Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2022: Forschung

Neuer Corona-Impfstoff aus Tübingen: Schutz auch vor Virusvarianten

Ein Interview mit der Immunologin Prof. Dr. Juliane Walz

Der Impfstoff CoVac-1 kann das SARS-CoV-2-Virus an mehreren Stellen angreifen und bietet daher einen breiten Schutz gegen alle bislang bekannten Virusvarianten. Das Besondere: Er setzt nicht auf die Bildung von Antikörpern, sondern aktiviert die T-Zellen zur Immunabwehr. Das ist wichtig für Menschen, die keine Antikörper bilden können, wie zum Beispiel viele Tumorpatienten. Entwickelt wurde CoVac-1 von Prof. Dr. Juliane Walz und ihrer Arbeitsgruppe am Universitätsklinikum Tübingen. Sie arbeitet bereits seit Jahren in der Abteilung für Immunologie in Tübingen an Krebsimmuntherapien, die T-Zellen aktivieren.

 

Was unterscheidet den von Ihnen entwickelten Impfstoff CoVac-1 von bereits zur Verfügung stehenden Impfstoffen gegen SARS-CoV-2?

CoVac-1 ist ein Peptid-basierter Impfstoff. Dafür haben wir gezielt Peptide – kurze Virusbestandteile – ausgesucht, die die T-Zellen für eine Immunantwort aktivieren. Das unterscheidet CoVac-1 von anderen Impfstoffen, die vorrangig auf die Aktivierung von Antikörpern zielen. Die für CoVac-1 eingesetzten Peptide sind nicht auf das Spike-Protein begrenzt, sondern stammen aus ganz vielen verschiedenen Proteinen des SARS-CoV-2-Virus. Dies ermöglicht einen wesentlich breiteren Impfschutz: Wir konnten bereits nachweisen, dass nach Impfung mit CoVac-1 keine der bislang bekannten Virus-Varianten die Immunantwort einschränkt.

Wie haben Sie die Peptide für Ihren Impfstoff identifiziert?

Meine Arbeitsgruppe und ich arbeiten seit Jahren in der Krebsimmuntherapie und entwickeln therapeutische Peptid-Impfstoffe für Tumorpatienten. Dadurch besitzen wir ein fundiertes Know-how, um Peptide zu identifizieren, die T-Zellen aktivieren können. 

Wir haben zunächst mit Hilfe von Vorhersagealgorithmen untersucht, für welche Bereiche des SARS-CoV-2-Virus die Wahrscheinlichkeit am höchsten ist, dass sie von T-Zellen erkannt werden. Danach haben wir ganz viele der dabei identifizierten Peptide herstellen lassen. Am Ende haben wir im Blut von COVID-19-Genesenen geschaut, welche dieser Peptide tatsächlich von den T-Zellen erkannt werden, vier Wochen und auch noch sechs Monaten nach der SARS-CoV-2 Infektion. Von dieser Vorauswahl haben wir für die Impfstoffherstellung die besten Peptide für CoVac-1 ausgesucht, also diejenigen,

  • die am häufigsten von den T-Zellen der genesenen Personen erkannt wurden, 
  • bei denen die T-Zellen-Antwort am stärksten war und 
  • die eine nachhaltige T-Zellen-Antwort ausgelöst haben.

Ist CoVac-1 eine Alternative zu den bisher zugelassenen Impfstoffen oder eine Ergänzung?

Immungesunde Patienten sollten weiterhin mit den bereits vorhandenen Impfstoffen geimpft werden, denn für eine gesunde Immunreaktion bilden Antikörper die erste Abwehrlinie, die T-Zellen unterstützen sie. 

Für Menschen, die einen Immundefekt haben, und für diejenigen, die keine Antikörper bilden können, ist dagegen eine starke und breite T-Zellen-Antwort enorm wichtig. Speziell für diese Gruppe wird unser Impfstoff entwickelt. Dazu zählen viele Tumorpatienten, die aufgrund der Erkrankung selber oder aufgrund der Tumortherapie keine Antikörper bilden können. Sie umfasst auch Menschen mit Rheuma- oder Autoimmunerkrankungen, die aufgrund ihrer Therapie keine Antikörper bilden können, Patienten mit angeborenen Immundefekten sowie Empfänger von Organ- oder Stammzellenspenden. 

Denkbar ist, dass die Zielgruppe für CoVac-1 zukünftig auf ältere immungesunde Patienten ausgeweitet wird, denn bei ihnen hält die Antikörperantwort nach Impfung mit den bereits zugelassenen Vakzinen nachgewiesenermaßen nur kurz an. Eine ergänzende Impfung mit unserem Impfstoff könnte hier möglicherweise als Booster für eine starke T-Zellenantwort fungieren.

Das Universitätsklinikum Tübingen und die Medizinische Fakultät haben gemeinsam die Klinische Kooperationseinheit (KKE) Translationale Immunologie etabliert. Was genau wird hier gemacht?

In dieser fachübergreifenden Einrichtung des Universitätsklinikums Tübingen und der Medizinischen Fakultät arbeiten sehr erfahrene Studienärzte und Study Nurses an der Vorbereitung, Umsetzung und Auswertung neuartiger klinischer Studien. 

Der große Vorteil der Klinischen Kooperationseinheit (KKE) Translationale Immunologie ist, dass eigenentwickelte neue Immuntherapien oder Vakzine sehr schnell zu Patienten in die Klinik gebracht werden können. Alle klinischen Patientenstudien müssen sowohl von der Ethik-Kommission als auch vom Paul-Ehrlich-Institut als regulatorischer Behörde genehmigt werden. Die Expertise in der KKE ermöglicht es, diese Genehmigungsverfahren sehr schnell zu durchlaufen. 

Auch für die Entwicklung von CoVac-1 ist die KKE ist von zentraler Bedeutung: Eine Phase-I-Studie vom Beginn der präklinischen Arbeiten bis zur Publikation in nur einem Jahr – das wäre ohne die schon etablierten Strukturen der KKE gar nicht möglich gewesen. Aktuell laufen am UKT über die KKE zehn Studien mit eigenentwickelten Substanzen und Therapiekonzepten, vorrangig für Tumorpatienten. Eine so große Anzahl parallel laufender Studien ohne Beteiligung der Pharmaindustrie ist weltweit einmalig.

Im Juni 2021 wurde die Phase II-Studie gestartet. Wann ist mit einer Zulassung von CoVac-1 zu rechnen?

In der Phase-I-Studie wurden gesunde Patienten mit CoVaC-1 geimpft, die Ergebnisse liegen seit November vor und wurden im Fachmagazin Nature veröffentlicht. Parallel wurde bereits im Sommer 2021 die Phase II gestartet. Bei dieser Studie sind Risikopatienten mit Antikörpermangel dabei, die mangels Alternativen zuvor mit bereits zugelassenen Impfstoffen geimpft wurden. Die Impfungen der Phase-II-Studie wurde im Januar 2022 abgeschlossen. Die Auswertung hat begonnen, mit ersten Ergebnissen rechnen wir im März. Parallel sind wir bereits mitten in den Planungen für die Phase-III-Studie. Wir suchen aktuell nach Investoren und Partnern aus der Pharmaindustrie, da hierfür die Ressourcen des UKT alleine nicht ausreichen. 

Die Behörden haben uns ähnlich wie beim Impfstoff von Biontech/Pfizer eine beschleunigtes Zulassungsverfahren für COVID-19-Medikamente in Aussicht gestellt. Unsere Hoffnung ist, dass wir im Herbst 2022 mit der Phase-III-Studie beginnen. Sie soll so designt sein, dass wir sehr schnell Ergebnisse bekommen. Dann könnte es bereits Anfang 2023 mit einer Zulassung von CoVac-1 klappen.

Das Interview führte Maximilian von Platen

Webseite Forschung zum Coronavirus an der Universität Tübingen