Es menschelt in der Wissenschaft mehr als die Forschenden eingestehen möchten?
EF: „Menschelt“ klingt mir zu negativ. Wissenschaft ist ein Ort, an dem Menschen unter eigenen Logiken – zum Beispiel mit bestimmten Karriereabsichten – arbeiten. Nur deswegen funktioniert das Ganze. Was treibt die Wissenschaft denn voran? Erkenntnissuche, klar, aber eben auch individuelle Karriereabsichten.
BN: Diese Individuen müssen sich dann als Gruppe finden und Arbeitsformen entwickeln, die nicht von der Wissenschaftstheorie vorgegeben werden. Dabei geht es oft um ganz praktische Themen: Mit wem kann ich einfach zusammenarbeiten, mit wem macht es vielleicht sogar Spaß? Wenn sich Denkweisen und Arbeitsstile von zwei Personen blockieren, sollte man sie besser nicht eine Arbeitsgruppe bilden lassen. Es geht um Aushandlungsprozesse zwischen Personen mit unterschiedlichen Biografien und Wissenshorizonten.
Sie nehmen auch den sozialen Aspekt in ihrem Buch in den Blick.
EF: Ein Forschungsverbund ist eine soziale Gruppe. Professionalität und Emotionalität verschränken sich in der alltäglichen Arbeit. Man sitzt bei Retreats den Tag über mit 40 Leuten zusammen und diskutiert. Jeder sieht, wer wie viel sagt und tut, alle beobachten und bewerten sich gegenseitig – das ist eine stressige Situation. Besonders wichtig sind deshalb Momente, in denen gemeinsam Distanz gewonnen wird. In denen über Geschehnisse gelacht wird, Erzählungen geteilt werden, aus denen sich „Legenden“ entwickeln können. Einige davon beschreiben wir in unserem Buch, etwa den „unversöhnlichen Gutachter“, der in Erzählungen zur Bedrohung von außen stilisiert wird. Solche Legenden stiften Identität und Zusammenhalt.
BN: Emotionen sind wichtig. Sie können einerseits Energie freisetzen, andererseits lähmend wirken. Kritik am eigenen Projekt oder gar eine Ablehnung wird schnell persönlich aufgefasst, denn Wissenschaft begleitet die Menschen nicht nur durch den Arbeitstag, sondern ist oft zentraler Lebensinhalt. Damit muss man im Team umzugehen lernen.
Sind die Geistes- und Sozialwissenschaften bereit für die Arbeit in Verbünden?
BN: Forschungsanträge werden danach bewertet, was sie als Resultat versprechen. So ein Versprechen fällt Geistes- und Sozialwissenschaften schwerer als anderen. Ihre Forschung lebt von dem Wunsch, etwas Neues zu entdecken, und von der Offenheit der Erkenntnis, also von einer eher losen Kopplung zwischen dem Antrag und den Resultaten. Wir müssen unsere Ziele deswegen anders definieren als es etwa die Naturwissenschaften tun.
EF: Geistes- und Sozialwissenschaften suchen nicht nach endgültigen, immerwährenden Lösungen. In „Bedrohte Ordnungen“ haben wir ein Muster gefunden, das Bedrohungsverläufe vergleichbar macht. Wir haben aber keine Lösung für kommende Krisen gefunden. Uns ging es darum, die Beobachtungsperspektive für Krisen zu verbessern. Geisteswissenschaftliche Forschung zeichnet sich durch diese Offenheit aus. Wenn die Wissenschaften das anerkennen, können sie hervorragend in Verbundprojekten arbeiten.
Befinden wir uns mit dem Trend zur Verbundforschung auf einem guten Weg?
BN: Der gegenwärtige Fokus auf Verbundforschung hat natürlich seine eigenen Dysfunktionalitäten. Zum Beispiel wird das Publikationswesen manchmal zu stark nach der Zahl der veröffentlichten Fachartikel und zu wenig nach deren Inhalt bewertet. Aber: Alles in allem habe ich den Eindruck, dass diese Bewegung zu Professionalisierung, Teamarbeit und zur Demokratisierung der akademischen Milieus richtig ist. Die alte Systemlogik der Führung der Wissenschaft durch wenige herausragend scheinende bürgerliche Männer scheint mir nicht die bessere Alternative zu sein.