Uni-Tübingen

Pressemitteilungen

30.01.2018

Was Magnetfelder im Gehirn verändern – und wie man das erforschen kann

Tübinger Neurowissenschaftler ermöglichen tiefe Einblicke in die Funktionsweise der Transkraniellen Magnetstimulation (TMS)

Tübinger Neurowissenschaftler haben eine Methode entwickelt, mit der sich die Gehirnaktivität während einer transkraniellen Magnetstimulation (TMS) messen lässt. Obwohl die TMS seit 30 Jahren erforscht wird, ist bisher wenig über ihre Wirkungsweise bekannt. Ein besseres Verständnis könnte dazu beitragen, die TMS als nicht-invasive und schmerzfreie Diagnose- und Behandlungsmethode weiter zu entwickeln. Die Studie wurde kürzlich im Fachmagazin eLife veröffentlicht.

Es klingt wie Science Fiction: Die Gehirnaktivität eines Menschen lässt sich ohne Berührung verändern, indem man eine Drahtspule über den Kopf hält ‒ und dadurch bewegen sich beispielsweise Arme oder Beine. Diese Technik, die transkranielle Magnetstimulation, wird in der Forschung und zur Behandlung vieler Hirnerkrankungen verwendet. Die TMS sendet ein starkes gepulstes Magnetfeld aus, das winzige elektrische Ströme im Hirngewebe darunter erzeugt. Diese können Neuronen (Nervenzellen im Gehirn) aktivieren.

In der Medizin wird TMS bei Störungen motorischer Funktionen (z.B. bei Multipler Sklerose oder nach einem Schlaganfall) diagnostisch eingesetzt. Therapeutisch kommt sie beispielsweise bei Tinnitus, bei Depressionen, bei Schmerz- und neuerdings auch Suchtpatienten zum Einsatz. In Europa ist die TMS allerdings noch keine etablierte Behandlungsmethode.

Denn was mit den Neuronen genau passiert, wenn das Magnetfeld eingeschaltet wird, verstehen Forscher bis heute nicht wirklich: Die elektrische Aktivität einzelner Neurone im Gehirn misst man mit Mikroelektroden. Diese werden jedoch durch die starken Magnetfelder der TMS massiv gestört und die abgeleiteten Signale der Nervenzellen maskiert.

Forscher mehrerer Arbeitsgruppen (Cornelius Schwarz, Martin Giese, Ulf Ziemann, Axel Oeltermann) aus drei Tübinger Instituten (Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften der Universität Tübingen, Hertie-Institut für klinische Hirnforschung und Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik) haben nun gemeinsam eine Abschirmung der Mikroelektroden gegen die starken Magnetfelder der TMS entwickelt. So können sie die Veränderungen in einzelnen Hirnzellen mit nur einer Millisekunde Verzögerung nach dem Magnetimpuls messen.

Die Forscher bewiesen in ihrer Studie, dass ihre Abschirmungstechnik verwendbare Daten liefert. Dazu stimulierten sie mit TMS die Region im Motorkortex von Ratten, die die Vordergliedmaßen steuert. Während die Tiere durch die Stimulation ihre Vorderpfoten bewegten, maßen die Forscher die Aktivität der Neuronen. Zum ersten Mal konnten sie so direkt beobachten, wie die für die Vordergliedmaßen verantwortlichen Kortexneuronen auf TMS reagierten. Sie stellten fest, dass die neuronale Aktivität auch nach Ende des TMS-Pulses anhielt. Außerdem änderte sich die neuronale Aktivität abhängig von der Richtung des Stromflusses, den die TMS im Hirngewebe erzeugte. Diese Ergebnisse passen verblüffend genau zu Beobachtungen in der klinischen Forschung beim Menschen, bei denen Neuronenaktivität statt im Gehirn im Rückenmark und in den Muskeln aufgezeichnet wurde.

„Nur zwei Arbeitsgruppen weltweit haben Ähnliches vor uns geschafft“, sagt Dr. Alia Benali, die die Studie geplant und durchgeführt hat. Die Methoden dieser Vorgängerstudien sind technisch äußerst anspruchsvoll; außerdem sind sie spezifisch für Primatengehirne entwickelt: Einschränkungen, die für viele Laboratorien ein Hindernis darstellen. „Uns ging es darum, eine einfache Methode zur Untersuchung neuronaler Aktivität bei TMS zu entwickeln. Sie soll für jedes Labor ohne spezielles Know-how zugänglich sein“, erklärt Doktorand Bingshuo Li.

Publikation:

Bingshuo Li, Juha P. Virtanen, Axel Oeltermann, Cornelius Schwarz, Martin A. Giese, Ulf Ziemann, Alia Benali: Lifting the Veil on the Dynamics of Neuronal Activities Evoked by Transcranial Magnetic Stimulation. eLife 2017;6:e30552; DOI: 10.775/eLife.30552

Autorenkontakt:

Dr. Alia Benali
Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN)
Otfried-Müller-Str. 25
D-72076 Tübingen
Tel.: +49 7071 29-89033
alia.benalispam prevention@uni-tuebingen.de

Pressekontakt CIN:

Dr. Paul Töbelmann
Universität Tübingen
Wissenschaftskommunikation
Werner-Reichardt-Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN)
Otfried-Müller-Str. 25 ∙ 72076 Tübingen
Tel.: +49 7071 29-89108
paul.toebelmannspam prevention@cin.uni-tuebingen.de

www.cin.uni-tuebingen.de

Pressekontakt HIH:

Dr. Mareike Kardinal
Leitung Kommunikation
Hertie-Institut für klinische Hirnforschung
Otfried-Müller-Str. 27
72076 Tübingen
Tel.: +49 7071 29-88800
mareike.kardinalspam prevention@medizin.uni-tuebingen.de

www.hih-tuebingen.de


Die Universität Tübingen

Innovativ. Interdisziplinär. International. Die Universität Tübingen verbindet diese Leitprinzipien in ihrer Forschung und Lehre, und das seit ihrer Gründung. Seit mehr als fünf Jahrhunderten zieht die Universität Tübingen europäische und internationale Geistesgrößen an. Immer wieder hat sie wichtige neue Entwicklungen in den Geistes- und Naturwissenschaften, der Medizin und den Sozialwissenschaften angestoßen und hervorgebracht. Tübingen ist einer der weltweit führenden Standorte in den Neurowissenschaften. Gemeinsam mit der Medizinischen Bildgebung, der Translationalen Immunologie und Krebsforschung, der Mikrobiologie und Infektionsforschung sowie der Molekularbiologie der Pflanzen prägen sie den Tübinger Forschungsschwerpunkt im Bereich der Lebenswissenschaften. Weitere Forschungsschwerpunkte sind die Geo- und Umweltforschung, Astro-, Elementarteilchen- und Quantenphysik, Archäologie und Anthropologie, Sprache und Kognition sowie Bildung und Medien. Die Universität Tübingen gehört zu den elf deutschen Universitäten, die als exzellent ausgezeichnet wurden. In nationalen und internationalen Rankings belegt sie regelmäßig Spitzenplätze. In diesem attraktiven und hoch innovativen Forschungsumfeld haben sich über die Jahrzehnte zahlreiche außeruniversitäre Forschungsinstitute und junge, ambitionierte Unternehmen angesiedelt, mit denen die Universität kooperiert. Durch eine enge Verzahnung von Forschung und Lehre bietet die Universität Tübingen Studierenden optimale Bedingungen. Mehr als 28.000 Studierende aus aller Welt sind aktuell an der Universität Tübingen eingeschrieben. Ihnen steht ein breites Angebot von rund 300 Studiengängen zur Verfügung – von der Ägyptologie bis zu den Zellulären Neurowissenschaften.

Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN)

Das Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN) ist eine interdisziplinäre Institution an der Eberhard Karls Universität Tübingen, finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen der Exzellenzinitiative von Bund und Ländern. Ziel des CIN ist es, zu einem tieferen Verständnis von Hirnleistungen beizutragen und zu klären, wie Erkrankungen diese Leistungen beeinträchtigen. Das CIN wird von der Überzeugung geleitet, dass dieses Bemühen nur erfolgreich sein kann, wenn ein integrativer Ansatz gewählt wird.

Das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH)

Das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) wurde 2001 von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, dem Land Baden-Württemberg, der Eberhard Karls Universität und ihrer medizinischen Fakultät, sowie dem Universitätsklinikum Tübingen gegründet. Das HIH beschäftigt sich mit einem der faszinierendsten Forschungsfelder der Gegenwart: der Entschlüsselung des menschlichen Gehirns. Im Zentrum steht die Frage, wie bestimmte Erkrankungen die Arbeitsweise dieses Organs beeinträchtigen. Dabei schlägt das HIH die Brücke von der Grundlagenforschung zur klinischen Anwendung. Ziel ist, neue und wirksamere Strategien der Diagnose, Therapie und Prävention zu ermöglichen. Derzeit sind 18 Professoren und rund 350 Mitarbeiter am Institut beschäftigt.

Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Dr. Karl Guido Rijkhoek
Leitung
Antje Karbe
Pressereferentin
Telefon +49 7071 29-76789
Telefax +49 7071 29-5566
antje.karbe[at]uni-tuebingen.de
http://www.uni-tuebingen.de/universitaet/aktuelles-und-publikationen

Downloads

Zurück