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21.04.2014

Homo sapiens zog früher aus Afrika aus als gedacht

Tübinger Wissenschaftler erforschen die Wanderungswellen des frühen Menschen

Anatomische Untersuchungspunkte an einem individuellen Schädel. Photo: Katerina Harvati/Universität Tübingen und Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment

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Der anatomisch moderne Mensch hat sich von Afrika aus in mehreren Wanderungswellen nach Asien und Europa ausgebreitet. Die ersten Vorfahren heutiger Menschen nahmen dabei wahrscheinlich schon vor rund 130.000 Jahren eine südliche Route über die Arabische Halbinsel in Richtung Asien. Zu diesem Ergebnis kommen Professorin Katerina Harvati und ihre Mitarbeiter vom Institut für Naturwissenschaftliche Archäologie der Universität Tübingen und dem Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment in Zusammenarbeit mit Kollegen der Universität von Ferrara, Italien, und dem Nationalmuseum für Naturgeschichte, Frankreich.

Die Forscher überprüften verschiedene hypothetische Ausbreitungsszenarios anhand geografisch möglicher Routen, genetischer Daten und vergleichender Schädeluntersuchungen. Als Resultat setzen sie die erste Auswanderungswelle aus Afrika im Mittleren statt im Späten Pleistozän und damit früher an, als bisherige Untersuchungen ergeben hatten. Eine zweite Ausbreitungswelle ins nördliche Eurasien erfolgte ihren Untersuchungen zufolge vor rund 50.000 Jahren. Ihre Ergebnisse veröffentlichen die Wissenschaftler in der Online-Ausgabe (Online Early Edition) der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences.

Dass alle heutigen Menschen von einer Population abstammen, die vor 100.000 bis 200.000 Jahren in Afrika lebte, ist unter Wissenschaftlern kaum umstritten. Doch bisher gingen viele beim Auszug unserer Vorfahren aus Afrika von einer einzigen Wanderungsbewegung vor 50.000 bis 75.000 Jahren aus. Dafür schien die Beobachtung zu sprechen, dass die genetische Vielfalt und die morphologische Diversität der Menschen mit wachsender geografischer Entfernung vom subsaharischen Südafrika abnahmen. Neuere Ergebnisse genetischer, archäologischer und paläoanthropologischer Studien stellen dieses Szenario jedoch in Frage.

Die Forscher um Professorin Katerina Harvati überprüften die beiden gängigen Out-of-Africa-Hypothesen einer einzelnen gegenüber mehrfachen Wanderungsbewegungen der anatomisch modernen Menschen aus Afrika. In ihren Untersuchungen nutzten sie Daten anatomischer Schädelvergleiche heutiger Menschen aus verschiedenen Regionen, neutrale genetische Daten und die zurückzulegenden Distanzen der verschiedenen möglichen Ausbreitungsrouten. Ebenso wurden basierend auf den genetischen Daten und dem jeweiligen Ausbreitungsmodell die Zeitspannen berechnet, die zur Aufspaltung der Populationen notwendig waren. Jedes Ausbreitungsszenario ist mit spezifischen geografischen und zeitlichen Voraussetzungen verbunden. Diese bekannten Parameter stellten die Forscher den neutralen biologischen Distanzen aus den genetischen und anatomischen Untersuchungen gegenüber.

„Beide Beweisketten, sowohl die anatomischen Schädelvergleiche als auch die genetischen Daten, sprechen für mehrfache Auswanderungswellen“, sagt Katerina Harvati. Eine erste Gruppe unserer Vorfahren brach vor rund 130.000 Jahren von Afrika aus auf und wanderte an der Küste der Arabischen Halbinsel entlang bis nach Australien und in das Gebiet des Westpazifiks. „Australier, Papuas und Melanesier blieben nach dieser frühen Ausbreitung über die Südroute zunächst relativ isoliert“, sagt Hugo Reyes-Centeno, Erstautor der Studie und Mitarbeiter des Tübinger Forscherteams. „Andere asiatische Populationen scheinen dagegen einer späteren Auswanderungswelle zu entstammen, die vor etwa 50.000 Jahren von Afrika aus ins nördliche Eurasien aufkam.“

Die Forscher gehen davon aus, dass weitere Feldstudien sowie Fortschritte in der Genetik die Befunde zu den Wanderrouten der urgeschichtlichen Menschen besser absichern und weitere Details in der raumzeitlichen Auflösung liefern können. Bisher lässt sich nur spekulieren, ob zum Beispiel starke Dürrezeiten in Ostafrika in der Zeit zwischen 135.000 und 75.000 Jahren die Wanderungen ausgelöst und die Entwicklung der menschlichen Populationen beeinflusst haben könnten. Die südliche Route umfasst ein großes geografisches Gebiet, in dem zum jetzigen Zeitpunkt nur wenige archäologische und anthropologische Forschungen stattgefunden haben und welches daher für künftige Forschungen sehr vielversprechend ist.

Abbildungen:

Alle Abbildungen: Katerina Harvati/Universität Tübingen und Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment

Abb. 1 (rechts): Anatomische Untersuchungspunkte an einem individuellen Schädel: Zusätzlich zu genetischen Daten wurden Informationen über Schädelformen einbezogen, um Rückschlüsse auf die Wanderungsmuster anatomisch moderner Menschen zu ziehen. Die Daten wurden mithilfe innovativer Techniken erhoben und analysiert.
Abb. 2 (links): Darstellung der untersuchten anatomischen Punkte: Anhand des Schläfenbeins lässt sich die Populationsgeschichte des anatomisch modernen Menschen besser verfolgen als anhand anderer Schädelbereiche. Diese Daten wurden daher in der Studie verwendet, um zusätzlich zu den genetischen Daten auf Wanderungsmuster schließen zu können. Hier dargestellt ist die durchschnittliche Form des Schläfenbeins aller in der Studie untersuchten Individuen.

Abb. 3 und 4: Zwei Darstellungen des Out-of-Africa-Modells, das am besten sowohl mit den genetischen als auch den anatomischen Daten der Schädel übereinstimmt: Eine erste Gruppe anatomisch moderner Menschen wanderte bereits vor 130.000 Jahren am Rand des Indischen Ozeans entlang (grüner bzw. blauer Pfeil), gefolgt von einer zweiten, jüngeren Auswanderungswelle nach Eurasien (roter Pfeil).

Publikation:

Hugo Reyes-Centeno, Silvia Ghirotto, Florent Détroit, Dominique Grimaud-Hervé, Guido Barbujani, Katerina Harvati: Genomic and Cranial Phenotype Data Support Multiple Modern Human Dispersals from Africa and a Southern Route into Asia. Proceedings of the National Academy of Sciences, Online Early Edition in der Woche vom 21. April 2014.

Kontakt:

Prof. Dr. Katerina Harvati
Universität Tübingen – Institut für Naturwissenschaftliche Archäologie
Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment
Telefon +49 7071 29-76516
<link mail ein fenster zum versenden der>katerina.harvati[at]ifu.uni-tuebingen.de

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