Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2011: Forschung

Wenn der Urinbeutel zum Sicherheitsrisiko wird

Neues Forschungsprojekt KRETA am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Universität Tübingen

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert im Rahmen des Programms „Forschung für die zivile Sicherheit“ das neue Forschungsprojekt „Körperscanner: Reflexion der Ethik auf Technik und Anwendungskontexte (KRETA)“ des Internationalen Zentrums für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Universität Tübingen mit 1,18 Millionen Euro. In dem Projekt KRETA soll die Einführung und Nutzung von Sicherheitstechnologien, speziell der Technologie des Körperscanners, ethisch wie sozialwissenschaftlich analysiert werden. Die Leitung des im Forschungsschwerpunkt Sicherheitsethik angesiedelten Projekts hat Professor Dr. Regina Ammicht Quinn inne.


Körperscanner sind mittlerweile feste Bestandteile des Sicherheitsdiskurses geworden. In Hamburg wurden bereits erste Feldtests durchgeführt, die nun öffentlich diskutiert werden. Obwohl die Geräte in der Regel keine „Nacktscanner“ mehr sind – also keine Bilder des nackten Körpers mehr produzieren, sondern abstrakte Abbildungen –, bleiben wichtige Problemlagen ungeklärt.


Der Einsatz von Körperscannern könnte zur Benachteiligung jener Menschen führen, deren Körper nicht normgerecht ist: Wie funktionieren Kontrollen bei Menschen mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen oder bei Menschen mit verdeckten Behinderungen? Werden Menschen gezwungen sein, Brustprothesen, Urinbeutel oder Windeln vor Dritten offen zu legen? Welche Auswirkungen auf die Normalitätsvorstellungen einer Gesellschaft sowie auf die Alltagsnormalität von Behinderten wird es haben, wenn Menschen mit Behinderungen von Sicherheitstechnologien vermehrt als „abweichend und gefährlich“ detektiert werden?


„Eine der grundlegenden Fragen“, so Regina Ammicht Quinn, „lautet also, ob einzelne Bevölkerungsgruppen benachteiligt werden dürfen, um die Sicherheit vieler zu erhöhen?“ „Gerechtigkeit“ soll vor diesem Hintergrund durch das Projekt als Kategorie der Gestaltung und Bewertung von Sicherheitshandeln erprobt werden. Die Frage nach Gerechtigkeit wird jedoch nicht nur im Fall der verdeckten Behinderungen zur zentralen Frage, sondern auch dort, wo Menschen eines bestimmen Aussehens, einer bestimmten Herkunft oder Religion anders behandelt werden als andere.


Die ethische Forschung des Projektes findet nicht im Nachhinein, sondern bereits im Prozess der Technikentwicklung bzw. Implementierung statt. Dies geschieht in engem Kontakt mit Forschergruppen, die im Rahmen von anderen BMBF-Projekten mit der Entwicklung von Körperscannern befasst sind. Für die Forschungsreihen des Tübinger Projekts wird ein eigener Körperscanner zur Verfügung stehen.


Michael Seifert