Uni-Tübingen

Teilprojekt F04: Panama: Re-ordering nach dem schottischen Darién-Kolonialprojekt (1697/98-1700)

Abstract

Teilprojekt F04 untersucht re-ordering-Versuche innerhalb des spanischen Kolonialreiches, speziell im Großraum Panama, nach dem schottischen Darién-Kolonialprojekt (1697-1700). Es interessiert sich dabei einerseits dafür, auf welchen Ebenen (lokal-global) und mit welchen Mechanismen und Kommunikationsstrategien Ressourcen mobilisiert wurden, möchte aber andererseits auch be¬leuchten, wie sich weitere Faktoren (Interessen indigener Akteure vor Ort, Zeit- und Ressourcen¬knappheit, Struktur des spanischen Kolonialreiches) auf diese Mobilisierungsprozesse auswirkten.

Projektteam

Projektleitung:

Prof. Dr. Renate Dürr

Mitarbeiterin:

Marie Schreier

Hilfskräfte:

N.N.

Fachgebiete und Arbeitsrichtung

Frühneuzeitliche Geschichte

Projektbeschreibung

Ausgangspunkt des Teilprojektes ist das sogenannte Darién Scheme der Company of Scotland Tra­ding to Africa and the Indies. Die schottische Handelskompanie war 1695 gegründet worden und hatte das Ziel, eine von England eigenständige Wirtschafts- und Handelspolitik Schottlands zu befördern. Gut zwei Jahre später startete die erste Expedition unter William Paterson an die Darién-Mündung in der spanischen Audiencia von Panama. Im Unterschied zu allen früheren Versuchen der europäi­schen Konkurrenten Spaniens einer Koloniegründung in dieser strategisch so wichtigen Region zwi­schen dem Atlantik und dem Pazifik, gelang es den Schotten – wenn auch nur für kurze Zeit – eine Siedlung zu gründen. Dies traf Spanien in einer Zeit großer Unruhe, da man sich dort um 1700 dessen bewusst war, dass das Königreich aufgrund der prekären Nachfolge auf den kinderlosen König Karl II. zum politischen Spielball sämtlicher europäi­scher Mächte werden könnte und dass die wirtschaftliche Vorrangstellung Spaniens durch den Auf­stieg Englands, der Niederlande und Frankreichs seit geraumer Zeit zurückgedrängt worden war. Die durch das schottische Darién-Scheme in Spanien ausgelöste Bedrohungskommunikation war umso größer, als Panama seit dem 16. Jahrhundert als die Achillesferse von Spanischamerika galt: Die Region war als Bindeglied zwischen Atlantik und Pazifik und für den Verlauf der Silberhandelsrouten von Peru nach Spanien von großer strategischer und wirtschaftlicher Bedeutung, durch die geographischen und klimatischen Bedingungen vor Ort war aber nur eine sehr spärliche militärische und institutionelle Durchdringung möglich.

Trotzdem funktionierte die in der Frühzeit der mittel- und süd­amerikanischen Eroberungen entstandene wirtschaftlich-militärische Ordnung lange Zeit erstaunlich gut. Neuere Forschungen haben an unterschiedlichen Regionen des spanischen Königreichs zeigen können, dass die im 16. Jahrhundert entwickelte Verwaltungs­struktur des spanischen Königreiches sehr effizient war. Bis weit in das 18. Jahrhundert hinein kann das spanische Königreich als ein typisches Beispiel einer composite monarchy verstanden werden, eines vergleichsweise lockeren Verbunds unterschiedlicher Königtümer und Herrschaften also, die weite Teile ihre Eigenständigkeit bewahren konnten. Die Effizienz des spanischen Verwaltungssystems wiederum beruhte nicht auf absolutistisch-zentralisierten Entscheidungsstrukturen, sondern auf der Bedeutung von Information als Grundlage für die Entscheidungen des Königs und des Indienrats. Dieses engmaschige Informationssystem, in dem verschiedene Akteure ihren Teil zum Gesamtwissensbestand aller Beteiligten beitrugen, stärkte die Bedeutung des lokalen Wissens der Akteure vor Ort und die Eigenständigkeit der lokalen Verwaltungen. So hatte sich in Panama seit 1635 das so genannte System Carrisoli etabliert, das auf einem fein ziselierten System der Herrschaftsüber­tragung an einzelne Bevölkerungsgruppen der einheimischen Tule basierte, die folglich um 1700 auf eine lange Tradi­tion der Kommuni­kation mit und der Durchsetzung ihrer Interessen gegenüber dem spanischen Kö­nigreich zurückblicken konnten. Diese Ordnung war damit eine spanische, insofern sie die Interessen des spanischen Königreiches durchzusetzen verhalf. Sie war eine kreolische, inso­fern die Vertreter des spanischen Königs und des Vizekönigs von Peru in der Audiencia von Panama recht eigenständig handeln konnten und die einzigen waren, die mit den indigenen Gruppierungen in direktem Kontakt standen. Sie war eine indigene, insofern zumindest die jeweils privilegierten Ver­bände innerhalb der Tule ebenfalls ein Interesse an der Aufrechterhaltung der von ihnen mit gestalte­ten Ordnung hatten.

Erst das Eindringen anderer europäischer Mächte in den Karibikraum ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts stellte eine neue Herausforderung für die etablierte Ordnung dar. Einerseits war das spanische Handelsmonopol mit den eigenen Kolonien durch Schmuggel und die zunehmende Beteiligung anderer Europäer am Kolonialhandel zunehmend bedroht, andererseits stellte die Präsenz von (vornehmlich französischen und englischen) Freibeutern die spanische Kolonialverwaltung vor erhebliche verteidigungspolitische Schwierigkeiten. Das erfolgreiche Eindringen eines europäischen Konkurrenten in Gestalt der schottischen Siedler wurde daher als Signal interpretiert, das zu einem entschlossenen militäri­schen Gegenschlag aufforderte.

Hier setzt das Teilprojekt an:

  • Mit Bezug auf neuere Ansätze der Verflechtungsgeschichte und der colonial studies nimmt das Projekt die spanische Reaktion auf das Darien-Projekt in den Blick und fragt danach, wie und unter welchen Umständen Ressourcen für die Vertreibung der Schotten mobilisiert wurden.
  • Als Ressourcen versteht das Teilprojekt dabei sowohl militärische Güter und die Finanzmittel, die für deren Beschaffung bereit gestellt werden mussten, als auch abstrakte „Güter“ wie Herrschaftswissen und -übertragung, Verhandlungsführung/ Koalitionsbildung, Handelsbeziehungen und die Informationen über lokale Gegebenheiten („lokales Wissen“) wie auch die Zeit, über die man zu verfügen glaubte.

Die Mobi­lisierung die Ressourcen erfolgte auf zwei Ebenen:

  1. Auf der Ebene der spanischen Kolonialverwaltung: Aufgrund der großen Bedeutung, die man in Spanien den Informationen und deren Interpretation aus Lateinamerika zuwies, kann die Kommunikation innerhalb der königlichen Verwaltung nicht einfach als eine Top-down-Kommunikation interpretiert werden. Stattdessen ist sie als Netz von Kommunikationsbeziehungen zu verstehen, in dem verschiedene Stellen in unterschiedlichem Maße zur Informationsgenerierung und zum Informationsfluss beitru­gen und eine ganz eigene Gestaltungsmacht bzw. Deutungshoheit entwickeln konnten. Damit wird die Seite der „Spanier“ differenziert, die nicht grundsätzlich mit einer Zunge sprachen und nicht immer die dieselben Interessen vertraten.
  2. Auf der lokalen Ebene in Panama, in welcher sich die Situa­tion aufgrund der Vielzahl von Akteuren noch einmal deutlich komplexer gestaltete. Vor allem ist auf die Eigen­ständigkeit und die vergleichsweise großen Handlungsoptionen der lokalen Bevölkerung vor Ort zu verweisen, deren Interessen nicht einfach als pro- oder antispanisch interpre­tiert werden können. Die Ausgangsthese des Teilprojektes ist, dass sich aus Sicht der indigenen Bevölkerung mit der verschärften Konkurrenz europäischer Akteure in diesem Raum deren Handlungsoptionen vervielfältigten. Weil die Tule nicht zuletzt diejenigen waren, die über zentrales loka­les Wissen verfügten, war deren Einfluss auf die Mobilisierung von Ressourcen von zentraler Bedeutung.

Die Wechselbeziehung zwischen diesen Ebenen und den in ihnen agierenden Akteuren stehen im Zentrum der Untersuchung. Außerdem lässt sich am gewählten Beispiel auch untersuchen, wie die Beteiligten über mögliche (ungeplante) Folgen ihrer re-ordering-Versuche diskutierten und an wel­chen Stellen sie zu Abstrichen bereit waren. So ist beispielsweise der Aspekt der Verknappung/ Begrenztheit von Ressourcen in mehreren Hinsichten (Zeit, Truppen, Naturwidrigkeiten, …) von Bedeutung.

Mit dieser Fragestellung wird das Teilprojekt einen Beitrag zur Debatte über die Vielfalt von Akteursperspektiven in nichtzentralisierte Verwaltungsstrukturen (Stichwort composite monarchy) leisten. Außerdem kann es zu dem für den SFB maßgeblichen Ziel der Erneuerung der Raum- und Zeitkategorien der Sozial- und Kulturwissenschaften beitragen und durch die Untersuchung der Bedeutung von Information und Herrschaftsübertragung für das Konzept von „Ressourcen“ bei der Schärfung dieses Begriffes helfen.

Projektbezogene Vorträge und Publikationen

Folgen

Renate Dürr:

  • 2015: Heidelberg, Tagung AG Frühe Neuzeit („Globale Verflechtungen – Europa neu denken“), Organisation und Leitung der Sektion: „Entangled in Global Networks: Practices, Actors, and Objects in Natural History“; Schlusskommentar am Ende der Tagung.
  • Renate Dürr, Sovrannaturale e meraviglioso nella religiosità quotidiana della Germania riformata, in: Marina Caffiero (Hg.), Superstizione, magia e religione: percezione e demarcazione dei confini, Rom 2015, S. 101-123
  • Renate Dürr, Aneignungsprozesse in der lutherischen Kirchweihe (16.- 18. Jahrhundert), in: Irene Dingel/ Ute Lotz-Heumann (Hg.), Entfaltung und zeitgenössische Wirkung der Reformation im europäischen Kontext, Gütersloh 2015, S. 318-344.
  • 2016: Wolfenbüttel: Internationale Tagung “The Cultural History of the Reformation: Current Research and Future Perspectives”, Organisation: Prof. Dr. Susan Karant-Nunn (Tucson, Arizona)/ Prof. Dr. Ute Lotz-Heumann (Tucson, Arizona); Vortrag: “Luther and Acosta: challenges of translation”.
  • 2016: Utrecht (NL): Methological Approaches to the Investigation of Processes of Conversion and Religious Hybridization. A multidisciplinary workshop, organized by Dr. Elaine Pereira Farrell, Dr. Rob Meens, Dr. Carine van Rhijn; Vortrag: “Conversions in the New World: some case studies from the Jesuit missions in Spanish America”
  • 2017: Fribourg (CH): Internationale Tagung „250 Jahre nach Auflösung der Jesuitenmissionen in Spanisch-Amerika (1767): Hintergründe – Forschungsdebatten – neue Perspektiven“, Organisation: Prof. Dr. Mariano Delgado; Vortrag: „‘The Shepherd’s Boy in the Fable – zum Umgang mit gefährlichem Wissen in der Aufklärung“
  • Renate Dürr, Early modern translation theories as mission theories: A case study of José de Acosta “De procuranda indorum salute” (1588), in: Cultures of Communication, Theologies of Media in Early Modern Europe and Beyond, hrsg. von Helmut Puff/ Ulrike Strasser/ Christopher Wild, Toronto 2017, S. 209-227
  • Renate Dürr, Akkommodation und Wissenstransfer. Neuerscheinungen zur Geschichte der Jesuiten in der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für historische Forschung 44 (2017), S. 487-509
  • Renate Dürr, Found in Translation – the search for similarities between cultures at the time of the Reformations, in: Archive of Reformation History 108 (2017), S. 191-201
  • Renate Dürr, Reflection on Language in Christian Mission: The Significance of Communication in the Linguistic Concepts of José de Acosta SJ and Antonio Ruiz de Montoya SJ, in: Antje Flüchter/ Rouven Wirbser (ed.), Translating catechisms, Translating Culture. The Expansion of Catholicism in the Early Modern World, Leiden/ Boston 2017, S. 50-91
  • Renate Dürr, Early modern translation theories as mission theories: A case study of José de Acosta “De procuranda indorum salute” (1588), in: Cultures of Communication, Theologies of Media in Early Modern Europe and Beyond, hrsg. von Helmut Puff/ Ulrike Strasser/ Christopher Wild, Toronto 2017, S. 209-227
  • Renate Dürr, “Das Paradies im fernen Osten: die Chronologie Joseph Stöckleins S.J. (1729) als Kommentar zur Zeitgeschichte“, in: Religiöses Wissen im vormodernen Europa – Schöpfung, Mutterschaft, Passion, ed. by Renate Dürr, Annette Gerok-Reiter, Andreas Holzem, Steffen Patzold (forthcoming).
  • Renate Dürr, Found in Translation – the search for similarities between cultures at the time of the Reformations, in: Archive of Reformation History (2017) (i.Dr.)
  • Renate Dürr, Reflection on Language in Christian Mission. The Significance of Communication in the Linguistic Concepts of José de Acosta S.J. and Antonio Ruiz de Montoya S.J., in: Antje Flüchter (Hg.), Translating Catechisms. Entangling Christian History, Brill Leiden/ New York (i.Dr.)
  • Renate Dürr, Mapping the miracle: empirical approaches in the 18th century Exodus debate, in: Past and Present (2017) i.Dr.
  • Renate Dürr, Luther and Acosta: the challenges of translation, in: The Cultural History of the Reformation, ed. by Susan Karant-Nunn/ Ute Lotz-Heumann (i.Dr.)
  • Renate Dürr, Locating Paradise in China: Joseph Stöcklein’s Chronology (1729) in Context, in: German History (2018), angenommen

 Marie Schreier:

  •  „Macht und Mobilisierung in bedrohten Ordnungen“ (Aufsatz aus dem AK Macht & Mobilisierung/Ellwangen I)
  •  “Scottish Interlopers and Indigenous Resistance: Threats to The Spanish Empire in Late 17th Century Panama” (Workshop Representations of External Threats, Madrid)
  • Marie Schreier. ‘Scottish Interlopers and Indigenous Resistance. Threats to the Spanish Empire in Late 17th-Century Panama.’, In: Eberhard Crailsheim/María Dolores Elizalde (Hgg.), “Representations of External Threats in History: Medieval World to 19th Century”. erscheint voraussichtlich im März 2019 bei Brill
  • Ernst Henning Hahn/Jan Sändig/Felix Schäfer/Annette Schramm/Marie Schreier/Joachim Werz. ‚Macht und Mobilisierung in bedrohten Ordnungen.‘ (Eingereicht März 2017; soll in einem Sammelband der SFB-Schriftenreihe erscheinen, der aber seit März 2017 auf Eis liegt, da noch Beiträge anderer Autoren fehlen)
  • Florian Batistella/Annette Schramm/Marie Schreier. ‚Conference Report. Bedrohte Ordnungen IV/Threatened Orders IV: What Do We Still Know? Knowing and Forgetting in Times of Threat’ (Eingereicht Oktober 2018; erscheint voraussichtlich noch in diesem Jahr)
  • ‘The Spanish Reaction to the Scottish Darien-Colony in 17th Century Panama’, Fourth Summer Academy of Atlantic History, 25-28 August 2015, Lancaster, UK
  • ‘Disignios tan contrarios al Real servicio de Nuestra Magestad y a los intereses de la nacion española – The Scottish Darien Colony in the Perception of the Spanish Colonial Administration (1696-1701)’, Best Laid Plans: A Colloquium About Schemers and Their Schemes, 8-9 April 2016, London, UK
  • ‘Scottish Interlopers and Indigenous Resistance: Threats to the Spanish Empire in Late 17th Century Panama’, Representations of External Threats in History (Workshop), 11-12 May 2017, Madrid, Spain
  • ‘The Limits of Mission and Imperial Control: The Case of Early Modern Panama’, Cambridge-Tübingen-Workshop, 18-19 September 2017, Cambridge, UK
  • The Spanish Reaction to the Scottish Darien-Colony in 17th Century Panama’, Fourth Summer Academy of Atlantic History, 25-28 August 2015, Lancaster, UK
  • ‘Disignios tan contrarios al Real servicio de Nuestra Magestad y a los intereses de la nacion española – The Scottish Darien Colony in the Perception of the Spanish Colonial Administration (1696-1701)’, Best Laid Plans: A Colloquium About Schemers and Their Schemes, 8-9 April 2016, London, UK
  • ‘Scottish Interlopers and Indigenous Resistance: Threats to the Spanish Empire in Late 17th Century Panama’, Representations of External Threats in History (Workshop), 11-12 May 2017, Madrid, Spain
  • ‘The Limits of Mission and Imperial Control: The Case of Early Modern Panama’, Cambridge-Tübingen-Workshop, 18-19 September 2017, Cambridge, UK
  • ‘The Limits of Mission and Imperial Control: The Case of Early Modern Panama’, Borderlines. Transgression and Social Culture in Europe, c.1500-2000, 29 November – 1 December 2017, Tübingen, Germany
  • ‘Indigenous Agency as Threat: The Case of Late 17th Century Panama’, The Forum on European Expansion and Global Interaction (FEEGI), 23-24 February 2018, Honolulu, Hawaii

Tagungen, Workshops, Konferenzen

  • International Conference "Knowledge and Governance in the Early Modern Spanish Empire", Tübingen, 29.-30. November 2018, organisiert von Projekt F04