Uni-Tübingen

Bioinformatik

Sehr schnelle technologische Fortschritte beim Einsatz von Hochdurchsatzmethoden zur Datengenerierung in den Bereichen Biologie, Biotechnologie und Pharmaindustrie haben zur Folge, dass es einen stetig wachsenden Bedarf an Bioinformatikerinnen und Bioinformatikern gibt. Das Studium der Bioinformatik vermittelt Grundlagen in Informatik, Mathematik und den Lebenswissenschaften. Dabei wird ein besonderes Gewicht auf eine fundierte Informatik- und Mathematikausbildung gelegt. Hinzu treten Inhalte aus der Bioinformatik, Molekularbiologie, Neurobiologie, Biochemie und Chemie, die für das Arbeiten an der Schnittstelle zwischen Informatik und den Lebenswissenschaften notwendig sind. Ziel des Bachelorstudiengangs ist es, die Berufsfähigkeit zu fördern und praxisorientiertes Wissen mit einem fundierten theoretischen Hintergrund zu vermitteln.


hochschulreif. Der Tübinger Podcast zur Studienwahl

Folge #09: Bioinformatik

Was genau ist eigentlich Bioinformatik? Was kann die Bioinformatik aktuell beitragen? Und wie denkt man „bioinformatisch“? Zu Gast für das Studienfach Bioinformatik ist Professorin Dr. Kay Nieselt. Sie gibt Einblicke in verschiedene Bereiche der Bioinformatik, in die Inhalte und Herausforderungen des Studiums sowie in mögliche Berufsperspektiven. Außerdem verraten Studierende, was ihnen an der Bioinformatik am besten gefällt und wie ihre Berufswünsche aussehen.

Tags #Bioinformatik #Mathematik #Informatik #Programmieren #Biologie #Chemie #Biochemie
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Alexandra Becker (A. B.): Herzlich Willkommen zu „hochschulreif“, dem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Wir stellen Euch auch heute wieder ein Studienfach vor, damit Ihr gut informiert seid, was Euch im Studium so erwartet. Diesmal sprechen wir über das Fach Bioinformatik. Wir, das sind bekanntermaßen mein Kollege Christoph Jäckle. Hi Christoph!

Christoph Jäckle (C. J.): Hallo Alex!

A.B.: Und ich bin Alexandra Becker vom Team der Zentralen Studienberatung der Uni Tübingen. Für das Fach Bioinformatik haben wir Professorin Dr. Kay Nieselt im Studio. Ein herzliches Willkommen auch an Sie!

Kay Nieselt (K. N.): Ja, herzlichen Dank, Frau Becker. Ich freue mich sehr, hier zu sein.

A. B.: Frau Nieselt, ich stelle Sie kurz vor: Sie sind Professorin für Bioinformatik an der Uni Tübingen und Sie leiten die Arbeitsgruppe „Integrative Transkriptomik“. Das müssen Sie uns gleich auch noch näher erklären. Wir lassen aber traditionell in jeder Folge zuallererst unsere Studierenden zu Wort kommen. Vorab haben wir sie gefragt, warum sie das Fach Bioinformatik gewählt haben.

Persönliche Motivation (01:09)

Studi 1: Ich habe mich für Bioinformatik entschieden, weil ich im Bachelor gemerkt habe, dass mir in Informatik diese strukturierte Denkweise unglaublich viel Spaß macht, aber ich dafür noch einen Anwendungsfach haben wollte. Und da hat mir Genetik einfach immer sehr viel Spaß gemacht und das kann man beides in Bioinformatik super verbinden.

Studi 2: Mir lag das mathematische immer schon relativ gut und als ich die Ausbildung zum Notarzt gemacht habe und da nicht so wirklich Erfüllung gefunden habe, wollte ich was mehr Mathe-lastiges machen, was gleichzeitig auch so ein bisschen den Menschen hilft und habe Bioinformatik darüber entdeckt.

Studi 3: Ich bin über den Studieninfotag auf die Bioinformatik aufmerksam geworden und habe mich letztendlich dafür entschieden, weil Bioinformatik eine tolle Mischung aus Naturwissenschaften und Informatik ist, und mich sowohl Naturwissenschaften als auch Informatik sehr interessieren.

C. J.: Frau Nieselt, wir haben jetzt in dem Einspieler gerade schon verschiedene Erwartungshaltungen gehört, sowohl von einer Masterstudierenden, die davor schon im Bachelor eine bestimmte Erfahrung gemacht hat, aber auch von Bachelorstudierenden, die vermutlich noch relativ unvoreingenommen in das Studium reingegangen sind. Was sind denn Ihre Eindrücke? Welche Vorstellungen vom Studium haben viele Erstsemesterstudierende und erfüllen sich diese?

K. N.: Ja, das ist tatsächlich eine sehr spannende Frage. Vor allem deswegen, weil das Studienfach, an der Schule nicht gelehrt wird. Es ist ja schon schwierig, überhaupt einen Informatikunterricht zu haben, geschweige denn Bioinformatik. Es gibt ein paar Gymnasien, sogenannte biotechnologische Gymnasien, die bieten das ab der Oberstufe als eigenes Fach an und oft haben wir tatsächlich auch diese Studierenden, die dann ihren Weg zu uns finden. Die sind schon sehr gut vorbereitet und mit ihren Erwartungshaltungen trifft das sehr gut zu, was wir ihnen dann hier anbieten. Studierende, die das Studienfach wählen, finden es sehr spannend und motivierend, genau an dieser Schnittstelle zwischen, allgemein gesprochen, Informationstechnologie und den Lebenswissenschaften zu lernen und zu arbeiten, vielleicht auch später sogar zu forschen. Die Einspieler von den verschiedenen Studierenden haben das ein bisschen widergespiegelt. Es ist ein sehr interdisziplinäres Studienfach und tatsächlich glaube ich, haben das die meisten bei der Wahl beachtet und genau deswegen gewählt, weil sie verschiedene Naturwissenschaften geboten bekommen und dazu noch Mathematik. Im Vordergrund stehen Informatik und Mathematik. Also interessanterweise ist das Suffix, also das Wort, was hinten steht, entscheidend: „Informatik“, die hauptsächliche Ausrichtung des Studiengangs, und vorne „Bio“. Das meint aber nicht nur Biologie, sondern auch Chemie und Biochemie, was im Studium auch gelernt wird. Die verschiedenen Anteile, wie viel Prozent sozusagen dann die Informatik, Mathematik und die Lebenswissenschaften ausmachen, hängt sehr von den Universitäten ab. Wir haben einen sehr hohen Anteil an Informatik und Mathematik, also genau das, was eine Studierende erwähnt hat, dass wir sehr strukturiertes Lernen vermitteln. Das ist in diesen beiden Fächern gegeben. Das ist aber teilweise nicht allen klar, wenn sie das Studium beginnen. Das muss man auch ganz ehrlich sagen. Die Erstsemesterstudierenden haben sich vielleicht gar nicht so viel darunter vorstellen können und sind dann doch überrascht oder manche vielleicht ein bisschen überfordert mit Informatik und Mathematik.

C. J.: Was würden Sie denn den Studieninteressierten raten? Welche Fragen sollten die sich stellen, wenn sie mit dem Gedanken spielen, Bioinformatik zu studieren?

K. N.: Sie sollten sich die Frage stellen, ob sie wirklich gewillt sind. Wir betreten hier mit diesem Studienfach eigentlich zwei Kulturen, zwei Welten, mit ihrer Art zu denken. Einerseits das strukturiert abstrakte logische Denken auf Seiten der Informatik und auf der anderen Seite Mathematik, das Auswendiglernen. Zumindest in den ersten zwei Jahren des Studiums zentriert man sehr viel das Faktenlernen im wissenschaftlichen Bereich also Biologie, Biochemie und Chemie. Und beides muss man von der ersten Minute des Studiums an gleichzeitig durchziehen. Und das ist etwas, was man sich gleich am Anfang fragen muss: Bin ich bereit viel auswendig zu lernen und gleichzeitig aber auch sehr stark abstrakt und logisch denken zu lernen? Das bringen wir natürlich auch bei. Aber man muss sich dem schon auch öffnen und stellen wollen.

C .J.: Ja, das ist schon eine eher außergewöhnliche Kombination für den Studiengang, dass man tatsächlich zwei sich eigentlich sehr gegenüberstehende Fach- und Lernkulturen mitbringen sollte.

K. N.: Richtig, aber das ist auch genau das, was die Studierenden, die dann wirklich sehr erfolgreich sind, als das sehen, was sie so begeistert. Die eine Studierende sagte es schon: Es begeisterte sie im Bachelor – sie hat erst einen anderen Bachelor gemacht – abstrakt zu lernen. Aber sie wollte etwas, was konkret anwendungsorientiert ist auf biologische Fragestellungen, das abstrakt Gelernte anwenden wollen. Und daher hat sie dann auch mit dieser Mischung mit großem Erfolg und auch großer Begeisterung im Master studiert.

C. J.: Wie sind Sie denn selbst zur Bioinformatik gekommen? Wussten Sie im Vorfeld schon, welche verschiedenen Lernkulturen Sie da erwarten würden?

K. N.: Ich bin ein bisschen älter und als ich angefangen habe zu studieren, gab es das Fach gar nicht. Wir hatten nicht mal ein Informatikstudium. Also als ich begann mit dem Studium – ich habe Mathematik studiert – musste ich noch ein zweites Fach wählen und an der Uni, an der ich studiert habe, gab es nur eins zur Wahl, nämlich Physik. Das war jetzt nicht mein Lieblingsfach in der Schule und ich war darüber etwas unglücklich und habe dann einen Antrag gestellt, ob ich als Zweitfach stattdessen Biologie wählen könnte. Also ich habe da schon so eine Idee gehabt. Ich fand das sehr spannend, aber das wurde nicht genehmigt. Das ging nur, wenn man Lehrerin werden wollte, haben sie gesagt, denn das sind ja zwei Fächer, die nichts miteinander zu tun haben. Ich wollte aber keine Lehrerin für die Schulen werden. Ich habe dann notgedrungen erst mal Physik weitergemacht und habe dann aber, nachdem ich das Studium beendet hatte, am Max-Planck-Institut in Göttingen bei Professor Eigen erst eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin bekommen und ein Jahr später eine Promotion bei ihm begonnen. Er nannte es Theoretische Biologie. Es gibt ja auch den englischen Begriff Computational Biology. Im Deutschen würde man sagen computergestützte Biologie. Und es gibt nach wie vor so ein bisschen Unklarheiten, wie sich diese beiden Begriffe Bioinformatik und Computational Biology oder computergestützte Biologie voneinander abgrenzen. Die einen sagen, das eine ist ein Subgebiet des anderen, aber in die Richtung geht es nicht. Damals hat mich Professor Eigen gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte in meiner Promotion, mit computergestützten Methoden biologische Fragestellungen zu bearbeiten. Und so begann meine eigene Karriere damals als theoretische Biologin. Ich habe auch in der Mathematik promoviert, das heißt, ich habe einen Dr. math. Titel und nicht einen Dr. rer. nat. Aber ich habe damals schon relativ zeitgemäß zur Evolution von Viren als Mathematikerin geforscht. Und das auch mit Daten, und zwar damals zum HIV, also Humanes Immundefizienz-Virus, was für AIDS verantwortlich ist. Ähnlich wie vor zwei Jahren mit dem Corona Virus war damals auch die Frage: Wo kommt denn das Virus her, wie alt ist es, wie ansteckend ist es? Und wir haben das mathematisch modelliert und so begann dann meine eigene Bioinformatikkarriere.

A. B.: Spannend. Das ist ein tolles Beispiel, wie sich denn überhaupt neue Forschungszweige entwickeln und wie man den Weg mitgeht als eine derjenigen, die es in der Gründung miterlebt.

C. J.: Jetzt kam vorher schon auf, dass Sie, Frau Nieselt, heute unter anderem in dem Bereich „Integrative Transkriptomik“ arbeiten und forschen. Das sagt mir und wahrscheinlich auch den meisten unserer Hörer:innen erst mal nichts. Könnten Sie erklären, was es damit auf sich hat?

K. N.: Ja, das ist eine schwierige Definitionsfrage, das muss ich zugeben. Wir kürzen es ab mit IT. Darunter verstehen die meisten was anderes. Aber es ist vielleicht nicht schlecht, weil wir tatsächlich ja auch wirklich sehr informatisch arbeiten. Wir schauen uns die verschiedenen Bereiche an, wie sich genetische Information ausdrückt. Wir alle wissen hoffentlich noch aus der Schule, dass wir eine genetische Blaupause in jeder Zelle haben, nämlich die DNA. Das ist unsere genetische Information, in Form eines Genoms gespeichert. Die liegt aber nicht einfach als Information vor, sondern die muss abgelesen werden. Abgelesen im Sinne von: Proteine werden produziert, in dem die genetische Information umgeschrieben bzw. dann translatiert, d.h. übersetzt, wird und daher kommt dieses „Transkriptomik“. Übersetzt wird in die Spieler im zeitlichen Sinne, also zu welcher Zeit welches Protein bzw. Gen aktiv ist. Und das ist Transkriptomik. Wir untersuchen, wie aus den Genomen die Proteine oder auch andere Gene – es gibt nämlich nicht nur Proteine – sich zu welchem Zeitpunkt, unter welchen Bedingungen ausdrücken. Und das integrativ. Und zwar, weil wir uns angucken: Wie ist das Genom beschaffen? Wir studieren sehr viele Mikroorganismen, also Bakterien. Jeder von uns hat zum Beispiel ganz viel Escherichia coli, das Darmbakterium, und das ist auch wunderbar so, das macht uns gesund. Aber es gibt auch sehr pathogene, also sehr gefährliche Escherichia coli. Vielleicht hat das der eine oder die andere noch im Kopf: EHEC war so eine pathogene Variante von Escherichia coli. Wie unterscheiden sich diese beiden Bakterien, die eigentlich beide Escherichia coli sind, voneinander? Dieser Unterschied entsteht schon auf genomischer Ebene. Wir sehen auch den Unterschied, welche Proteinmoleküle bzw. Gene zu welchem Zeitpunkt exprimiert werden, dazu sagen wir auch transkribiert. Das ist ein gleiches Wort für diesen Zustand und das kann man studieren, um vielleicht Mittel dagegen zu entwickeln, Medikamente. Oder auch, um es zu verhindern, dass so etwas wie so ein pathogenes Escherichia coli entsteht. Das ist ein Teil der Forschungsaufgaben meiner Gruppe.

C. J.: Ist das auch ein Bereich, der eine Schnittmenge mit dem Studium der Bioinformatik, beispielsweise bei Bachelorstudierenden hat? Oder ist es dann schon so spezifisch, dass zwar bestimmte Grundlagen ähnlich sind, aber, dass es inhaltlich noch recht weit weg ist für die Studierenden?

K. N.: Ja. Tatsächlich gebe ich im dritten Studienjahr des Bachelors eine Vorlesung zu diesem Thema und das können die Studierenden wunderbar schon im Bachelor verstehen. Sie brauchen die Grundlagen von den ersten beiden Jahren. Aber dann können wir schon sehr gut dieses Thema gemeinsam während eines Semesters bearbeiten. Und das ist auch eine sehr beliebte Vorlesung, weil das wirklich spannende Forschungsthemen schon auf Bachelor-Level zugänglich macht. Also da lege ich auch großen Wert drauf.

C. J.: Dann würde ich gleich mal das Schlagwort Vorlesungen nutzen, um zum nächsten Bereich überzuleiten. Und zwar wollen wir uns anschauen, wie denn eigentlich das Studium aufgebaut ist, wie die einzelnen Studienanteile sind. Dafür haben wir wieder Tübinger Studierende befragt, wie bei ihnen denn eine typische Stundenwoche aussieht.

Studieninhalte (14:19)

Studi 1: Das Studium ist sehr abwechslungsreich. In den Lebenswissenschaften, also in Biologie und Chemie, hat man meistens Vorlesungen im Semester und in den Ferien, dann Laborpraktika und in den Informatik-, Mathematik- und Bioinformatik-Modulen hat man meistens Vorlesungen, Übungsgruppen und zusätzlich noch Übungsblätter, die bearbeitet werden müssen.

Studi 2: Ich habe tatsächlich den großen Luxus, dass ich montags frei habe. Dienstag und Mittwoch sind die Tage mit den meisten synchronen Vorlesungen und Donnerstag, Freitag und Samstag nutze ich eigentlich immer zum Programmieren und vielleicht zum Wiederholen von Stoff.

Studi 3: Man startet das Bioinformatikstudium mit reinen Informatik- und Biologie-Veranstaltungen, die dann übers Studium immer mehr miteinander kombiniert werden. Und man lernt dann zum Beispiel Möglichkeiten kennen, DNA-Sequenzen miteinander zu vergleichen und so Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Individuen festzustellen oder auch Organismen zu modellieren und zu schauen, wie sich bestimmte Umweltfaktoren auf diesen Organismus auswirken. Und das bekommt man in den Veranstaltungen dann theoretisch beigebracht und hat dann über die Woche eine Art Hausaufgaben auf, mit denen man das dann immer selbst noch mal üben muss.

A. B.: Ja, wir haben jetzt von den Studierenden gehört, dass es sehr abwechslungsreich ist und es sind auch die verschiedenen Felder angeklungen, wie die Biologie, Chemie in Theorie und Praxis, Informatik und Mathematik. Sie haben ja auch gerade schon gesagt, Frau Nieselt: Es ist ein interdisziplinärer Studiengang, also ein Studiengang, der sich aus verschiedenen Disziplinen zusammensetzt, und verschiedene Fächer beinhaltet. Können wir das im Überblick noch mal zusammenfassen? Welche Fachanteile sind in diesem Studiengang immer drin?

K. N.: Wir sprechen jetzt vom Bachelorstudium, würde ich sagen. Und das habe ich tatsächlich mal genau ausgerechnet. Also der Anteil der Informatik, nimmt für die Kernbereiche der Informatik 33% des gesamten Studiums ein. Dann haben wir einen großen Anteil, an Mathematik, den die Bioinformatiker:innen belegen, genau wie alle anderen Kerninformatikstudierenden. Vier Semester Mathematikvorlesungen, das ist ungefähr 18% am Ende des Studiums. Und natürlich auch die Bioinformatik selbst. Die nimmt auch 18 % ein. Das wirkt jetzt vielleicht ein bisschen wenig, aber wie gesagt: Das sind die Kernvorlesungen der Bioinformatik selbst. Die nehmen also genau den gleichen Umfang wie die Mathematik ein. Das heißt 70 % sind diesen drei zentralen Fächern geschuldet, dann sind noch 25 % den Lebenswissenschaften, also eben Biologie und Chemie gewidmet. Und dann haben wir noch 5 % übrig und das sind die sogenannten überfachlichen und beruflichen Kompetenzen – die gibt es an der Universität Tübingen für alle Studienfächer. Da können Studierende sich überlegen, was sie machen wollen, z. B. eine Sprache verbessern oder eine neue Sprache lernen. Manche machen auch einen Rhetorikkurs, um zu lernen sich besser auszudrücken. Das sind überfachliche Dinge, außerhalb des eigentlichen zentralen Studiums.

C. J.: Ich finde es ganz großartig, dass sie auf das Prozent genau ausgerechnet haben, wie die Anteile sind. Das hatten wir noch nie. Damit sind Sie Spitzenreiterin in dieser Kategorie.

K. N.: Sie sehen meinen Hintergrund: Die Mathematik.

A. B.: Nehmen die Studierenden dann mit anderen Mathestudierenden, Biologiestudierenden oder Chemiestudierenden an den jeweiligen fachspezifischen Veranstaltungen teil?

K. N.: Ja, das ist eine super Frage. Das ist zum Teil so. Zum Beispiel in den Informatikveranstaltungen. Da sitzen unsere Studierenden zusammen mit allen anderen Informatikstudierenden und der Kerninformatik. Wir haben ja auch einen Bachelor, der Informatik heißt. In diesen Anfangsveranstaltungen sitzen alle zusammen im Hörsaal. Deswegen sind das auch immer viele. Wir haben im Moment in den sogenannten Anfängerveranstaltungen ungefähr 600 Studierende. In der Mathematik ist das auch so. Das nennt sich Mathematik für Informatiker:innen. Das heißt, da sind auch alle Bioinformatiker:innen drin. Es gibt nicht eine spezielle Mathematik-Veranstaltung für Bioinformatik. Die Bioinformatik, ist klar, das ist nur für unsere Bioinformatik. In den Lebenswissenschaften teilt sich das auf. Die Biologie wird von unseren Studierenden zusammen mit den Biologiestudierenden besucht. In Chemie gibt es spezielle Vorlesungen, die heißen zum Beispiel Anorganische und Organische Chemie für Naturwissenschaftler:innen oder auch Biochemie für Naturwissenschaftler:innen. Da sitzen dann nicht die Chemiestudierenden, sondern unsere Bioinformatiker:innen aber auch Nano-Science-Studierende oder Studierende anderer Naturwissenschaften.

A. B.: Also alle, die diese Chemie Schnittstelle haben.

K. N.: Ganz genau.

A. B.: Ich glaube, das ist schon mal hilfreich, um sich vorstellen zu können, wie man dann vernetzt ist im Studium. Wenn wir uns jetzt mal die Informatik genauer angucken: Was macht man denn im Bereich Informatik ganz konkret in diesem Studium?

K. N.: Man beginnt zunächst einmal mit den Grundlagen: Was heißt überhaupt Informatik? Das bekommt man von verschiedenen Seiten erläutert. In diesen Grundvorlesungen konzentrieren sich die Studierenden erst mal auf das so genannte computergestützte Lernen oder Denken. Dabei beginnt man mit einer zentralen Fragestellung. Sie kriegen zum Beispiel einen großen Text, nehmen wir die Bibel, und Sie sollen dort alle Stellen finden – und das, sodass es möglichst schnell auf dem Computer erscheint – und mit möglichst schnell meinen wir wirklich sehr schnell. Zum Beispiel an denen das Wort Paulus auftaucht; solche Suchmethoden. So kann man zum Beispiel ein Problem formulieren. Und jetzt gilt es – das ist der Prozess, den man in der Informatik wirklich von der Pike auf lernt – dieses zu abstrahieren und eine Methode zu finden. Also es auf ein Level zu bringen, das man programmieren kann, sodass man einer Maschine beibringen kann, diese Suche für einen zu übernehmen. Das ist der zweite Schritt. Als dritten Schritt lernt man, das zu programmieren. Nicht nur irgendeinen abstrakten Code zu schreiben, sondern das muss dann auch wirklich programmiert werden. Dafür lernt man erst mal eine ganz allgemeine Sprache, damit man nicht abhängig ist von einer bestimmten Programmiersprache, und lernt das auch praktisch anzuwenden. Das klang bei den Studierenden auch an. In den Vorlesungen, geht es um den Prozess, vom Problem zur Abstraktion. Wir nennen das auch Pseudocode. Und dann in den Übungen, die parallel jede Woche stattfinden, werden genau diese Dinge aktiv programmiert. Und dann geht es natürlich um Fragen wie: Was ist überhaupt ein Algorithmus? Eine klare Anweisung von immer wieder nachvollziehbaren Schritten, die, wenn man das Programm ein zweites Mal startet, hoffentlich zum selben Ergebnis führt. Dabei lernt man auch, welche Komplexität ein Problem haben kann. Vielleicht kann ich ein Problem identifizieren und auch formulieren, aber stelle fest: Wenn ich das jetzt programmiere, dann dauert das so lange, wie, bis die Sonne verbrannt ist. Das würde ja niemandem etwas nützen. Dann habe ich es zwar identifiziert, aber ich kann es nicht gebrauchen. Und dann lernt man, was man machen kann, damit es in etwas schnellerer Zeit, also vielleicht sogar innerhalb von Sekunden oder Millisekunden geht. Genau diese Grundvoraussetzungen sind für alle Informatikstudiengänge dieselben. Deswegen kriegen das auch alle in den ersten Semestern beigebracht. Der zweite Anteil ist, dann die Hardware, die allerdings im Bioinformatikstudium nicht im Vordergrund steht. Computer bestehen ja auch aus Hardware; das lernen nur die Kerninformatiker:innen, die dann auch wissen, wie so ein Computer aufgebaut ist und wie das im Inneren einer solchen Maschine funktioniert.

A. B.: Sehr gut. Dann haben wir die Abgrenzung zum Fach. Und das hat sich jetzt auch so angehört, dass eigentlich Theorie und Praxis im Studium schon ganz eng verknüpft sind durch diese Übungen. Gibt es noch andere praktische Anteile in den verschiedenen Feldern?

K. N.: Ja, in den Lebenswissenschaften auf jeden Fall. In den ersten fünf Semestern haben sie in den verschiedenen Vorlesungen, sei es Biomoleküle oder Zelle, jeweils ein Praktikum. Sie haben in den Chemievorlesungen, Anorganische und Organische Chemie, ein Praktikum. Sie haben in der sogenannten Physikalischen Chemie ein Praktikum, sowie in der Neurobiologie. Erst kommt also immer die Vorlesung und im Anschluss daran gehen alle in ein Labor. Da nehmen die Studierenden dann auch eine Pipette in die Hand, und sind auch wirklich entsprechend ein Biologe, eine Biologin oder Chemiker:in oder Neurobiolog:in.

C. J.: Sind das dann Labore an der Uni, in Forschungseinrichtungen oder sind die in der freien Wirtschaft oder in Kliniken?

K. N.: Nein, die sind bei uns oben auf der Morgenstelle. Das sind die Labore, die wir hier an der Uni haben, die besucht werden.

C. J.: Das heißt, im Studium können alle Praxisanteile, die ganzen Labore, direkt in den Laboren der Uni absolviert werden.
K.N.: So ist es.

C. J.: Wird geraten, dann außerhalb der Uni noch irgendwelche Praktika zu machen oder gibt es ein weiteres Pflichtpraktikum, um sich mögliche Berufsfelder zu erschließen oder zu schauen, wo man später auch eine Stelle finden kann?

K. N.: In unserem Studium gibt es kein Pflichtpraktikum. Die Studierenden haben dennoch großes Interesse mal in die Praxis reinzuschnuppern. Uns das unterstützen wir natürlich sehr. Dafür kann man auch mal ein Freisemester nehmen. Das machen viele Studierenden aber dann eher nach dem Bachelorstudium, z. B. um herauszufinden, ob sie weitermachen wollen mit dem Master. Dann nehmen sie sich ein Semester Zeit und überlegen, mal irgendwo reinzuschnuppern. In seltenen Fällen kommt es auch vor, dass Studierende ihre Abschlussarbeit, also die sogenannte Bachelorarbeit, im Anschluss an ein Praktikum im Zusammenhang mit einem Unternehmen schreiben.

A. B.: Sie haben gerade schon gesagt, dass diese Laborarbeit in den Lebenswissenschaften innerhalb des Studiums stattfinden. Ich habe mich gefragt – das kann ja für viele auch wichtig sein bei der Entscheidung – Muss man zum Beispiel auch Tierpräparate anfertigen als Bioinformatiker:in?

K. N.: Es gibt einen Versuch in der Neurobiologie, bei dem man mit einem Teil eines Frosches arbeitet, um die Nervenleitung zu charakterisieren. Natürlich muss man den Frosch dafür aber nicht selber töten. Aber tatsächlich ist die Neurobiologie da nicht „vegan“. Also man muss es tatsächlich am Objekt lernen, damit man wirklich die Nervenableitung praktisch erfährt. Das ist aber der einzige Bereich, wo das stattfindet.

A. B.: Gut, es ist glaube ich hilfreich, einfach vorher zu wissen, was auf einen zukommt. Jetzt haben Sie ja schon gut erklärt, wie es in der Informatik zugeht. Wir haben aber zwei Bereiche, die auch zu diesem Kernbereich zählen: Mathe und Bioinformatik. Dazu würde ich auch ganz gerne noch wissen, wie das im Studium genau aussieht, was man da lernt.

K. N.: Die Mathematik ist ganz ähnlich wie die Informatik, auch der Bereich, der in der Vorlesung selbst sehr theoretisch ist. Man lernt nicht zu rechnen, sondern man lernt mathematisch abstrakt zu denken. Und das ist hier wirklich auf einem, ich sage mal einem Mathematiker äquivalenten Niveau, zumindest in den ersten zwei Jahren, zu erfahren, um da auch sehr gut ausgebildet zu sein. Denn wie ich es ja eben angedeutet habe: Das Formulieren von Problemen in der Informatik, bei der Abstraktion, das geht nicht ohne Mathematik, ohne mathematische Kenntnisse, und zwar sehr gute Kenntnisse. Und das ist eben nicht Rechnen, sondern Mathematik. Also wirklich abstraktes, logisches Denken. Dafür gibt es verschiedenste Teilbereiche, die kennt man schon aus der Schule. Analysis und Lineare Algebra nehmen da jeweils ein Semester einen zentralen Teil ein und dann gibt es noch die Höheren, Funktionale Analysis oder höher Dimensionale Analysis im dritten Semester. Ein weiteres Teilgebiet heißt Kombinatorik, also wie sich verschiedenste Sachen kombinieren lassen und sogenannte Graphentheorie. Also das sind eben auch Abstraktionen, bei denen es darum geht, wie man etwas modellieren kann, um später sogenannte Netzwerke modellieren zu können. Das ist ein wichtiger Bereich für die Bioinformatik, weil in der Zelle alles vernetzt ist. Wenn wir das verstehen wollen, dann müssen wir das irgendwie auch modellieren können. Und dafür brauchen wir diese Objekte der Mathematik, die sogenannten Graphen, die spielen eine sehr zentrale Rolle in der Ausbildung. Und auch hier wird die Vorlesung gehalten und dann gibt es jede Woche ein Aufgabenblatt, mit dem man übt, mathematisch zu denken: Man bekommt eine Aufgabe und die muss man lösen. Meistens sind das Beweisaufgaben oder Anwendungsaufgaben. Anwendung bedeutet zu gucken: Für was haben wir das gelernt und können wir das auf das nächste Problem übertragen? Haben wir zum Beispiel für ein bestimmtes Graphenmodell schon eine Lösung? Wenn dann eine zweite Frage gestellt wird, muss der Studierende zeigen, dass er gelernt hat, das zu übertragen.

A. B.: Ja, wir haben das so ähnlich schon in unserer Folge zur Mathematik gehört also an dieser Stelle der Verweis, es gibt auch eine eigene Folge zum Mathestudium in Tübingen.

K. N.: Ja, in die Bioinformatik steigt man etwas später im Studium ein, weil wir für die Bioinformatik schon die Grundvoraussetzungen brauchen. Wir brauchen schon eine Grundausbildung in der Informatik, um das dann zusammenzubringen. Man braucht auch schon Grundwissen aus der Biologie und Chemie, um sich dann konkrete Algorithmen der Bioinformatik, so heißt das auch, anzuschauen und zu sehen, wie man diese lösen könnte.

A. B.: Also das der Punkt, an dem dann alles zusammenläuft und der, wenn ich es richtig gehört hab, kommt auch ein bisschen später im Studium als die Grundlagen.

K. N.: Ja, wir beginnen im zweiten Semester mit einer Einführungsveranstaltung. Das ist eine Ringvorlesung, bei der die Studierenden einfach mal unsere Dozent:innen und deren Themengebiete kennenlernen. Wir nennen es immer eine „Teaservorstellung“, bei der man sieht, wie spannend unser Gebiet ist und wie vielfältig und wie viele tolle Fragestellungen dieses Gebiet mit sich bringt. Dann sind alle ganz aufgeregt und ein Jahr später machen wir dann die formal wichtigste Vorlesung des Studiums.

A. B.: Haben Sie da vielleicht mal so ein konkretes Beispiel, was vielleicht so eine Überlegung oder eine Fragestellung ist, die dann aus der Bioinformatik in der Verschränkung dieser Fächer durchdacht wird?

K. N.: Ja, vielleicht können wir die Fragen anhand der vergangenen zwei Jahre an der Coronapandemie festmachen, denn tatsächlich ist die Bioinformatik da, glaube ich, ziemlich berühmt geworden. Vor allem auch in Tübingen über die Entwicklung eines Impfstoffes, der über RNA läuft. Ich hatte ja am Anfang schon gesagt, eine RNA ist auch ein wichtiges Molekül in der Zelle und das zu studieren ist Teil der Bioinformatik. Wir sagen vorher, welche RNA-Moleküle wann aktiv sind. Und in der Firma CureVac haben wir gesehen, wie viel Bioinformatik da vonnöten ist. Natürlich haben wir nicht so viel Einblick bekommen, wie jetzt genau so ein Impfstoff entwickelt wird, das ist ja auch ein bisschen Firmengeheimnis gewesen. Wo wir es aber sehr deutlich fast jeden Tag gesehen haben, war daran, wie diese Varianten entstehen. Jeder weiß noch, dass alles mit der Wuhan-Variante anfing. Da war dann die Alpha- und die Beta-Variante und derzeit wütet Omikron auf der Welt. Wie wurden denn diese Varianten überhaupt charakterisiert? Das ist pure Bioinformatik. Da wird nämlich die sogenannte Blaupause, also das Genom des Virus, entschlüsselt. Das geschieht im Labor, aber danach ist alles Bioinformatik. Dann werden bestimmte Algorithmen eingesetzt und man vergleicht das, was man da entschlüsselt hat, von der ganz aktuellen Variante mit dem, was man schon vorher entschlüsselt hatte. Und diese Verfahren, die dazu eingesetzt werden, sind Algorithmen, die wir bei uns in unseren Grundvorlesungen beibringen. So kann man dann feststellen: Sind sich die Genome ähnlich? Nein, sie sind sich nicht ähnlich. Wir haben also eine neue Variante und dann gilt es daran, dieses zu charakterisieren. Diese Variante, die wir jetzt sehen zum Beispiel, Omikron, hat ganz viele Mutationen im Vergleich zur ersten Ausgangsvariante, die wir aus Wuhan kannten. Das wird zum Beispiel auf bestimmte Proteine mit ihren Spikes übertragen, so verändert das dann gewisse Antikörper, die jetzt nicht mehr so aktiv sein können und deswegen hat sich das Virus im Menschen dann auch durchgesetzt. Das ist nämlich jetzt noch fitter mit seinem Infektionsverhalten. Dazu war dann eben auch ein Bioinformatiker, Professor Richard Neher, der übrigens in Tübingen auch mal eine Zeit lang geforscht hat, sehr oft in den Medien zu sehen. Er hat auch eine Software vorgestellt, die reine Bioinformatiksoftware ist. Die heißt Next Strain und zeigt diese unterschiedlichen Varianten. Auf der Webseite kann man auch gucken, wo auf der Welt gerade welche Variante vorherrschend ist und so weiter. Und das sind bioinformatische Methoden, die da eingesetzt werden und nichts anderes.

A. B.: Ja, das ist auf jeden Fall ein sehr anschauliches Beispiel.

C. J.: Ich habe noch eine Frage.

A. B.: Okay, mach du mal weiter.

C. J.: Wir hatten jetzt ja gerade inhaltlich einen sehr tiefen Einblick und davor auch schon einen Überblick über die verschiedenen Anteile der Inhalte im Studium selbst. Aber was auch immer interessant ist, ist zu wissen, wie groß denn insgesamt der Workload bei einem solchen Bioinformatikstudium ist. Wie viel Zeit müssen die Studierenden ungefähr jede Woche investieren? Haben die da noch Zeit nebenher einen Nebenjob zu machen, um sich das zu finanzieren? Ist es so zeitaufwändig sich mit all diesen Fächern zu beschäftigen und all die Übungen und Vorlesungen zu absolvieren, dass da eigentlich gar keine Zeit mehr bleibt? Wie schätzen Sie das ein?

K. N.: Ja, das ist eine sehr gute Frage. Tatsächlich bekomme ich da auch sehr viele Rückmeldungen von Studierenden, die zu mir in meine Studienfachberatung kommen, weil sie zum Beispiel wirklich darauf angewiesen sind, parallel zu arbeiten, und dann mit mir gucken, wie sie das Studium gleichzeitig noch schaffen. Es ist ein anstrengendes Studium, das muss ich wirklich klar sagen, denn wir haben in der laufenden Vorlesungszeit alles, was absolviert werden muss, sehr dicht gedrängt. Es wird zwar auch ein bisschen was ausgelagert in die vorlesungsfreie Zeit, diese Praktika zum Beispiel, aber die Hauptlernzeit ist wirklich in diesen 14 Wochen Vorlesungszeit. Und da erwarten wir von den Studierenden wahrscheinlich mehr als eine 40 Stunden Woche, da muss ich ganz ehrlich sein. Wir ermöglichen es dennoch, das Studium gut durchzuziehen und parallel noch arbeiten zu können. Da haben wir auch Beratungsangebote. Und sehr viele Studierende von uns arbeiten auch regelmäßig entweder als Tutor:innen ab dem dritten Semester oder als hilfswissenschaftliche Mitarbeiter:innen oder auch natürlich außerhalb der Universität. Und die meisten bekommen das wirklich gut hin. Vielleicht verzögert sich damit das Studium um ein Semester.

A. B.: Dann würde ich sagen: Hören wir doch mal rein, was die Tübinger Studierenden an ihrem Studium denn begeistert, denn das ist ja auch ein wichtiger Faktor, um das durchzuhalten.

Persönliche Voraussetzungen (36:02)

Studi 1: Mich begeistert, dass die Bioinformatik sehr interdisziplinär ist und auch sehr abwechslungsreich. Das heißt, man kann sich mit sehr vielen unterschiedlichen Fragestellungen beschäftigen.

Studi 2: Ich muss leider sagen, dass ich nicht so gut im Auswendiglernen bin, weswegen mir die ganzen Biomodule nicht so gut gefallen. Mit Ausnahme, wenn es wirklich Themen gibt, die interessant sind wie momentan Molekularbio 2 mit Bakterien, Viren und Makrophagen. Insgesamt mag ich das Analytische sehr und das Programmieren macht einfach Spaß.

Studi 3: Was ich an Bioinformatik unglaublich spannend finde, ist, dass man damit ganz viel Evolutionsforschung machen kann, aber nicht darauf beschränkt ist, sich nur die Vergangenheit anzugucken, sondern aufgrund der Daten, die man gesammelt hat, auch versuchen kann vorherzusagen, was passieren wird und zum Beispiel Antibiotikaresistenzen bei Bakterien zu untersuchen.

C. J.: Ja, mein Eindruck von diesen Aussagen ist eigentlich, dass alles, was wir jetzt gerade schon erfahren haben, dort bestätigt wird. Man muss auswendig lernen und dazu sollte man vielleicht auch irgendwie ein Talent mitbringen oder zumindest gut durchhalten können. Dafür ist es sehr interdisziplinär. Man forscht an sehr relevanten und spannenden Fragestellungen. In dem Fall wurde die Antibiotikaresistenzforschung genannt. Vielleicht nochmal ganz kurz zusammengefasst: Welche Voraussetzungen sollte ich mitbringen, wenn ich mich jetzt auf das Studium einlasse?

K. N.: Ja, also ich denke mal, die persönliche Voraussetzung ist, dass man wirklich großen Spaß hat an dieser Interdisziplinarität, dass man wirklich aus diesen beiden Kulturen der Informatik und Mathematik sowie den Lebenswissenschaften gemeinsam etwas schöpfen möchte. Dann hat man beste Voraussetzungen, einen großen Gefallen bei uns zu finden. Tatsächlich sind aber, das sollte man sich wirklich klar machen, gute Mathematikfähigkeiten zentrale Voraussetzungen, denn es nimmt einen zentralen Platz ein, sowohl im Studium, als auch später. Ich empfehle außerdem sehr gute Englischkenntnisse. Es wird jetzt nicht in den ersten Wochen oder Jahren auf Englisch gelehrt, aber die meiste Fachliteratur liegt nur auf Englisch vor. Und natürlich ist das Fach Informatik ja schon mit ihrer gesamten Begrifflichkeit ein englisches Fach und von daher legen wir da großen Wert drauf. Außerdem sollte man nicht denken, dass die Informatik ein Einzelplayer-Ding ist. Ganz im Gegenteil: Es ist eine Teamarbeit und somit sind gute Kommunikationsfähigkeiten wirklich ein Plus.

C. J.: Habe ich eine Chance, das auch zu bestehen, wenn ich davor noch keine Informatik in der Schule hatte?

K. N.: Ja, unbedingt. Das ist zwar unsere Herausforderung, aber auch unsere Anforderung an uns selbst, dass wir wirklich von Null beginnen. Natürlich gibt es immer Schüler:innen, die schon mit Programmierkenntnisse kommen, aber das sind nicht diejenigen, die dann alleine bedient werden und bei den anderen heißt es: „Sieh zu, wie Du fertig wirst“, sondern wir fangen bei Null an und nehmen jeden mit.

C. J.: Ja, dann würde ich sagen, wir schauen uns gleich mal an, was man nach diesem Studium so alles machen kann. Dafür haben wir die Studierenden gefragt, ob sie selbst schon eine Vorstellung davon haben.

Berufsperspektiven (38:56)

Studi 1: Ich weiß ehrlich gesagt noch nicht, was ich später beruflich machen möchte. Im Bachelorstudium lernt man vor allem viele Grundlagen. Das heißt, wenn ich im Master einen tieferen Einblick bekomme, sehe ich dann, welcher Teilbereich mich besonders interessiert und welche beruflichen Perspektiven sich daraus ergeben.

Studi 2: Ich denke, ich werde bei der Bioinformatik bleiben und vielleicht noch ein bisschen mehr in Richtung Machine Learning gucken, was es da so gibt.

Studi 3: Im Moment kann ich mir gut vorstellen, nach meinem Studium an der Uni zu arbeiten, da ich es auf der einen Seite unglaublich wichtig finde, dass existierendes Wissen in die nächste Generation weitergegeben wird, aber es auch selbst unglaublich spannend finde, wie die Bioinformatik sich im Moment entwickelt und dort gerne in der Forschung arbeiten würde.

A. B.: Schließen wir gleich mal daran an, wie man die berufliche Richtung vorbereiten kann. Worauf kann man sich denn spezialisieren? Welche Wege bereitet das Studium vor?

K. N.: Die Berufsfelder sind so divers, wie das Fach interdisziplinär ist. Und das ist auch wieder die Chance, die man hier mit diesem Fach hat, weil man seine Stärken wirklich auch in den beruflichen Feldern ausbauen kann. Also ein Beispiel: Ein Studierender hat eben im O-Ton gesagt: Also mit dem Auswendiglernen, das war nicht so mein Ding, aber ich programmiere total gerne. Der kann in Richtung Software Engineering gehen, die beruflichen Möglichkeiten sind dort grandios. Auch für die Bioinformatik, da muss viel programmiert werden. Gleichzeitig gibt es aber auch welche, die sagen: Ich bin näher an der Biologie dran. Softwareentwicklung finde ich jetzt zwar okay, aber ist nicht so meine Stärke. Die sind zum Beispiel in Biotechnologieunternehmen gefragt. Dort arbeitet man dann direkt mit Biolog:innen und Biotechnolog:innen zusammen. Man muss deren Sprache und die Fragestellungen, zu dem was dort erforscht wird, verstehen und dort als Bioinformatiker:innen mehr praktisch angewandte Bioinformatik machen. Also das ist eine tolle Ausgangssituation, denn damit hat jeder Studierende auch mit seinen eigenen Stärken und Interessen die Möglichkeit, sich im späteren Berufsleben zu spezialisieren. Tatsächlich ist es aber so, dass ich für unser Fach erst mal rate nach dem Bachelor- ein Masterstudium anzuschließen. Natürlich rate ich immer zu Tübingen, denn ich finde, wir haben hier ein ganz tolles Studium. Natürlich kann man auch sagen, ich geh woanders hin. Das ist ja auch eine tolle Erfahrung. Aber ein Masterstudium sollte eigentlich schon der Standardabschluss sein. Die Studierenden finden oft in Biotechnologie- und Pharmazieunternehmen nach dem Master ihre Unterkunft. Es gibt natürlich – wie die Studierende andeutete – auch Möglichkeiten in der Forschung zu bleiben. Sehr viele promovieren erst mal nach dem Master und bleiben in der Forschung an den verschiedensten universitären, aber auch außeruniversitären Einrichtungen. Insgesamt, muss ich sagen, sind die Berufsaussichten mehr als hervorragend derzeit, denn wir sind ja auch nach wie vor ein kleines Fach. Also in Tübingen beginnen zum Beispiel im Jahr zirka 50 Studierende mit dem Bachelorstudium und circa 30 bis 40 mit dem Masterstudium. Die Nachfrage nach Bioinformatik ist aber um ein Vielfaches höher. Nach wie vor ist ein Fachkräftemangel zu verzeichnen.

C. J.: Da hätte ich zwei Fragen. Erstens: Warum raten Sie zu dem Masterstudium? In vielen Studiengängen ist das gar nicht so nötig. Und zweitens: Ist es schwer einen Platz zu bekommen für den Bioinformatik Bachelor?

K. N.: Zu Erstens: Tatsächlich finde ich, dadurch, dass wir im Bachelor großen Wert auf die Grundausbildung gelegt haben, den Anteil der reinen Bioinformatik noch nicht groß genug. Also wir haben im Master dann praktisch nur noch Bioinformatik. Hat man einen Bachelor in Bioinformatik, kann man wahrscheinlich sehr gut irgendwo als Informatiker arbeiten, aber nicht als Bioinformatiker. Da braucht es einfach noch mehr Wissen. Zu Zweitens: Ja, sie brauchen einen guten Bachelorabschluss, aber dann kriegen sie auf jeden Fall einen Platz bei uns für den Master. Ich kann nicht für andere Universitäten sprechen, aber bei uns muss man derzeit einen Bachelorabschluss mit der Note 2,5 oder besser absolviert haben und dann bekommt man auf jeden Fall einen Platz.

C. J.: Für das Masterstudium?

K. N.: Genau fürs Masterstudium.

C. J.: Und um einen Platz für das Bachelorstudium zu bekommen?

K. N.: Ja, da gibt es ein Auswahlverfahren. Wir haben 60 Plätze und derzeit ist es so, dass das Fach wahrscheinlich auch noch ein bisschen unbekannter ist, dadurch dass es in der Schule eben kein Fach ist. Wir haben so um die 100 Bewerber:innen pro Jahr und können eigentlich alle zulassen, weil sich dann nicht alle am Ende dafür entscheiden. Und so können wir im Moment sagen, jeder, der bei uns wirklich studieren möchte, hat auch immer einen Platz bekommen. Das ist die Situation derzeit. Ich kann nicht sagen, ob das jetzt vielleicht mit diesem Podcast in Zukunft anders wird.

A. B.: Bestimmt.

C.J.: Wenn ich mich dann für einen Master entscheide nach dem Bachelorstudium, gibt es dann in Tübingen den einen Bioinformatikmasterstudiengang oder gibt es da verschiedene Profile, zwischen denen man wählen kann?
K. N.: Wir haben drei Profile, aber das liegt nicht daran, dass sich der Studierende das aussuchen kann, sondern das liegt an einer Besonderheit, auf die wir auch in Tübingen sehr stolz sind, nämlich dass wir den Master auch aufmachen, für Informatiker:innen bzw. die Biologiestudiengänge. Das heißt, wenn man selber zum Beispiel in seinem Bachelorstudiengang Biologie gemacht hat und sich danach entscheidet, doch auch was mit Bioinformatik machen zu wollen, dann kann man sich bei uns bewerben auf das Profil B. Wenn man Informatik studiert hat und wie die eine Studierende gesagt ha, eine Anwendung sehen will, dann kommt man in die Profillinie C. Alle anderen mit einem Bachelor Bioinformatik sind die Profillinie A und das ist dann vorgegeben, was man da jeweils macht.

A. B.: Ja, also von meiner Seite aus, Christoph, habe ich keine offenen Fragen mehr. Wie sieht es bei dir aus?

C. J.: Ich auch nicht mehr.

K. N.: Ich hätte noch etwas.

A. B.: Ja, gerne.

Insider Tipps (45:18)

K. N.: Sie wollten ja noch einen Insidertipp von mir wissen.

A. B.: Genau! Das käme jetzt. Dann schießen Sie los.

K. N.: Ich habe ein paar Insidertipps mitbekommen. Für diejenigen, die auch gerne mal auf YouTube unterwegs sind, gibt es ein Video, das im Rahmen der 3sat-Scobel-Sendung gedreht wurde zum Thema: Was ist Bioinformatik? Das ist zwar schon ein paar Jahre alt, aber ich habe es mir selbst noch mal angeguckt und muss sagen, das ist völlig aktuell und wirklich ein sehr schöner Einstieg in das Fach. Man findet auch auf YouTube ein Video von der Covid-19-Ringvorlesung, die hier an der Uni Tübingen gedreht wurde letztes Jahr. Und einer meiner Kollegen, Herr Professor Kohlbacher, hat einen tollen, niederschwelligen Einblick gegeben, welche Bedeutung die Bioinformatik in der Erforschung, insbesondere natürlich von Viruserkrankungen, ganz aktuell am Beispiel von Corona hat. Dann habe ich noch den Richard Neher am Anfang erwähnt, der eben auch das Fach wirklich auf der ganzen Welt prominent gemacht hat. Und auch von ihm gibt es tolle YouTube-Videos, alle Interviews, alle Vorträge, meistens auf Englisch. Er hat am 1. Februar zum Beispiel ein Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland gegeben und hier ganz viele Fragen zu Corona beantwortet. Wenn man da mal genau zuhört, dann lernt man wirklich viele Hinweise, wie viel Bioinformatik hier für die Erforschung während der Coronapandemie von Bedeutung und vonnöten war. Ansonsten www.bioinformatik.de, da finden sich viele weitere Informationen zur Bioinformatik. Zum Beispiel auch eine übersichtliche Liste aller Studienorte in Deutschland, hoffentlich dann trotzdem mit der Entscheidung nach Tübingen kommen zu wollen. Aber dort findet man auch noch mal mehr an Informationen und Kurzbeschreibungen.

A. B.: Ja, toll das verlinken wir alles in den Shownotes.

C. J.: Klasse. Dann bedanke ich mich bei Ihnen, Frau Nieselt, dass Sie bei uns zu Gast waren. Schön, dass es heute geklappt hat und Sie uns so detailliert aus dem Studium der Bioinformatik berichtet haben. Alex, auch danke Dir. An euch, Ihr lieben Hörerinnen und Hörer, würden wir gerne die Frage stellen, ob Ihr eigentlich in dieser Folge oder vielleicht auch in vergangenen, irgendwas vermisst habt. Also irgendwelche Fragen, die wir vielleicht noch hätten stellen können oder irgendwelche Themen, die wir noch anreißen könnten. Falls Euch da irgendwas einfällt, schreibt uns gerne an die hochschulreif@uni-tuebingen.de oder auch wenn Ihr sonst Feedback und Kritik habt oder uns einfach nur zujubeln wollt. Ansonsten bis zum nächsten Mal und macht's gut.

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Kay Nieselt über die folgenden Themen: 
01:05 Persönliche Motivation
14:19 Studieninhalte
36:00 Persönliche Voraussetzungen
38:56 Berufsperspektiven 
45:20 Insider-Tipps

Insider-Tipps zur Bioinformatik:

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


Weitere Informationen zum Studiengang: