Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2020: Alumni Tübingen

„Kunst kann Herzen öffnen“

Alumna Nicole Fritz über Joseph Beuys, ihre Arbeit als Museumsdirektorin der Kunsthalle Tübingen und das Konzipieren von Ausstellungen

Dr. Nicole Fritz studierte an der Universität Tübingen Kunstgeschichte und Empirische Kulturwissenschaft, wo sie 2002 auch promovierte. 

Von 2002 bis 2004 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden tätig, 2005 dann als Kunstkoordinatorin an der Akademie Schloss Solitude. 2006 bis 2007 arbeitete sie als Projektkoordinatorin und Co-Kuratorin des Ausstellungsprojektes Kunst lebt! Die Welt mit anderen Augen sehen für das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg. Nach weiteren beruflichen Stationen, unter anderem als Kuratorin an der Kunsthalle Krems, wurde sie 2011 Leiterin des damals noch im Bau befindlichen Kunstmuseums Ravensburg. Das Museum wurde 2013 eröffnet und 2015 von der deutschen Sektion des Internationalen Kritikerverbandes (AICA) mit dem Preis Museum des Jahres ausgezeichnet.

Seit Januar 2018 leitet Fritz als Direktorin die Tübinger Kunsthalle. Das Interview führte Simona Steeger.

Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Ihrem Studium in Tübingen?

IEin intensives Eintauchen in die geistige Welt: Ich fühlte mich dazu sehr hingezogen, hatte Freude daran, den intellektuellen Fragestellungen nachzugehen, im eigenen Kopf zu leben; Ich habe viel Zeit in Bibliotheken und beim Schreiben verbracht und habe es sehr genossen, geistige Räume zu durchmessen. Gleichzeitig hatte ich aber auch einen Drang danach, mich mit zeitgenössischer Kunst zu beschäftigen. So habe ich sehr früh angefangen, für eine Stadtzeitung in Stuttgart über Gegenwartskunst zu schreiben und kam schnell in Kontakt mit Künstlerinnen und Künstlern. Mir war es auch immer wichtig, die Erfahrungen, die ich im Kunstsystem in der Praxis gemacht habe, dann auch theoretisch für mich zu klären. Das ist eigentlich bis heute so geblieben. Irgendwann wollte ich dann aber dorthin, wo das Zentrum der Kunst war. Deshalb bin ich nach dem Studium erstmal nach London gegangen und habe dort den Boom der Young British Art vor Ort miterlebt. Erst zwei Jahre später bin ich dann nach Tübingen zurückgekehrt und habe über Joseph Beuys und den Aberglauben promoviert.

Wieso haben Sie sich für ein Studium der Kunstgeschichte in Tübingen entschieden?

In Tübingen konnte ich mein Interesse für die Kunstgeschichte und die Alltagskultur verbinden, deshalb habe ich Kunstgeschichte und Empirische Kulturwissenschaften als zwei gleichwertige Hauptfächer gewählt. Für mich war Kunst von Anfang an nicht als reine Stilgeschichte interessant: Ich wollte Kunst als Ausdruck des Menschen, als kreative Energie verstehen. Ich bin dankbar, dass ich hier selbständig meinen eigenen Standpunkt entwickeln konnte. Einen guten Lehrer fand ich in Professor Dr. Gottfried Korff, der damals am Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft lehrte. Er war auch Wissenschaftler und Museumsmann. Von ihm durfte ich viel lernen. 

Was fasziniert Sie an Kunst und haben Sie einen Lieblingskünstler?

Mich fasziniert Kunst, weil sie eine nichtsprachliche Ausdrucksform ist. Sie spricht über unsere Sinne den ganzen Menschen an und ermöglicht uns, mit uns selbst und mit anderen in Resonanz zu gehen. Gerade in einer von Digitalisierung geprägten Welt bietet der Umgang mit Kunstwerken eine Möglichkeit, ein authentisches, unmittelbares Erlebnis zu kreieren. Darin liegt das Potential, das alte aber auch Gegenwartskunst zu bieten hat: Sie kann Herzen öffnen und unseren Gedanken Flügel verleihen. Dieses Potential der Kunst an möglichst viele Menschen zu vermitteln, ist mir ein großes Anliegen.

Generell bin ich am künstlerischen Ausdruck an sich interessiert und bin da sehr offen und auch nicht festgelegt auf einen individuellen Stil. Ein Künstler, der mich jedoch seit meiner Jugend fasziniert und begleitet hat und zu dem ich immer wieder zurückkehre, ist Joseph Beuys. Durch das Werk von Beuys hindurchzugehen war sehr prägend für mich. Ich entdecke ihn immer wieder neu und sehe, dass er das Vermögen hatte, tiefe menschliche und spirituelle Erfahrungen zeichnerisch und skulptural zu materialisieren. Aber auch andere Künstler und insbesondere Künstlerinnen, die eine existentielle Sinnsuche im Bereich der Ästhetik betreiben wie Marina Abramović, Birgit Jürgenssen oder Wolfgang Laib finde ich sehr inspirierend. 

Wie sieht Ihre Arbeit als Museumsdirektorin aus?

Als Leiterin eines Museums muss man Allrounderin sein. In der Kunsthalle bin ich ja nicht nur für die künstlerischen Inhalte verantwortlich. Ich konzipiere nicht nur das Programm und präge die Inhalte bis in die Ausstellungstexte hinein, sondern bin auch Geschäftsführerin, das heißt, ich bin federführend verantwortlich für das Budget, das Marketing, die Pressearbeit, die Kunstvermittlung etc. Außerdem muss ich natürlich auch die Mannschaft zusammenhalten und motivieren. Das erfordert ein Spagat zwischen inhaltlichem introvertiertem wissenschaftlichem Arbeiten und extrovertierten organisatorischen Aufgaben. Aber genau der Wechsel liegt mir und macht die Arbeit spannend, die einen auch rund um die Uhr beschäftigt. In einem kleinen Haus kann ich aber trotz der vielen Arbeit dafür auch sehr kreativ sein, das entspricht sehr meinem Naturell.

Wie gehen Sie vor, wenn Sie eine Ausstellung konzipieren?

Ich habe das Glück an der Kunsthalle Tübingen die Themen, die ich für das Publikum bearbeiten möchte, frei zu wählen – diese Freiheit im Programm schätze ich sehr. Neben monografischen Ausstellungen zu bestimmten Künstlern entwickele ich ja immer wieder auch eigene Themenausstellungen zu gesellschaftlich relevanten Fragestellungen. Hier mache ich zuerst eine empirische Materialsammlung und teste, ob sich diese Fragen auch anhand von Kunstwerken belegen und beantworten lassen, ob sie relevant sind auch für die Künstlerinnen und Künstler. Oft merkt man schon, wenn man ein Kurzkonzept lossendet, an den Reaktionen die zurückkommen, ob ein Thema dem Zeitgeist entspricht oder nicht. 

Von der Ideenfindung bis zur Umsetzung eines Ausstellungsprojektes bedarf es allerdings einen Vorlauf von ein bis zwei Jahren. Es ist sehr schmerzhaft, wenn dann eine Ausstellung nicht eröffnet werden kann, wie kürzlich die Ausstellung „Herzstücke“ mit Meisterwerken aus der Kunsthalle Emden aufgrund der Corona-Krise. Mein Team und ich mussten das erstmal verkraften, wir hatten viel Energie reingesteckt. Aber die Situation hat gleichzeitig auch neue Ideen freigesetzt und unsere Kreativität herausgefordert; ich hoffe, noch sehr lange Ausstellungen machen zu können, denn meine Themensammlung umfasst unendlich viele Ordner und ich lebe von Ausstellung zu Ausstellung.

Was raten Sie heutigen Studierenden im Hinblick auf Studium und Berufswahl?

Sich Zeit zu nehmen, um in sich hinein zu hören. Bei sich zuerst einmal nach zu forschen, was man bei sich ausbilden möchte, welche Fähigkeit man hat, die man der Gemeinschaft weitergeben möchte; wenn man das noch nicht so genau weiß, schauen, in welchem Feld fühle ich mich wohl, wo erlebe ich an mir die meiste Energie, wo bin ich lebendig. Wenn alle abraten, weil es vielleicht ein exotisches Fach ist, das mich interessiert, dann trotzdem dieser Leidenschaft folgen, auch wenn es noch so schwer erscheint und zunächst mit Verzicht verbunden ist. Nur wenn man mit dem Herzen dabei ist, dann kann man auch durchhalten und wirklich gut darin sein.