Das Zentrum für Islamische Theologie (ZITh) der Universität Tübingen hat Ende September sein zehnjähriges Bestehen gefeiert. Im Jahr 2011 hatte die Universität als erste Hochschule in Deutschland ein Zentrum für Islamische Theologie gegründet. Zum Wintersemester 2011/12 begannen die Lehrveranstaltungen für den Bachelor-Studiengang „Islamische Theologie“.
Zum Start des Zentrums 2011 waren 24 Studentinnen und Studenten am ZITh eingeschrieben. Die Zahl der Studierenden ist bis heute auf über 200 gestiegen, Zweidrittel davon sind Frauen. Das Studium qualifiziert für ein Lehramt an Gymnasien, für die Seelsorge beispielsweise in Krankenhäusern, für eine akademische Laufbahn oder verwandte Tätigkeiten.
„Das Zentrum für Islamische Theologie leistet Pionierarbeit für die Etablierung einer islamischen Theologie im deutschen Wissenschaftssystem – für die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses ebenso wie für die Ausbildung von zukünftigen Lehrkräften für den islamischen Religionsunterricht. Es trägt den interreligiösen Dialog, den wir in unserer Gesellschaft dringend brauchen, in die Schulen und in die Gesellschaft“, sagte Petra Olschowski, Staatssekretärin im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, auf der Jubiläums-Feier.
Aktuell bietet das Zentrum insgesamt sechs Studiengänge an: „Islamische Theologie“ als Bachelor und „Islamische Religionslehre für das Lehramt“ als Bachelor und Master, außerdem die Master-Studiengänge „Islamische Theologie im europäischen Kontext“ und „Islamische Praktische Theologie für Seelsorge und Soziale Arbeit“. In Kooperation mit der katholischen und der evangelischen theologischen Fakultät hat das ZITh den Master-Studiengang „Theologien interreligiös – Interfaith Studies“ entwickelt. Er unterstreicht die Bedeutung des interreligiösen Dialogs an der Universität Tübingen.
An den mittlerweile sieben Lehrstühlen des Zentrums arbeiten 40 Beschäftigte, davon 25 Doktoranden und Postdocs, die teilweise selbst am ZITh ausgebildet wurden. Mit zehn Universitäten bestehen Erasmus-Kooperationen. Über das interreligiöse Forschungsprojekt „Geteilte Überzeugungen“ sind Verbindungen zu Universitäten in Straßburg, Basel, Freiburg und der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg entstanden.
„Das Zentrum für Islamische Theologie hat sich im Laufe von zehn Jahren zu einer international renommierten Ausbildungs- und Forschungsinstitution entwickelt. Dazu hat nicht zuletzt die Nähe zu den beiden christlichen theologischen Fakultäten und zur säkularen Islamwissenschaft in Tübingen beigetragen“, sagte Professor Bernd Engler, Rektor der Universität. „Die Etablierung einer islamischen Theologie an deutschen Hochschulen betrachtet die Universität als wichtigen Beitrag zum interreligiösen Dialog und friedlichen Zusammenleben der Religionen.“
Professor Erdal Toprakyaran, geschäftsführender Direktor des ZITh, wies auf die Gemeinsamkeit von islamischer und christlicher Theologie hin: „Die Theologie ist eine konfessionsgebundene Wissenschaft und braucht eine fundiert kritische und differenzierte Grundhaltung. Unsere Studierenden erlernen die international und interdisziplinär anerkannten Methoden.“
In der islamisch geprägten Welt wird unter anderem die akademische Ausbildung zur Seelsorge am ZITh mit Interesse beobachtet. „Seelsorgerinnen und Seelsorger kommen in der arabischen Welt zumeist aus Familie oder Gemeinde, nicht von der Universität“, sagte der wissenschaftliche Koordinator des Zentrums für Islamische Theologie, Dr. Abdelaali El-Maghraoui. Erst im Juli 2022 war eine Delegation aus Marokko zu Besuch in Tübingen, um sich ein Bild von der hiesigen Ausbildung zu machen.
Der Gründung des Zentrums ging im Jahr 2010 die Empfehlung des Wissenschaftsrats voraus, die institutionellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der islamische Glauben und die Glaubenspraxis in der Bundesrepublik Deutschland adäquat berücksichtigt werden können“. Die vier Millionen Muslime in Deutschland wünschten sich als größte nicht-christliche Religionsgemeinschaft in Deutschland einen anerkannten Platz für ihre religiöse und kulturelle Ausrichtung.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) schrieb daraufhin eine Förderung zum Aufbau von vier Zentren für Islamische Theologie in Deutschland aus. Neben Tübingen entstanden weitere Zentren an den Universitäten Münster/Osnabrück, Frankfurt/Gießen und Erlangen/Nürnberg. Möglich wurde der Aufbau des Zentrums in Tübingen durch die Unterstützung des Bundes, der das Vorhaben mit insgesamt 6,6 Millionen Euro förderte. Im Jahr 2021 übernahm das Land Baden-Württemberg die weitere Finanzierung aller vom Bund getragenen Stellen. Seit Gründung hat das Land Baden-Württemberg das Zentrum mit 10,1 Millionen Euro unterstützt.
Ebenfalls auf Empfehlung des Wissenschaftsrates berief die Universität Tübingen einen Beirat ein. Er steht dem Zentrum bei bekenntnisrelevanten Fragen zur Seite, ähnlich wie die christlichen Kirchen den theologischen Fakultäten. Der Beirat besteht aus sieben Mitgliedern, die vom Rektor oder der Rektorin der Universität ernannt werden. Vorschlagsrechte für Kandidatinnen oder Kandidaten haben der Verband Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religionen e.V. (DITIB), die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland (IGBD) und der Landesverband der islamischen Kulturzentren (VIKZ). Der Beirat muss auch bei der Berufung von Professorinnen und Professoren zustimmen. „Die Zusammenarbeit war von Anfang an sehr gut und von großem gegenseitigem Vertrauen geprägt“, sagte Rektor Bernd Engler. „Dank des Beirats konnte das Zentrum für Islamische Theologie breit in der Bevölkerung verankert werden.“
Für die Ernennung von Professorinnen und Professoren, die in der Ausbildung von Lehrkräften für den Islamischen Religionsunterricht sunnitischer Prägung mitwirken, hat die Universität und das Land Baden-Württemberg erfolgreich ein Kooperationsmodell etabliert: Seit 2020 entscheidet die Stiftung Sunnitischer Schulrat über die Erteilung der Lehrerlaubnis für Lehrende in den Lehramtsstudiengängen, gemeinsam mit dem Beirat des Tübinger Zentrums.
2023 wird das ZITh in ein neues Gebäude in unmittelbarer Nähe zu den beiden Fakultäten für katholische und evangelische Theologie umziehen. Die drei Institutionen bilden dann gemeinsam den „Campus der Theologien“ an der Universität Tübingen.
Tilman Wörtz