02.05.2023
Alumni Spotlight Interview: Tim Schaffarczik und #KI in der Stadt
Im Interview: Alumnus Tim Schaffarczik schloss 2020 seinen Master in Empirische Kulturwissenschaft ab. Aktuell promoviert er an der Uni Tübingen zum Thema KI in der Stadt. Lesen Sie mehr über seine Herausforderungen als Wissenschaftler und seine Inspiration für seine Forschung.
Erklären Sie in einem Satz, was Sie beruflich tun.
Ich erforsche am Ludwig-Uhland-Institut der Uni Tübingen, wie Menschen in ihrem Alltag zusammenleben und an welchen impliziten Regeln sich ihr Denken und Handeln orientiert.
Warum haben Sie sich für die Universität Tübingen entschieden und was haben Sie hier studiert?
Gebürtig komme ich aus der Nähe von Köln und wollte nach dem Abi vor 10+ Jahren irgendwas mit Medien machen – wie so viele damals. Durch Zufall habe ich den Studiengang Medieninformatik an der Uni Tübingen entdeckt. Allerdings habe ich schon im ersten Semester gemerkt, dass es eigentlich nicht das ist, was ich machen will. Es war dann wieder der Zufall der mich zur Empirischen Kulturwissenschaft für den Bachelor, Master und jetzt die Promotion gebracht hat. Ein Bekannter von mir, mit dem ich damals beim Studierendenmagazin Faktor 14 arbeitete, hat mir das Studienfach und das Institut vorgestellt. Das Studium war von den Themen her total spannend. Ich muss jedoch zugeben, dass es 1-2 Semester gedauert hat bis ich wusste, was ich da genau mache.
Was war Ihr größtes Learning im Studium?
Was viele nicht von mir wissen: ich hatte im Abi Mathe- und Physikleistungskurs. Die Naturwissenschaften faszinierten mich, weil ich damals versucht hatte mir darüber die Welt zu erklären. Im Studium am Ludwig-Uhland-Institut habe ich dann gemerkt, dass es viel interessanter ist, die Welt über die „Regeln“ des menschlichen Zusammenlebens zu verstehen.
Woran arbeiten Sie gerade?
Es sind eigentlich zwei Projekte. Zum einen meine Dissertation, die sich mit gesellschaftlichen Perspektiven auf den Forschungsverbund Cyber Valley beschäftigt. Dabei untersuche ich, was Menschen eigentlich mit dem Cyber Valley verbinden, wie sie darüber diskutieren, was für sie Künstliche Intelligenz ist, und vor allem, wie sie sich die Zukunft vorstellen.
Zum Zweiten beschäftige ich mich sehr viel mit der Kommunikation von Wissenschaft und Technik. Mir ist es wichtig zu vermitteln, wie Wissenschaft generell funktioniert und wie Wissen produziert wird. Studienergebnisse sind nicht allgemein- und dauerhaft gültig und die Produktion von Wissen ist immer in bestimmte Kontexte eingebunden. Darüber hinaus wird das Thema Scheitern in der Forschung meiner Meinung nach zu wenig kommuniziert. Ohne das offene Umgehen mit Scheitern in der wissenschaftlichen Arbeit, wird der Eindruck erweckt, dass Wissenschaft im Prinzip perfekt und nicht hinterfragbar ist. Wir müssen die Produktion von Wissen eigentlich viel stärker reflektieren.
Aus diesen beiden Schwerpunkten heraus ist meine Arbeit an der Ausstellung Cyber and the City entstanden. Dabei beantworten wir die Fragen: Was ist eigentlich Künstliche Intelligenz bzw. maschinelles Lernen? Welche Technik steckt dahinter? Wer arbeitet an diesem Thema in Tübingen? Und wie wird KI in der Stadt diskutiert?
Welche Herausforderungen begegnen Ihnen bei Ihrer Arbeit?
Die größte Herausforderung ist, dass wir mit ganz vielen verschiedenen Menschen sprechen, die unterschiedliche Wissenshorizonte haben. Schauen wir uns die Ausstellung zu KI an: auf der einen Seite ist da die Professorin, die das Thema wahrscheinlich tausendmal besser umreißen kann als ich. Andererseits spreche ich mit Menschen aus der Stadtbevölkerung, für die auf einmal ich zum Experten werde, obwohl ich technisch gesehen mit dem Thema Künstliche Intelligenz echt wenig am Hut habe. Mittlerweile würde ich schon sagen: ich habe es so halb verstanden, aber technischer KI-Experte bin ich trotzdem nicht. Gelöst haben wir diese Herausforderung dadurch, dass wir ein buntes Team mit interdisziplinärer Expertise zusammengestellt haben. Das waren mein Kollege Thomas Thiemeyer und ich aus der Empirischen Kulturwissenschaft, Ulrike von Luxburg aus der Informatik und dann vom Stadtmuseum Tübingen Guido Szymanska und Wiebke Ratzeburg. Zusätzlich haben ungefähr 35 Studierende aus der Empirischen Kulturwissenschaft und der Informatik im Rahmen von Studienprojekten oder Seminaren an der Ausstellung mitgearbeitet. Natürlich war es erst einmal eine Herausforderung so ein großes Team auf den gleichen Wissensstand zu bringen. Gemeinsam haben wir dann überlegt wie wir das Thema Künstliche Intelligenz so erklären können, dass es die Professorin aber auch die eigene Oma verstehen kann. Wir haben insgesamt über ein Jahr gemeinsam am Konzept gearbeitet. Als Gruppe sind wir dadurch sehr stark zusammengewachsen und haben viel voneinander gelernt.
Was inspiriert Sie?
Das ist eine sehr interessante Frage, über die man häufig gar nicht nachdenkt. Wo kommen meine Ideen eigentlich her? Ich würde sagen bei mir ist es der Alltag, der mich inspiriert. Mir kommen Ideen und Einfälle sehr oft in ganz alltäglichen Momenten – wenn ich auf den Bus warte, durch den Park laufe, wenn ich einkaufe. Deswegen habe ich auch immer so ein kleines Notizbuch dabei, um mir dann sofort aufzuschreiben, was ich gesehen habe. Dinge und Situationen, die mir auffallen, weil sie anders aussehen, aus dem Rahmen fallen oder irgendwie komisch sind – nicht alltäglich eben. Das sind gute Anknüpfungspunkte, um weiter zu denken.
Was schätzen Sie an anderen Menschen am meisten?
Die Offenheit mich an ihren Gedanken und an ihren Perspektiven teilhaben zu lassen, und so auch an ihrer Lebenswelt. Das ist nicht selbstverständlich, und für meine Arbeit als Empirischer Kulturwissenschaftler elementar.
Lesestoff: welches Buch können Sie uns empfehlen?
Ich muss gestehen, dass ich nur im Urlaub zum Freizeit-Lesen komme. Das ist der Moment, in dem ich endlich die Bücher aus dem Regal krame, die ich irgendwann mal geschenkt bekommen, aber einfach noch nicht zu lesen geschafft habe. Mein Lesetipp ist das Buch Verzeichnis einiger Verluste von Judith Schalansky. Es erzählt im Prinzip davon, warum das Vergangene oder das was nicht mehr da ist, allein durch die Erinnerung noch immer so unglaublich nah sein kann. Diese Überlegung zu Erinnerungen und zu Erinnerungskultur finde ich deshalb so spannend, weil sie einen starken Bezug zu meiner Arbeit rund um das Thema neue Technologien hat. Ganz konkret: Wie verändert sich, wie wir uns erinnern? Wie beeinflussen neue Technologien, woran wir uns erinnern und was wir vergessen? Bleibt das Vergessene trotzdem in anderer Form erhalten, zum Beispiel in Sprachbildern? Das finde ich sehr faszinierend.