Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2010: Termine und Veranstaltungen

Journalismus aus Leidenschaft – Alice Schwarzer bei der Tübinger Mediendozentur

Riesenandrang bei der siebten Tübinger Mediendozentur mit der Journalistin und Frauenrechtlerin Alice Schwarzer: rund 1000 Zuhörerinnen und Zuhörer wollten am 12. Mai im Festsaal der Universität Tübingen ihren Vortrag "Eine Frage der Haltung. Plädoyer für einen Journalismus aus Leidenschaft" hören.

Deutlich wurde bei Schwarzers Vortrag, dass hier jemand spricht, der seinen ganz eigenen Weg im Journalismus gesucht und gefunden hat und mit Witz, Charme, klaren Standpunkten und einer spürbaren Lust an der Debatte zu ermutigen versteht.

Alice Schwarzer hat – auch das machte ihr Vortrag noch einmal klar – ein gewaltiges Werk vorzuweisen; sie hat das Zeitgespräch der Republik geprägt und verändert. Zu diesem Werk gehören 38 Bücher, darunter viele Bestseller. Erinnert sei nur an das Buch "Der kleine Unterschied und seine große Folgen" oder an die viel gelobte Biographie der Ausnahme-Journalistin Marion Gräfin Dönhoff. Und zu diesem Werk gehören, nicht zuletzt, die Gründung und Chefredaktion der Zeitschrift Emma, eine große Zahl von Artikeln für fast alle deutschsprachigen Leitmedien, Aufsehen erregende Kampagnen, Gerichtsprozesse und Fernsehdebatten. Man denke auch an ihre berühmt-berüchtigte Selbstbezichtigungsaktion "Wir haben abgetrieben!", an die Klage gegen den Stern wegen sexistischer Titelbilder und an die Kampagne zum Verbot von Pornographie oder den Fernseh-Disput mit der Antifeministin Esther Vilar.

Alice Schwarzer verstand es in ihrem Tübinger Vortrag, die besondere Haltung und das Ethos einer Aufklärungsjournalistin sichtbar werden zu lassen, die eben nicht nur distanziert berichten, sondern auch – leidenschaftlich und offensiv – gesellschaftliche Veränderung bewirken will. Die Zeitschrift Emma ist für sie, das erscheint nur folgerichtig, nicht allein Medium der Information, sondern auch der Intervention, nicht nur Forum der Berichterstattung, sondern auch Instrument der entschiedenen programmatischen Stellungnahme. "Einerseits ist Emma", so Schwarzer, "ein professionelles Blatt, das einen aufklärerischen Journalismus betreibt – und andererseits ist sie ein politisch engagiertes Blatt, das mit dem Blick bewusster Frauen auf die Welt berichtet."

Und die Blattmacherin selbst, die – einerseits angefeindet, andererseits hoch verehrt – eine eigene Position in der Mediengesellschaft einnimmt? Die Journalistin und Frauenrechtlerin demonstrierte an manchem drastischen Beispiel aus dem real existierenden Journalismus, welche gesteigerte Sensibilität und welche Schärfung des eigenen publizistischen Verantwortungsgefühls es mit sich bringt, wenn man sich "unvermeidlich als Subjekt und als Objekt" der Mediengesellschaft begreifen muss, also in Personalunion als engagierte Publizistin, angefeindete Feministin und bewunderter Fernsehstar agiert. Welches Weltverhältnis stiftet, welches Weltverhältnis erzwingt Prominenz? Was heißt es, individuelle Selbstwahrnehmung und öffentliche Fremdwahrnehmung stets neu und abhängig von der aktuellen Nachrichtenlage über die eigene Person in eine Balance bringen zu müssen? Wie behandelt man die Kluft zwischen Image und Ich? Was bedeutet es, medial dämonisiert oder auch medial entdämonisiert zu werden? Alice Schwarzer: "Ich bin als Journalistin handelndes Subjekt und als Person des öffentlichen Lebens gleichzeitig seit Jahrzehnten behandeltes Objekt. Und jedes Mal, wenn ich etwas über mich lese, denkt gleichzeitig die Journalistin in mir: Was ist professionell davon zu halten?"

Es war diese besondere Mischung aus Abstraktion und Anschauung, aus praktischer Theorie und reflektierter Praxis, die das Bild der diesjährigen Mediendozentur geprägt hat. "Und es hat", so schrieb Alice Schwarzer am Tag darauf an die nachhaltig euphorisierten Medienwissenschaftler, "richtig Spaß gemacht in Tübingen! Ich komme bei Gelegenheit gerne wieder."

Prof. Dr. Bernhard Pörksen

Die Tübinger Mediendozentur

Die Tübinger Mediendozentur wurde 2003 von der Medienwissenschaft der Universität Tübingen und von Dr. Andreas Narr, Leiter des SWR-Studios Tübingen, ins Leben gerufen. Sie fördert den journalistischen Nachwuchs und vertieft die Kontakte zwischen SWR und der Universität. Mit Workshops und Vorträgen prominenter Medienvertreter, mit Projektarbeiten und gemeinsamen Veranstaltungen gilt es, Theorie und Praxis, Wissenschaft und Anwendung zu verbinden. Bisherige Gastdozenten waren: Peter Voß (2004), Claus Kleber (2005), Frank Plasberg (2006), Maybrit Illner (2007), Patrick Leclercq (2008) und Giovanni di Lorenzo (2009).