Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2019: Forschung
ELLIS: Europäische Initiative für die Forschung zu Maschinellem Lernen
Stärkere Zusammenarbeit von europäischen Forschungszentren nötig
Im April letzten Jahres haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Israel, den Niederlanden und der Schweiz in einem offenen Brief die Schaffung eines europäischen Forschungsinstituts für Maschinelles Lernen gefordert. Europa drohe sonst in der Forschung zu Maschinellem Lernen im Rahmen der technologischen und gesellschaftlichen Revolution der künstlichen Intelligenz abgehängt zu werden. Um dem entgegenzuwirken, müssten die europäischen Forschungszentren in diesem Bereich ihre Zusammenarbeit deutlich verstärken. Ende 2018 haben die Forscherinnen und Forscher in einem ersten Schritt die ELLIS Society (ELLIS = Europäisches Labor für lernende und intelligente Systeme) gegründet, die dem Ganzen einen formalen Rahmen gibt. In Tübingen wird die Initiative federführend vom BMBF-geförderten Kompetenzzentrum für Maschinelles Lernen vorangetrieben. Neben Prof. Dr. Bernhard Schölkopf vom Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme und Prof. Dr. Matthias Bethge von der Universität Tübingen waren bisher bei der konzeptionellen Ausarbeitung von ELLIS Dr. Wieland Brendel (Universität Tübingen), Dr. Alexander Ecker (Universität Tübingen) und Prof. Dr. Andreas Geiger, (Universität Tübingen und Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme), maßgeblich beteiligt. Johannes Baral sprach mit Alexander Ecker über den aktuellen Stand des Projekts.
Wie weit fortgeschritten ist der Aufbau von ELLIS inzwischen?
Die Gründung der ELLIS Society im Dezember letzten Jahres am Rande der NeurIPS Konferenz in Montreal war ein wichtiger Schritt. Seitdem haben wir an der Implementierung konkreter Maßnahmen, wie zum Beispiel einem gemeinsamen Fellow- und Doktorandenprogramm gearbeitet, zu deren Finanzierung auch schon klare Absichtserklärungen vorliegen.
Welche Institutionen sind maßgeblich beteiligt?
Der Fokus liegt momentan darauf, die besten Leute in Europa in einem Netzwerk zusammenzubringen. Welche Institutionen oder Standorte dann in welcher Form genau beteiligt sein werden, ist noch offen. In jedem Fall möchten wir möglichst gute Kriterien definieren, nach denen die ELLIS Standorte gebaut werden sollen. Das Tübinger Cyber Valley hat sicher großes Potenzial, hier eine wichtige Rolle zu spielen.
Welches sind denn momentan die drängendsten Fragestellungen im Bereich des Maschinellen Lernens?
Im Tübinger Kompetenzzentrum für Maschinelles Lernen haben wir das Thema „Robustheit“ besonders betont, was auch eng verwandt ist mit der Frage der Interpretierbarkeit und Daten-Effizienz von Lernalgorithmen. Aktuelle lernende Systeme können nicht gut mit Veränderungen der Umgebung oder neuen Situationen umgehen. Außerdem lassen sie sich durch minimale, gezielte Störungen komplett aus dem Konzept bringen. Dafür müssen wir baldmöglichst gute Lösungen finden. Außerdem benötigen aktuelle Systeme noch große Mengen an Trainingsdaten, also eine große Anzahl von Beispielen, bei denen man zum Eingangssignal außerdem noch das gewünschte Ergebnis von Hand vorgegeben hat. Das macht die Verfahren sehr aufwändig und schließt oft Anwendungen in Bereichen aus, wo keine große Anzahl Trainingsdaten zur Verfügung steht, wie etwa bei vielen medizinischen Anwendungen. Schließlich sind natürlich Privatsphäre und Datenschutz noch wichtige Themen, die ja auch in der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit Maschinellem Lernen und Künstlicher Intelligenz viel diskutiert werden. Eine immer wichtiger werdende Frage ist hierbei, wie man personenbezogene Daten in lernenden Systemen nutzen kann, ohne dabei Wissen über die Privatsphäre des Einzelnen preiszugeben.
Wie geht es nun weiter?
Einige Komponenten sind auf einer relativ kurzen Zeitskala realisierbar. Hier laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. So arbeiten wir am Aufbau des europäischen Promotionsstudiums in Maschinellem Lernen, aufbauend auf Strukturen wie dem Center for Learning Systems der ETH Zürich und dem MPI für Intelligente Systeme beziehungsweise Stipendien in Form der Cambridge-Tübingen PhD Fellowships in Maschinellem Lernen. Außerdem bauen wir in Kollaboration mit dem kanadischen CIFAR-Programm „Learning in Machines and Brains“ ein Fellow-Netzwerk auf, um die besten Köpfe in Europa zu vernetzen, Austausch zu fördern, regelmäßige Workshops abzuhalten und die Kooperation zu vertiefen. Eine wichtige Hilfe für die europaweite Zusammenarbeit ist natürlich auch eine gemeinsame Rechnerinfrastruktur. Auch daran wird gearbeitet. Langfristig streben wir formale Strukturen nach dem Vorbild des European Molecular Biology Laboratory (EMBL) an. Bis dieses Ziel erreicht ist, wird aber noch viel Arbeit nötig sein.
Webseite des Europäischen Labors für lernende und intelligente Systeme (ELLIS)