Uni-Tübingen

Teilprojekt D03: Adel und Bürgertum. Arme Adlige zwischen konkurrierenden Gesellschaftsordnungen 1700 – 1900

Abstract

Das Projekt D03 behandelt anhand des verarmten Adels die Ordnungskonkurrenz zwischen Adel und Bürgertum. Das Projekt gliedert sich in drei Teilprojekte, die den Niederadel im ostelbischen Preußen und in Südwestdeutschland in unterschiedlichen Zeiträumen vergleichend untersuchen. Im Zentrum der Projektkonzeption steht die Phase 1800–1830. Um diese herum gruppieren sich die Teilprojekte zu den Zeitabschnitten 1720–1760 (das sich auf den Südwesten konzentriert) und 1880–1914.

Diese Untersuchungsanordnung dient dazu, die Frage nach der Relevanz der gegenseitigen Bedrohung von Adel und Bürgertum durch divergierende Gesellschafts- und Zukunftsentwürfe im chronologischen und räumlichen Vergleich neu zu stellen und in diesem Zusammenhang den Umbruch um 1800 zu kontextualisieren und gegebenenfalls neu zu bewerten.

Projektteam

Projektleitung:

Prof. Dr. Franz Brendle

Prof. Dr. Ewald Frie

Mitarbeiter/innen:

Chelion Begass, M.A.

Jacek Klimek, M. A.

Johanna Singer

Hilfskraft

Jan Ruhkopf

Fachgebiete und Arbeitsrichtung

Neuere Geschichte

Projektbeschreibung

Das Projekt D03 behandelt anhand des verarmten Adels die Ordnungskonkurrenz zwischen dem Adel als Repräsentant der ständischen Gesellschaftsordnung und dem Bürgertum als Vertreter nachständischer Gesellschaftskonzepte. Die Gesellschafts- und Zukunftskonzeptionen der beiden Sozialgruppen erscheinen unvereinbar und führen – zumindest in der Zeit um 1800 – zu einer gegenseitigen Wahrnehmung als existenzielle Bedrohung.

Der arme Adel soll genutzt werden, um die Frage nach der Relevanz der gegenseitigen Bedrohung von Adel und Bürgertum durch divergierende Gesellschafts- und Zukunftskonzeptionen im chronologischen und räumlichen Vergleich neu zu stellen. Dies soll zur Beantwortung der in der Forschung unentschiedenen Frage eines Gegensatzes oder einer Verschmelzung von Adel und Bürgertum beitragen.

Zu diesem Zweck wird das Phänomen des verarmten Adels in drei Zeitabschnitten näher betrachtet: 1720–1760, 1800–1830 und 1880–1914. Diese entsprechen den Situationen der ständischen Gesellschaft, einer Gesellschaft im Übergang sowie der bürgerlichen Gesellschaft. Geographisch stehen zwei verschiedene Adelslandschaften im Mittelpunkt – das ostelbische Preußen und die südwestdeutsche Region.

Die Fragestellung des Projekts richtet sich zunächst auf die sozialhistorische Untersuchung der Adelsarmut selbst, ihr Ausmaß, ihre Erscheinungsformen sowie die Bewältigungsstrategien. In einem zweiten Schritt wird auf die Wahrnehmung und Verarbeitung derselben in den Gesellschafts- und Zukunftskonzepten von Adel und Bürgertum eingegangen.

Das Projekt ist um die starke Achse „um 1800“ strukturiert. In dieser Zeit kann von einer grundsätzlichen Herausforderung überkommener Gesellschafts- und Zukunftskonzepte ausgegangen werden. Mittels der davor bzw. danach gelegten Zeitabschnitte, die ebenfalls Phasen erhöhter Armutsgefahr für den Adel darstellten – sei es durch Krieg und Agrardepression, sei es durch die ökonomischen, sozialen und kulturellen Herausforderungen der „Hochmoderne“ (Ulrich Herbert) –, soll der Bruch um 1800 und mit ihm das Konzept der „Sattelzeit“ Reinhard Kosellecks überprüft und eventuell neu bewertet werden.

Die Untersuchungszeiträume

1720–1760

Der Fokus innerhalb dieses Untersuchungszeitraums liegt thematisch auf verarmten mindermächtigen Reichsständen und niederadligen Reichsrittern sowie auf dem kaiserlichen ‚Entschuldungsinstrument‛ der Reichsdebitkommissionen. Geografischer Schwerpunkt ist dabei Südwestdeutschland.

Neben Ursache, Umfang und Auswirkung von Verschuldung stehen insbesondere Fragestellungen, wie etwa die Selbst- und Fremdwahrnehmung des verarmten Niederadels, die Kollision eingeschränkter Herrschaftsfähigkeit mit dem Selbstverständnis als Elite sowie die Verwendung von Armut als (nicht nur argumentative) ‚Waffe‛ des Bürgertums gegen den Adel, im Zentrum der Untersuchung.

Aufgrund der engen wechselseitigen Beziehung zwischen mindermächtigen Grafen und Rittern auf der einen, und dem Reich sowie dessen Oberhaupt auf der anderen Seite lässt sich das Problem der Verschuldung für das Funktionieren des Ancien Régime bereits erahnen. Um das System zu stabilisieren und die Ordnung zu festigen, war eine Entschuldung der betroffenen Adelsfamilien notwendig. Ein Mittel dazu waren die sog. kaiserlichen Reichsdebitkommissionen. Die dabei eingesetzten Schuldenverwalter übernahmen die Finanzhoheit der Adligen, leiteten Maßnahmen zur Schuldentilgung sowie zur Erhöhung der Liquidität ein. Das Ziel war dabei die Herrschaftssicherung des Adels. Dabei kamen solche Debitkommissionen den Schuldnern (Adel) meist eher entgegen als den Gläubigern (überwiegend Bürgerliche). Kurierte man damit jedoch nicht viel eher an den Symptomen herum, statt die strukturellen Ursachen der Verschuldung zu erkennen und zu bekämpfen?

Neben zeitgenössischer Publizistik bilden insbesondere die Akten der Reichsdebitkommissionen (HHStA Wien) sowie die Abschiede der Ritterkreise und Unterlagen der Ritterkantone (z.B. GLA Karlsruhe) das zentrale Quellenkorpus.

1800–1830

Die Zeit um 1800 bildet für den Adel in vielerlei Hinsicht eine der größten Herausforderungen seiner Geschichte. Durch die Umwälzungen der Französischen Revolution und die spätaufklärerische Adelskritik, durch die Folgen der Agrardepression und der Napoleonischen Kriege geriet der Adel um 1800 in eine tiefe Legitimationskrise. Die politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Umwälzungen der napoleonischen Ära trafen insbesondere den niederen Adel schwer und forderten von ihm enorme Anpassungsleistungen. Nicht allen Adligen gelang es, sich darauf einzustellen. So kam es im äußersten Fall dazu, dass die Existenzgrundlage einzelner Adliger, aber auch ganzer Familien ernsthaft gefährdet war und ihre Grundbedürfnisse nicht mehr erfüllt werden konnten.

Noch ist wenig über die Armut des Adels bekannt. Daher soll sie anhand zeitgenössischer Quellen näher beleuchtet und regional vergleichend erforscht werden. Mit Blick auf zwei sehr unterschiedlich strukturierte Adelslandschaften – Preußen und der deutsche Südwesten – sollen Typologien adliger Armut, Risikofaktoren und Bewältigungsstrategien untersucht werden. Dabei stehen zunächst grundlegende sozialhistorische Fragen nach dem quantitativen und qualitativen Ausmaß der Armut im Fokus.

Die Arbeit geht noch einen Schritt weiter, indem sie die Adelsarmut gerade auch im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung und Konkurrenz eines aufstrebenden Bürgertums um 1800 untersucht. Wie wurde die Adelsarmut aus der Selbst- und aus der Fremdwahrnehmung bewertet? Wurde diesem Problem gesellschaftsstrukturelle Bedeutung beigemessen? In welcher Weise wurde adlige Armut in die gegenseitigen Bedrohungsperzeptionen von Adel und Bürgertum eingebaut?

Anhand gedruckter und ungedruckter Quellen sollen sowohl die sozialhistorische Bedeutung der Adelsarmut erfasst als auch der gesellschaftliche Diskurs darüber nachgezeichnet und bewertet werden. Die Untersuchung hat schon durch ihren zeitlichen Fokus eine Scharnierfunktion des gesamten Teilprojekts D03 inne. Der direkte Vergleich der drei Untersuchungen des Teilprojekts ermöglicht somit Aussagen zur Tragfähigkeit des „Sattelzeit“-Konzeptes sowie zu Funktionsmechanismen schnellen sozialen Wandels und kann damit zu grundlegenden Anliegen des gesamten SFB beitragen.

1880–1914

Der Untersuchungszeitraum 1880–1914 nähert sich dem Phänomen des „armen Adels“ mit Hilfe einer thematischen Schwerpunktsetzung auf den verarmten weiblichen Niederadel. Dabei wird ein Vergleich zwischen Preußen und Südwestdeutschland angestrebt.

Im Kontext der Ordnungskonkurrenz zwischen Adel und Bürgertum soll zentral danach gefragt werden, inwieweit der Adel in der bürgerlichen Gesellschaft weiterhin auf seinen traditionellen Methoden der Positionsabsicherung beharrte. Dabei ist zu prüfen, inwieweit er sich andererseits zum Zweck des Statuserhalts gegenüber neuen, sich aus den Entwicklungen der bürgerlichen Gesellschaft ergebenden Strategien öffnete.

Diese übergeordnete Fragestellung wird am Beispiel armer weiblicher Adeliger verfolgt. Dabei erfolgt zunächst eine sozialhistorische Untersuchung von Ausmaß und Erscheinungsformen weiblicher Adelsarmut um 1900, an die sich in einem zweiten Schritt eine Analyse der Armutsbewältigungsstrategien der adeligen Frauen anschließt. Auf dieser Grundlage soll in einem dritten Schritt der Umgang des armen Adels mit der Konkurrenzsituation zum Bürgertum analysiert werden.

Als zentrale Quellen liegen der Arbeit Präbendengesuche (Aufnahmegesuche in adelige Damenstifte) sowie Bewerbungen um Unterstützungen aus privaten Stiftungen zu Grunde. Weitere Informationen werden in den Unterlagen verschiedener Vereine und Verbände erwartet. Adelige Wahrnehmung und der Umgang mit der Konkurrenzsituation zum Bürgertum werden anhand der einschlägigen Publizistik in zeitgenössischen Zeitschriften bearbeitet.

Das Teilprojekt D03 im SFB

Das Teilprojekt D03 ist Teil des Projektbereichs D „Ordnungskonkurrenz“, der sich mit Bedrohungsszenarien durch Aufeinandertreffen zweier Ordnungen mit Ausschließlichkeits- bzw. mindestens Hegemonialanspruch beschäftigt.

Im Rahmen des Gesamt-SFBs untersucht D03 paradigmatisch das Zusammenspiel sozioökonomischer Strukturen und Strukturbrüche mit gesellschaftlichen Ordnungen. Durch die drei Zeitschnitte wird zudem das Verhältnis von kurzfristigen Bedrohungsszenarien und langfristigen Strukturveränderungen thematisiert.

Projektbezogene Vorträge und Publikationen

Begass, Chelion

Brendle, Franz

Frie, Ewald

Klimek, Jacek

Singer, Johanna

Tagungen, Workshops, Konferenzen

Projektrelevante Lehrveranstaltungen

Singer, Johanna