B 05: Kolonisierung? Imperialismus? Provinzialisierung? – Ressourcen zwischen Konflikt und Integration im phönizisch-punischen Westen des 1. Jahrtausends v. Chr. |
Projektleitung: Prof. Dr. Thomas Schäfer |
Mitarbeiter/ innen: Frerich Schön, Hanni Töpfer |
Kooperationspartner im DFG-geförderten Netzwerk "Von Kanaan nach Gibraltar - die Phönizier im Mittelmeerraum" |
Zusammenfassung
Die Phönizier/Punier waren zentrale Akteure der Mittelmeerwelt des 1. Jt. v. Chr. Die Gründung von Siedlungen und Faktoreien in Nordafrika, auf Malta, Sizilien, Sardinien und der iberischen Halbinsel belegt eine Bewegung der Phönizier von der Levanteküste in den westlichen Mittelmeerraum und zu den angrenzenden Atlantikküsten, die als Paradebeispiel einer ressourcenorientierten Raumerschließung gelten kann. Das Teilprojekt untersucht die soziokulturellen Dynamiken in den Zielregionen dieses Prozesses, der sich in drei Zeitphasen gliedern lässt: eine Formierungsphase, während der in mehreren Wellen phönizische Siedlungsgründungen unterschiedlichen Charakters im westlichen Mittelmeerraum entstanden (10./9.–6./5. Jh. v. Chr.), eine Phase karthagischer Dominanz (6./5. Jh.–146 v. Chr.) sowie eine der Eingliederung der punischen Regionen in den römischen Herrschaftsbereich (3. Jh. v. Chr.–1. Jh. n. Chr.).
Wissenschaftliche Ziele
Während in der ersten Förderphase die Formierungsphase des phönizischen Westens im wissenschaftlichen Fokus steht, bildet die Untersuchung dieser Regionen unter den veränderten Bedingungen der Herrschaft Karthagos bzw. Roms die mittel- und langfristige Perspektive des Teilprojektes.
Das Teilprojekt behandelt ein für den Projektbereich B. BEWEGUNGEN paradigmatisches Forschungsfeld und analysiert die Bedeutung von Ressourcen in Prozessen der Raumerschließung im Rahmen ‚kolonialer‘ Vorgänge. Dabei werden drei eng miteinander verbundene Primärfragestellungen verfolgt:
1. Die Analyse von Expansions-, Herrschafts- und/oder Handelsmechanismen: Ein zentrales Motiv der phönizischen Expansion in den Westen war die Erschließung von mineralischen Rohstoffen. Diese wurden als zentrale Ressourcen im Rahmen der Aufrechterhaltung politischer Bindungen im phönizischen Mutterland (etwa als Tribute an das assyrische Reich) oder als Rohstoffe für die Herstellung von Luxusprodukten im transmediterranen Handel verstanden. Innerhalb weniger Generationen erfolgte die Gründung von Siedlungen zunächst nahe der Erzlagerstätten etwa in Spanien und Sardinien, dann aber auch in vor allem agrarisch nutzbaren Regionen oder an verkehrsgünstig gelegenen Plätzen. Somit entstanden regionalspezifische Ressourcenkomplexe. Teilweise trafen die Phönizier dabei auf unbewohntes Land, zumeist aber auf ‚indigene’ Bevölkerungen, mit denen die Neuankömmlinge zunächst vor allem friedlich interagierten und koexistierten. Die Phönizier integrierten sich in bereits bestehende regionale und überregionale Handelssysteme und schufen ein komplexes transmaritimes Siedlungsnetzwerk, über das der Handel und Austausch von Rohstoffen, Fertigprodukten und Informationen erfolgte. Damit verbunden entstand ein System hierarchisierter und z.T. spezialisierter Siedlungen mit unterschiedlichen Graden an Subsistenz. Untersucht werden soll die innere Dynamik dieser Prozesse, um die Genese und das Funktionieren dieses Netzwerkes und der darin relevanten Ressourcen und Ressourcenkomplexe herauszuarbeiten. Weiterhin werden Formen der Interaktion zwischen den beteiligten Akteuren analysiert, um regional und sozial variierende Handels- und Austauschmechanismen zu beschreiben.
2. Die Konzeptualisierung ‚kolonialer‘ Begegnungen: Wesensmerkmal des phönizischen Ausgreifens in den westlichen Mittelmeerraum war eine Migration von Personengruppen und damit verbunden die Etablierung permanenter Siedlungen in zunächst fremden Milieus. Somit kann dieses Phänomen als koloniales Unterfangen betrachtet werden, das sich in mannigfaltigen Interaktionen mit den neuen Umfeldern, mit ansässigen ‚indigenen’ Bevölkerungsgruppen oder konkurrierenden kolonialen Gruppen äußert und seinen materiellen Niederschlag im archäologischen Befund hinterlassen hat. Für die Untersuchung der Auswirkungen ressourcenorientierter Handlungen in ‚kolonialen‘ und ‚indigenen‘ Gesellschaften und deren Umwelten sowie der Wechselwirkungen zwischen den beteiligten Akteuren in den unterschiedlichen Regionen wird eine vergleichende Regionalperspektive gewählt. Ziel ist es, traditionelle makrohistorische Interpretationsansätze – wie ‚Kolonisierung‘ oder ‚Orientalisierung‘ – zu hinterfragen, konzeptuell neu zu bewerten und teilweise auch zu überwinden.
3. Die Untersuchung von Kulturtransfer und Kulturwandel durch Ressourcennutzung in ‚kolonialen‘ Interaktionsräumen: Im Rahmen ‚kolonialer‘ Begegnungen unterschiedlicher sozialer oder ethnischer Gruppen sind Aspekte des Kulturwandels und Kulturtransfers von zentraler Bedeutung für die Genese spezifischer ‚Ressourcenkulturen‘. Durch die Gründung von permanenten Siedlungen in den Zielregionen des westlichen Mittelmeerraumes wurden Schnittstellen geschaffen, die zwischen den Phöniziern und den einheimischen Kulturen andauernd vermittelten. Durch diese Siedlungen erfolgte nicht nur der Austausch von Waren und Rohstoffen (z. B. Erze oder Hölzer), sondern auch von Wissen und Vorstellungen. Während dieser Prozess in der Forschung lange als Beziehung einer als statisch gedachten, phönizischen Kultur und für ‚überlegene‘ Einflüsse offene, einheimische Kulturen gedeutet wurde, setzen sich inzwischen, beeinflusst durch postkoloniale Ansätze, differenziertere Deutungsmuster durch. Die Neugründungen können als Kontaktzonen beschrieben werden, in denen der Transfer und Wandel von Kultur stets in beide Richtungen erfolgte. Binnen weniger Generationen entstanden so Hybridgesellschaften, die sich aufgrund spezifischer kultureller Praktiken (z. B. Technologien, Konsumgewohnheiten, Grabriten) unterscheiden und die hier beschrieben und verglichen werden sollen. Im Vordergrund steht dabei die Frage, in wie weit den als Triebfeder der ‚kolonialen‘ Bewegung postulierten Ressourcen eine maßgebliche Rolle in diesem Prozess zugeschrieben werden kann.
Bedeutung des Teilprojekts für den SFB
Das Teilprojekt bringt mit diesem Fragenkomplex ein zentrales Forschungsfeld in den Projektbereich Bewegungen ein, das auf die Rolle der Ressourcen bei der Erschließung neuer ökologischer und politischer Räume oder der Bildung von Kommunikations- und Handlungsnetzwerken zielt. Traditionell wird in diesem Forschungsfeld ein nicht mehr zeitgemäßes, zugleich eher behauptetes als durch übergreifende Untersuchungen nachgewiesenes Bild von ‚Kolonisationsvorgängen‘ vertreten, in dem Ressourcen im Sinne ‚natürlicher Ressourcen‘ als Auslöser der phönizischen, punischen und römischen ‚Kolonisationen‘ gelten und in dem ‚Kolonisatoren‘ und sogenannte ‚Indigene‘ als monolithische Blöcke analog zum Gegensatz ‚Erste Welt‘ und ‚Dritte Welt‘ gefasst werden. Der dem SFB zu Grunde liegende Ressourcenbegriff, der Ressourcen als sozial und kulturell geprägte Konstrukte versteht und in Hinblick auf praktische Nutzung und symbolische Inanspruchnahme analysiert, eröffnet den Rahmen für eine komparative Untersuchung regional und kulturell zu unterscheidenender Kontexte.
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