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21.04.2016

Wie im Gehirn aus dem Nichts die Zahl Null entsteht

Tübinger Hirnforscher entdecken neuronale Vorstufe des Erkennens einer leeren Menge

Die Entdeckung der Zahl Null gilt als eine der größten kulturellen Errungenschaften des Menschen. Tübinger Hirnforscher berichten, wie und wo Nervenzellen im Gehirn leere Mengen als Teil des Zahlenstrahls abbilden können. Bild: Andreas Nieder

Die Null ist eine magische Zahl. Sie steht für die leere Menge, das Nichts, und gilt zugleich als eine der größten kulturellen Leistungen des Menschen, die Mathematik und Wissenschaft zum Durchbruch verholfen haben. In der Menschheitsgeschichte hat es lange gedauert, bis die Null als Zahl erkannt und geschätzt wurde. Auch Kinder verstehen erst lange nachdem sie zählen gelernt haben, dass auch die Null als Zahl zu sehen ist. Offensichtlich fällt es uns schwer, leere Mengen als abstrakten Zahlenwert zu begreifen. Hirnforscher der Universität Tübingen unter der Leitung von Professor Andreas Nieder vom Institut für Neurobiologie geben erstmals Antworten auf die Frage, wie und wo Nervenzellen im Gehirn leere Mengen als Teil des Zahlenstrahls abbilden können. Die Wissenschaftler trainierten zu diesem Zweck Rhesusaffen, die Anzahl von null bis vier Punkten auf einem Bildschirm zu ermitteln. Die Tiere bewerteten keine Punkte in der Testphase als der Anzahl eins am ähnlichsten, und damit als leere Menge mit quantitativer Bedeutung am Anfang des Zahlenstrahls.

Während die Rhesusaffen diese Aufgaben durchführten, wurde die Aktivität ihrer Nervenzellen in zwei Bereichen des Gehirns gemessen, dem Scheitellappen und dem nachgeschalteten Stirnlappen. Die Forschergruppe konnte in der Vergangenheit zeigen, dass beide Hirnareale eine Schlüsselrolle bei der Verarbeitung von Anzahlen spielen. „Der Vergleich der beiden Hirnareale zeigte eine erstaunliche Wandlung der Art und Weise, wie leere Mengen neuronal abgebildet wurden“, sagt Andreas Nieder. Im Scheitellappen registrierten die Nervenzellen die Abwesenheit von zählbaren Punkten noch als fehlenden visuellen Reiz ohne quantitative Bedeutung und damit grundsätzlich verschieden von Anzahlen. Auf der nachfolgenden höchsten Verarbeitungsebene hingegen, dem Stirnlappen, behandelten die Nervenzellen die Abwesenheit von Elementen als leere Menge unter anderen zählbaren Mengen, mit der größten Ähnlichkeit zur Anzahl eins. „Erst im Stirnlappen wird somit die leere Menge als Wert auf dem Zahlenstrahl abstrahiert, ganz analog zum Verhalten der Tiere“, erklärt der Wissenschaftler.

Die neuen Befunde liefern Erkenntnisse darüber, wie und wo das Gehirn die Abwesenheit zählbarer Reize durch aktive neuronale Aktivierung als Mengenkategorie abbilden kann. „Für ein Gehirn, das im Laufe der Evolution entstanden ist, um Sinnesreize zu verarbeiten, ist die Repräsentation leerer Mengen eine verblüffende Leistung“, erläutert Nieder. „Hier deuten sich die Anfänge der Fähigkeit an, über die Wahrnehmung hinaus erfahrungsunabhängig Konzepte zu bilden, wie sie gerade für eine komplexe Zahlentheorie notwendig sind.“ Dass gerade die Nervenzellen im Präfrontalkortex zu diesem Schritt fähig sind, bestätigt die enorme Bedeutung dieses Hirnareals für abstraktes Denken, das gerade bei neuropsychiatrischen Erkrankungen häufig gestört ist.

Originalveröffentlichung:

Araceli Ramirez-Cardenas, Maria Moskaleva & Andreas Nieder: Neuronal representation of numerosity zero in the primate parieto-frontal number network. Current Biology.
Online-Publikation: 21. April 2016, DOI: <link http: dx.doi.org j.cub.2016.03.052>

dx.doi.org/10.1016/j.cub.2016.03.052

Kontakt:

Prof. Dr. Andreas Nieder
Universität Tübingen
Institut für Neurobiologie – Lehrstuhl für Tierphysiologie
Tel.: + 49 7071 29-75347
<link window for sending>andreas.nieder[at]uni-tuebingen.de

Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Dr. Karl Guido Rijkhoek
Leitung
Janna Eberhardt
Forschungsredakteurin
Telefon +49 7071 29-77853
Telefax +49 7071 29-5566
janna.eberhardt[at]uni-tuebingen.de

www.uni-tuebingen.de/aktuelles

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