Projektbereich D: Ordnungskonkurrenz
Beschreibung
Der Projektbereich D umfasst Ordnungen, die von außen bedroht sind, ohne dass diese Bedrohung unmittelbar evident wäre. Es bedarf der Etablierung einer wechselseitigen Bedrohungskommunikation. In Anlehnung an den Kommunikationswissenschaftler Klaus Beck kann unter Bedrohungskommunikation derjenige Zeichenprozess verstanden werden, der sich aus dem wechselseitig aufeinander bezogenen und auf gegenseitiger Bedrohungsimagination beruhenden kommunikativen Handeln von Akteuren mindestens zweier Ordnungen entwickeln kann. Bedrohungskommunikation kann demzufolge nicht nur Sprache umfassen, sondern als intentionaler, wechselseitiger Zeichenprozess auch nonverbale Handlungen, wie Riten, Symbole und Gesten. Gleichzeitig schließt Bedrohungskommunikation sowohl das Kommunizieren über Bedrohung als auch das gegenseitige Sich-Bedrohen ein. Die Rede von gegenseitiger Bedrohungsimagination im Rahmen der Bedrohungskommunikation bietet sich deshalb an, weil dieser Begriff sowohl die Wahrnehmung als auch die Deutung von realen und fiktiven Bedrohungen umfasst. Darüber hinaus sind bei der Untersuchung von Bedrohungskommunikation Konzepte von Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung von Relevanz, die in allen Teilprojekten eine wichtige Rolle spielen. Die starke Gegenüberstellung von vormoderner und moderner Öffentlichkeit in der bisherigen Forschung (Ferdinand Tönnies, Niklas Luhmann, Jürgen Habermas) ist indes aus historischer Perspektive kritisch zu betrachten, da dieses Verständnis von Öffentlichkeit nur auf „westlich-moderne“ Gesellschaften anwendbar ist. Vielmehr können Entwürfe zu Öffentlichkeit und Öffentlicher Meinung angepasst und sowohl auf Gesellschaften sozialistischer Prägung als auch die Zeit vor 1800 übertragen werden. Es ist davon auszugehen, dass Bedrohung je nach Grad der Öffentlichkeit – hier als Anzahl der Beteiligten und möglichen Rezipienten verstanden – in anderer Form artikuliert wurde.
Unter „Ordnungskonkurrenz“ werden näherhin Phasen und Situationen verstanden, in denen Vertreter zweier Ordnungen mit gesamtgesellschaftlichem Geltungsanspruch im Untersuchungszeitraum vom 3. bis zum 20. Jhd. n. Chr. sich gegenseitig als existenziell bedrohlich wahrnehmen, ihre Bedrohungsannahme über die Dramatisierung einer bereits unterschwellig vorhandenen Bedrohungskommunikation hegemonial zu machen versuchen, um dann Strategien der Verteidigung, des Angriffs, aber auch der Teiladaption zu entwickeln. Die jeweils konkurrierende Ordnung wird als fremd, der eigenen Ordnung nicht zugehörig und sie von außen gefährdend wahrgenommen. Für die Untersuchung von Ordnungskonkurrenzen ist daher die Erfassung und Beschreibung von Feindbildern unerlässlich. Das Vorhandensein von Feindbildern ist ein wichtiger Indikator dafür, ob eine Ordnungskonkurrenz vorliegt oder nicht. Unter einem Feindbild versteht die Feindbildforschung eine kulturell codierte negative Einschätzung eines anderen, die eine kognitive, eine affektive und eine handlungsleitende Komponente besitzt. Dass Feindbilder also nicht nur stark verallgemeinernde Vorstellungen sind, die der Reduzierung von Komplexität dienen – darin besteht der kognitive Aspekt –, sondern darüber hinaus Rückschlüsse ermöglichen auf die emotionale Beteiligung von Akteuren, bietet einen wichtigen Ansatzpunkt, wie das für den ganzen SFB zentrale Thema der Emotionalität erfasst werden kann. Im Rahmen des SFB kommt dem Feindbild darüber hinaus eine prominente Rolle im Bereich der Bedrohungskommunikation zu. Denn am Feindbild einer Gruppe lässt sich das Ausmaß des subjektiven Bedrohungsgefühls eruieren, wobei es im Besonderen lohnenswert ist, im Einzelfall zu untersuchen, wie dieses Bedrohungsgefühl sprachlich artikuliert wird. Neben der externen Fixierung von Feindbildern auf den als negativ und bedrohlich stilisierten „Anderen“ ermöglichen Feindbilder immer auch einen Blick nach innen, da sie der Identitätsfindung bzw. Identitätsstabilisierung einer Gruppe dienen, die sich in einer Konkurrenz zu einer anderen Gruppe sieht.
Das mit Ordnungskonkurrenz umschriebene Problemfeld ist wissenschaftlich nicht unbearbeitet. Klassiker der Soziologie wie Norbert Elias (Königsmechanismus) oder Karl Marx (Bonapartismus) haben historische Momente beschrieben, in denen gesamtgesellschaftliche Großgruppen um Hegemonie rangen, ohne dass sich sofort ein Sieger abzeichnete. Marx und Elias haben derartige Kippsituationen unentschiedener Macht als Auslöser für neue soziale Wandlungsprozesse und überraschende politische Konfigurationen ausgemacht. Ihre luziden Aussagen sind freilich jeweils aus einer spezifischen historischen Konstellation heraus formuliert und bleiben auf diese bezogen. Die historische und kulturwissenschaftliche Analyse von Ordnungskonkurrenzen leidet häufig unter einer perspektivischen Verzerrung. Aus der am Ende der Ordnungskonkurrenz sich ergebenden Konstellation, die sich, wie wir von Marx und Elias wissen, keineswegs direkt aus zu Beginn bestehenden Konstellationen ergeben muss, sind im Dienste der Zukunftsgestaltung Rückprojektionen auf die Ordnungskonkurrenz selbst entstanden. In der historischen Analyse von Ordnungskonkurrenzen kommt es daher häufig (1) zu wertenden Aussagen über die entgegenstehenden Ordnungen (z. B. „modern“ – „traditionell“ oder „zukunftsbezogen“ – „vergangenheitsorientiert“) und (2) zur einlinig logischen Erklärung der Zukunft aus der Vergangenheit, unter Vernachlässigung der Emergenzeffekte, die das Ende der Ordnungskonkurrenz möglicherweise erst ermöglicht haben. Innerhalb des SFB „Bedrohte Ordnungen“ können Ordnungskonkurrenzen hingegen vom Anfang und nicht vom Ende her und daher mit offenem Blick für die Situationswahrnehmungen und Zukunftsperspektiven beider Seiten untersucht werden.
Projekte
D03: Adel und Bürgertum. Arme Adlige zwischen konkurrierenden Gesellschaftsordnungen 1700 – 1900
D04: USA und Sowjetunion. Transformationen einer weltpolitischen Ordnungskonkurrenz 1975 – 1989