Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2022: Forum

Abfälle in Öl verwandeln: das Tübinger Start-up Wheyfinery

Dr. Richard Hegner berichtet über den Weg von der Forschung zur Gründung

Das Start-up-Unternehmen Wheyfinery arbeitet an der Kommerzialisierung einer skalierbaren Bioraffinerie zur Umwandlung von Abfällen aus der milchverarbeitenden Industrie zu bio-basiertem Öl. Das Verfahren stellt eine nachhaltige Lösung für die Herstellung grüner Chemikalien dar.

Dr. Richard Hegner ist Bioverfahrenstechniker mit fundierter Erfahrung in Fermentationstechnik und einer der Mitgründer von Wheyfinery. Seit April 2019 arbeitet er als Postdoc in der Arbeitsgruppe Umweltbiotechnologie von Prof. Dr. Lars Angenent an der Universität Tübingen. Als Sieger des Startup Pitch Tübingen wird Hegner im Juli 2022 ins Landesfinale des Start-up BW Elevator Pitchs einziehen. Im Interview erzählt er, wie er den Weg von der Forschung in die Gründung erlebt.

Wer steckt hinter Wheyfinery?

Wir sind ein forschungsgetriebenes „Pre-Startup“. Das sage ich jetzt so, weil wir noch nicht ausgegründet haben. Die Idee stammt von meinem Professor Lars Angenent. Er hat dieses Konzept aus seinen Forschungen in den USA mitgebracht, und wir forschen nun mit der Promovendin Monika Temovska und einigen engagierten Studierenden an diesem Thema hier in Tübingen weiter. Für die Ausgründung planen wir die Vergrößerung des Teams, denn wir haben aktuell eine sehr wissenschaftliche und ingenieurtechnisch ausgerichtete Kompetenz. Das ist für eine Gründung nicht ideal. Deswegen suchen wir jetzt noch Leute, die sich mit Business Model Development und Marketing auskennen.

Als Postdoc an der Universität Tübingen haben Sie bisher eine rein wissenschaftliche Karriere verfolgt, jetzt machen Sie sich auf den Weg in Richtung Gründung. Wie erleben Sie diesen Prozess?

Als Forscher muss man zunächst einmal herausfinden, ob die Technologie, an der man arbeitet, überhaupt funktioniert. Das ist immer mit einem gewissen Risiko behaftet. Über Forschungsförderung wird dieses Risiko üblicherweise nur bis zu einem bestimmten Level abgedeckt. Dann ist man gezwungen, selbst das Risiko einzugehen und die Forschung technologisch und anwendungsorientierter voranzutreiben. Dafür ist eine Ausgründung sehr hilfreich. Aber auch, um jemanden zu finden, der ein direktes Interesse hat, Technologien wie unsere zu kommerzialisieren. 

Was bringen Sie als Forscher mit in die Startup-Welt?

Ich besitze viel bioverfahrenstechnisches Know-how. Im letzten halben Jahr konnte ich aber auch viel darüber lernen, worin die Risiken und die Hemmungen von Investoren liegen, bei biotechnologischen Konzepten einzusteigen und ihre Investition in einer technischen Anlage zu binden. Eine App lässt sich mit relativ wenig Aufwand und geringen Kosten skalieren. Wie groß so eine biotechnologische Anlage für unser Konzept sein muss und worauf man beim Skalieren achten muss, das sind die Erfahrungen, die ich als Wissenschaftler mit meinem ingenieurstechnischen Hintergrund und basierend auf unseren Forschungsergebnissen einbringen kann. 

Wer sind denn potenzielle Kunden?

Zunächst die Sauermolkeproduzentinnen und -produzenten der milchverarbeitenden Industrie. Diese müssen aktuell die Kosten für die energieintensive Entsorgung der Sauermolke selbst tragen. Wir könnten ihnen die Sauermolke abnehmen und diese in Carbonsäuren-haltiges Bio-Öl umwandeln.

Mit den Carbonsäuren, die in unserem Bio-Öl enthalten sind, könnten wir wiederum verschiedene Märkte ansteuern. Das wäre zum einen die Feinchemikalien-Industrie, zur Herstellung von Duft- und Aromastoffen für die Kosmetik-, aber auch für die Lebensmittelindustrie. Weiterhin ist es möglich, das Bio-Öl über einen elektrochemischen Prozess zu synthetischem Kraftstoff weiter zu veredeln.  
Ein anderes Anwendungsfeld ist die Tierfuttermittel-Industrie. Die Carbonsäuren, die wir herstellen können, haben einen sehr hohen Energiegehalt und eine antimikrobielle Wirkung wie Antibiotika. Somit können die Carbonsäuren Antibiotika ersetzen, die dem Tierfutter zugesetzt werden. 

Welche Unterstützung haben Sie aus der Universität bekommen?

Durch das Coaching und die Kurse des Startup Centers habe ich eine Idee davon bekommen, was Gründen bedeutet, was die Hürden sind, aber auch, wie man diese Hürden überwinden kann. 
Meinen größte Entwicklungserfolg habe ich beim Pitchen der eigenen Idee auf dem Startup Pitch Tübingen erlebt. Bei dieser Veranstaltung des Startup Centers gab es eine Menge Gegenwind und Fragen für mich. Dieses Feedback hat mir aber geholfen, die eigene Idee besser zu erklären und auch zu verteidigen. 

Wie geht es jetzt weiter mit Wheyfinery?

Aktuell sind wir noch bis Ende April 2022 durch das "VIP+"-Programm vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Wir arbeiten gerade daran, eine Verlängerung mit Aufstockung bis Ende 2022 zu bekommen. Danach streben wir eine Förderung über den EXIST-Forschungstransfer des BMWi an. Dieses Förderprogramm würde uns die Möglichkeit geben, ein kompetentes und breit aufgestelltes Gründungsteam zu bilden. In den nächsten anderthalb bis zwei Jahren wird sich dann herauskristallisieren, wie gut die Idee wirklich ist.  

Was würden Sie anderen Forscherinnen oder Forschern empfehlen, die über eine Gründung nachdenken?

In erster Linie muss man die Idee, an der man arbeitet, toll finden. Ich denke, das spürt man relativ schnell. Und dann geht es darum, sich nicht von negativem Feedback, auf den ersten Blick schlechten Rahmenbedingungen oder auch einem gewissen Risiko abschrecken zu lassen.

Vor ein paar Jahren hätte man gesagt, Deutschland ist nicht besonders gründungsfreundlich. Ich denke, das ändert sich gerade – auch für forschungsintensive Bereiche wie die Biotechnologie. Es gibt Förderprogramme, die das Risiko minimieren, und Coachings direkt an den Universitäten. Ich empfehle, so früh wie möglich sowohl mit erfahrenen Gründerinnen und Gründern wie auch mit potenziellen Kundeninnen und Kunden über die eigene Geschäftsidee zu sprechen. Dadurch vermeidet man, die eigene Geschäftsidee am Markt vorbeizuentwickeln.

Das Interview wurde von Sabine Ranft und Paul-David Bittner geführt.

Über das Startup Center der Universität Tübingen 

Das Team des Startup Center unterstützt sowohl Studierende als auch Forschende der Universität Tübingen dabei, ihre innovativen Ideen aus der Wissenschaft in die wirtschaftliche Anwendung zu bringen. Das Angebot richtet sich an alle Studierenden, Forschenden, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie Alumni der Universität Tübingen.

Weitere Informationen: uni-tuebingen.de/gruenden

Kontakt: 

Paul-David Bittner:    
paul-david.bittnerspam prevention@uni-tuebingen.de
+49 173 3836487

Sabine Ranft 
sabine.ranftspam prevention@uni-tuebingen.de 
+49 173 3836487