Uni-Tübingen

Teilprojekt F06: Humor in sozialen Bewegungen 1975-86: Dis-ordering und re-ordering durch affektive Strategien der Diagnose und Mobilisierung

Abstract

Teilprojekt F06 untersucht zwei zentrale Protestbewegungen der 1970er/1980er Jahre (Friedens- bzw. Anti-Atomkraftbewegung und Frauenbewegung) unter der Fragestellung, welche Rolle Humor in ihnen spielte. Nachgegangen wird dabei vor allem der Frage, in welchem Verhältnis die (nach außen gerichteten) subversiven und (nach innen wirkenden) gemeinschaftsbildenden Funktionen des Humors zueinander standen und welche Rolle Emotionen für Mobilisierungsleistungen und -strategien zukommen kann.

Projektteam

Projektleitung:
Prof. Dr. Monique Scheer

Mitarbeiter:

Ernst Henning Hahn

Hilfskräfte:

N.N.

Fachgebiete und Arbeitsrichtung

Empirische Kulturwissenschaft/Europäische Ethnologie

Projektbeschreibung

Die Forschung zu Emotionen in sozialen Bewegungen hat sich bisher vor allem mit den ernsten und negativen Gefühlen (Angst, Wut, Scham) beschäftigt; erst in neuester Zeit hat sie sich dem ‚Spaß‘ zugewandt. Dieser Gegenstand drängt sich auch nach den ersten Ergebnissen der von Prof. Dr. M. Scheer betreuten Untersuchung vom Stuttgart 21-Protest (im Zusatzverbund der ersten Förderphase des SFB) auf, da er sich vom Stil her im Spannungsfeld zwischen älteren Protesttraditionen und den neueren ‚Spaß-Demos‘ positioniert. Deshalb will dieses Teilprojekt nach deren Vorgeschichte fragen, nach der Präsenz und Funktion des Humors in Protestbewegungen der 1970er und 80er Jahre. Die Ausgangsthese lautet: Nicht nur Angst und Wut, sondern auch der Humor ist ein wichtiger Kommunikationsmodus im Protest, sowohl aufgrund der Möglichkeiten der Ordnungsthematisierung, die er eröffnet, als auch aufgrund der Emotionen, die er mobilisiert. Mit Humor werden sowohl die Bedrohungsquelle benannt (Diagnose) als auch Protestierende vergemeinschaftet und zum Handeln bewegt (Mobilisierung), aber vermutlich in anderer Weise als über negative Emotionen. Humor kann subversiv wirken, die Machtverhältnisse auf den Kopf stellen, die Ordnung selbst bedrohen; er sorgt aber auch für die Kohäsion der Gruppe. Die Untersuchung wird nach Humor, Ironie und Satire in der populär produzierten Bedrohungskommunikation suchen, und zwar in Szene-Publikationen (Text/Diskurs) und auf der Straße in Protestaktionen (Performanz/Praxis).

Dabei werden der Humor und das Lachen als emotionale Praxis thematisiert, da die kognitive Dimension des Witzes nicht von der Körperpraxis des Lachens grundsätzlich getrennt werden soll. Das ‚Ansteckungspotential‘ des Lachens – so die These – stellt eine wichtige Grundlage für die Mobilisierung in sozialen Bewegungen dar. Das Projekt verbindet also die volkskundliche Humorologie mit der neueren sozialwissenschaftlichen Forschung zu Emotionen in sozialen Bewegungen.

Um die spezifische Funktion des Humors herausarbeiten zu können, werden zwei Teile der Neuen Sozialen Bewegungen zwischen 1975 und 1986 vergleichend untersucht, die je eine andere Bedrohungsquelle diagnostizieren und somit unterschiedliche Bewältigungspraxen bzw. Strategien entwickeln: die Friedens- und Antiatomkraftbewegung einerseits und die Frauenbewegung andererseits. Die erste identifizierte die Kernkraft als existenzielle Bedrohung, setzte v.a. auf Angst, konnte aber auch sekundär bedrohend gegenüber ihren politischen Gegnern agieren. Die Frauenbewegung setzt hier die Akzente umgekehrt: Sie will primär die Geschlechterordnung bedrohen. Sekundär thematisierte sie aber auch das Bedrohtsein von Frauen. Die Frage ist also, inwiefern diese kontrastierenden Perspektiven (Bedrohte vs. Bedrohende) unterschiedliche Nutzungsweisen, Bedeutungen und Funktionen des Humors bedingen. Sie ist eingebettet in der Frage nach affektiven Strategien der Protestmobilisierung in der Blütezeit des Alternativmilieus.

Die politisch heterogene Anti-Atombewegung wurde durch die Überzeugung geeint, dass die Atomkraft eine Gefahr darstellt. Sowohl das Risiko durch menschliches Versagen, Angriffen oder Naturkatastrophen als auch die Strahlungen, die vom Normalbetrieb und von der Lagerung der Abfallprodukte ausgehen, werden von allen Gruppen befürchtet. Auch wenn sie dabei unterschiedliche Schwerpunkte setzen, sehen alle darin eine Gefährdung der Gesundheit der Menschen, die in einem nicht akzeptablen Verhältnis zu den Vorteilen steht. Gemeinsam ist ihnen auch die Art der Bedrohungskommunikation, die in erster Linie Emotionspraktiken der Angst einsetzt. Als Protestteilnehmende beteiligen sie sich aber auch an einer Bedrohung einer sozialen Ordnung, die diese Nutzung der Kernenergie positiv bewertet und zulassen will. Die Frauenbewegung entstand ebenfalls zum Teil aus dem Gefühl einer Bedrohung der Frauen durch Vergewaltigung usw. und die Arbeit an diesem Gefühl war eine zentrale politische Aufgabe. Aus Angst sollte Freude werden, an die Stelle von Scham sollte Stolz treten – eine für soziale Bewegungen typische Art, Emotionen zu modellieren. Die emotionale Gemeinschaft mit Frauen war Teil dieses Programms: das Lachen über die Männer, die sie bedrohten, und über die Geschlechterordnung an sich stiftete ein solches Gemeinschaftsgefühl. Für beide Bewegungen gilt die Hypothese, dass der Humor sowohl entlastende, subversive und gemeinschaftsbildende Funktionen erfüllte – in unterschiedlichen Gewichtungen, deren Vergleich Teil der Analyse sind wird. Auch der Verlauf – z.B. von eher subversivem Lachen zu mehr gemeinschaftsförderndem Lachen – wird zu analysieren sein.

Die theoretische Rahmung rechtfertigt die Methode des Teilprojekts: Humorvolle Emotionspraktiken sind kognitiv und performativ, deshalb können sowohl schriftliche und bildliche als auch rituelle und körperliche Kommunikationsformen untersucht werden, die ja im Protestgeschehen ineinander übergehen: Plakate werden gebastelt, Reden gehalten und Lieder gesungen, die Freude und Lachen verursachen sollen. Bilder und Sprüche werden veröffentlicht oder an öffentlichen Stellen dauerhaft angebracht, um besichtigt und gelesen zu werden: das Protest-Lachen soll ja das Protest-Geschehen überdauern. Das Lachen in der Situation des Protests und der Humor, der im Umfeld, vor und nach den Protestereignissen verbreitet wird und vorbereitend oder habitualisierend wirkt, sollen zusammen untersucht werden. Beide Ebenen sind Teil der Emotionsgeschichte des Protestmilieus der 1980er Jahre: Worüber hat man (regelmäßig im Alltag und in der Situation der Kundgebung usw.) gelacht und Witze gemacht – und worüber konnte nicht gelacht werden? Wurden bestimmte Witze sanktioniert? Von wem? Konflikte und Aushandlungsprozesse, die sich am Humor entzündet haben, sollen Aufschlüsse über den Verlauf und Wandel der Bedrohungskommunikation geben.

Projektbezogene Vorträge und Publikationen

  • Hahn, Ernst Henning, Jan Sändig, Felix Schaefer, Annette Schramm, Marie Schreier und Joachim Werz: Macht und Mobilisierung in bedrohten Ordnungen, in: Ewald Frie/Mischa Meier (Hgg.), Bedroht sein. Gesellschaften unter Stress im Vergleich (Arbeitstitel), Tübingen 2018 (geplant).
  • 29.06.2018: Vortrag "Humor (h) = Epistemic Content (ec) in Affective Politics (ap) of Protest (p): h=ec*ap/p" in Panel IV "The Power of Knowledge. Emotional and Humorous Practices in the Context of Protest", Conference Bedrohte Ordnungen IV "What Do We Still Know? Knowing and Forgetting in Times of Threat" (SFB/Tübingen).
  • 12.10.2016: Vortrag ‚Humor as a Strategy of Mobilization in Social Movements’ mit dem Schwerpunkt ‚Medialität emotionaler Bedrohungskommunikation’ bei dem gemeinsam mit TP G07 (Media Reflections after the Attacks of 9/11) organisierten Workshop ‚Mediality and Politics of Emotions’ (SFB/Tübingen).
  • 24.-30.07.2016: Teilnahme und Mitorganisation der SIEF Summer School 2016 (LUI/Tübingen)
  • 03.06.2016: Die SFB-interne Planung und Durchführung des Mini-Workshops mit Prof. Dr. Andreas Reckwitz (Frankfurt Oder) wurde übernommen (SFB/Tübingen).
  • 02.06.2016: Vortrag ‚Humor as a Strategy of Mobilization in Social Movements‘ mit dem Fokus auf den möglichen Funktionen von Humor in Mobilisierungsprozessen bei dem von TP F07 (Land-Grabbing) organisierten Workshop mit Prof. Hank Johnston (SDSU, CA, USA) mit dem Titel „Social Movements“ (SFB/Tübingen).
  • 29.-31.01.2016: Vortrag „Humor als emotionale Praktik sozialer Bewegungen“ auf der jährlichen Instituts-Klausurtagung des LUI (Tübingen) in Inzigkofen

Tagungen, Workshops, Konferenzen

  • 28.-30-06.2018: Organisation und Moderation Panel IV "The Power of Knowledge. Emotional and Humorous Practices in the Context of Protest", Conference Bedrohte Ordnungen IV "What Do We Still Know? Knowing and Forgetting in Times of Threat" (SFB/Tübingen).
  • 05.-06.05.2017: „Humor as a Strategy of Mobilization“ at the First Mobilization Conference on Social Movements and Protest: Nonviolent Strategies and the State (San Diego State University, CA, USA)
  • 26.-30.03.2017: „Dwellternative !? Alternative Lifestyle – Resistance – Utopia in West Germany’s Anti-Nuclear-Movement “ in the panel ‚Occupying Spaces. Dwelling as resistance‘ at SIEF2017 13th Congress: Göttingen, Germany. Theme “Ways of Dwelling: Crisis - Craft – Creativity” (SIEF/Göttingen).

Rezensionen