parkinson’s disease“, Cell Reports, 23(10) doi: 10.1016/j.celrep.2018.05.009
Mareike Kardinal
Dr. Dr. Michela Deleidi
Hertie-Institut für klinische Hirnforschung
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen
Universität Tübingen