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12.05.2021

Alle profitierten vom Aufschwung vor Corona

Tübinger Wirtschaftsstudie zum Armutsbericht der Bundesregierung: Bis 2020 stiegen die Nettoeinkommen ‒ An der Einkommensverteilung ändert sich dennoch wenig

Der lange anhaltende Aufschwung des Arbeitsmarktes nach 2005 hat vor allem den unteren Einkommensbereichen der Gesellschaft finanzielle Zuwächse beschert und zu einer gleichmäßigeren Einkommensverteilung beigetragen. Diesen Effekten wirkten allerdings andere Entwicklungen entgegen, wie beispielsweise die nach 2010 gestiegene Einwanderung sowie die stärkere Differenzierung der Gesellschaft nach Bildungsabschlüssen und Arbeitserfahrung. Das zeigen Tübinger Wirtschaftswissenschaftler in einer Studie für den aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Die dem Bericht zugrunde liegenden Begleitstudien wurden bereits auf der Internetseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales veröffentlicht.

Eine Studie von Forschern der Universität Tübingen und des Tübinger Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) für den 6. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung belegt: Durch den Arbeitsmarktaufschwung nach 2005 entstanden über weite Bereiche der Einkommensverteilung deutliche Einkommenszuwächse. Der Beschäftigungsaufschwung wurde durch steigende Vollzeitbeschäftigung von Männern und Frauen, aber in noch stärkerem Maße durch steigende Teilzeitbeschäftigung von Frauen getragen. 

Diese langanhaltende Entwicklung wurde erst durch die Corona-Krise gestoppt. Sie führte im unteren Bereich der Verteilung zu realen Einkommenszuwächsen von drei bis fünf Prozent, im mittleren bis oberen Bereich hingegen nur zu Zuwächsen von eins bis zwei Prozent. Es handelt sich hierbei um einen Nettoeffekt: Berücksichtigt wird bei der Berechnung, dass Menschen, die bei Ausbleiben des Aufschwungs arbeitslos gewesen wären, Anspruch auf Zahlungen aus der Arbeitslosen- und Grundsicherung gehabt hätten.

Neben den positiven Effekten des Aufschwungs zeigt die Studie die stark stabilisierende Wirkung des deutschen Steuer- und Sozialversicherungssystems: Es mildert die Folgen wirtschaftlicher Abschwünge, aber auch die Folgen wirtschaftlicher Aufschwünge für das verfügbare Nettoeinkommen ab. „Unsere Ergebnisse zeigen: Selbst wenn sämtliche Beschäftigungsgewinne des Aufschwungs durch die Corona-Krise rückgängig gemacht würden, hätte dies aufgrund des starken sozialen Sicherungssystems nur begrenzte Auswirkungen auf die Einkommensverteilung“, sagt Martin Biewen, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Tübingen und einer der Studienautoren. Das gelte allerdings mit Einschränkungen, so Biewen. „Von der Corona-Krise besonders betroffene Gruppen wie Selbständige und geringfügig Beschäftigte sind durch das soziale Sicherungssystem in geringerem Maße geschützt.“

Trotz des deutlichen Aufschwungs bis zur Corona-Krise, hat sich die Ungleichheit der Nettoeinkommen nur unwesentlich geändert – dies liegt an weiteren Faktoren, deren Einfluss die Autoren ebenfalls untersuchten. So zeigen sie, dass die gestiegene Einwanderung seit 2010 sowie eine stärkere Differenzierung der Gesellschaft nach Bildungsabschlüssen und Arbeitserfahrung für sich gesehen die Ungleichheit erhöhten. Diese Entwicklung überwog die günstigen Auswirkungen des Beschäftigungsaufschwungs teilweise sogar, wurde aber wieder durch einzelne politische Maßnahmen wie die Einführung der erweiterten Mütterrente oder Kindergelderhöhungen abgemildert. 

Keinen nachweisbaren Einfluss auf Einkommensungleichheit hatten Änderungen in der Höhe der Löhne oder bei den Kapitaleinkünften sowie der Trend zu mehr Einpersonenhaushalten. Zusammengenommen führten alle betrachteten Entwicklungen dazu, dass die Ungleichheit der Nettoeinkommen und die Armutsrisikoquote auf dem Höhepunkt des Arbeitsmarktaufschwungs geringfügig höher waren als zu dessen Beginn.

Die Tübinger Studie ist Teil des Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, der einmal in jeder Legislaturperiode veröffentlicht wird. Die Studie ist Teil eines umfangreichen Gutachtens, welches in Zusammenarbeit mit dem ifo Institut München verfasst wurde. Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung beruht auf umfangreichen Begleitforschungen, die sich mit vielfältigen Themen der Einkommens- bzw. Vermögensverteilung und der sozialen Mobilität beschäftigen. 

https://www.armuts-und-reichtumsbericht.de 

https://www.armuts-und-reichtumsbericht.de/SharedDocs/Downloads/Service/Studien/1-studie-iaw-ifo-tuebingen.pdf?__blob=publicationFile&v=3 

Kontakt: 

Prof. Dr. Martin Biewen
Universität Tübingen
School of Business and Economics
Martin.biewenspam prevention@uni-tuebingen.de

Rolf Kleimann
Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW)
rolf.kleimannspam prevention@iaw.edu 

Pressekontakt:

Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Dr. Karl Guido Rijkhoek
Leitung

Antje Karbe
Pressereferentin
Telefon +49 7071 29-76789
Telefax +49 7071 29-5566
antje.karbespam prevention@uni-tuebingen.de

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