Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 3/2010: Forschung

Acht Millionen Euro für neues Bernstein-Zentrum zur Erforschung der Sinneswahrnehmung

Wie das Gehirn Sinnesinformationen und Vorwissen kombiniert

Wir sehen nur ein graues, abgerundetes Stück Plastik unter der Zeitung hervorlugen – und trotzdem wissen wir sofort, dass wir das Handy endlich gefunden haben. Unser Gehirn verrechnet die von den Augen gelieferte Sinnesinformation mit Erfahrungswerten und kann so die fehlende Information problemlos ergänzen. In einem komplexen Verarbeitungsprozess vergleicht es das Vorwissen über die physikalische Beschaffenheit der Welt mit den aufgenommenen Signalen. Die Wissenschaftler am neu gegründeten Tübinger Bernstein-Zentrum für Computational Neuroscience (theoretische Neurowissenschaften) wollen herausfinden, wie diese Vorgänge im Gehirn ablaufen. An dem Zentrum sind Wissenschaftler der Universität Tübingen, des Werner Reichardt-Centrums für Integrative Neurowissenschaften (CIN), des Hertie-Instituts für klinische Hirnforschung sowie des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik beteiligt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt das Zentrum mit rund acht Millionen Euro.


Koordinator des Tübinger Bernstein-Zentrums ist Professor Dr. Matthias Bethge, gerade auf eine Professur des Exzellenzclusters CIN am Institut für Theoretische Physik der Universität berufen und auch am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik tätig.


"Perzeptuelle Inferenz" nennen Wissenschaftler die Fähigkeit des Gehirns, Sinnesinformationen und Vorwissen zu einer schlüssigen Wahrnehmung unserer Umwelt zu kombinieren. Die Tübinger Forscher untersuchen, wie das komplexe Zusammenspiel vieler Zellen im Gehirn diese Leistung hervorbringen und Unsicherheiten aus den visuellen Eingangssignalen heraus rechnen kann. Welches Vorwissen ist nötig, um die Welt, die wir sehen, zu verstehen? Wie wirkt sich dieses Wissen auf die Sinneswahrnehmung aus? Wie wird Vorwissen im Gehirn gespeichert und wieder abgerufen? „Die Tatsache, dass unser Gehirn solche Probleme scheinbar mühelos löst, ist umso bemerkenswerter, als dass es bis heute keine Computeralgorithmen gibt, die auch nur annähernd an diese Leistung herankämen", sagt Bethge. Die Tübinger Wissenschaftler konzentrieren sich hauptsächlich auf die visuelle Wahrnehmung, wollen aber auch verstehen, wie die unterschiedlichen Sinnessysteme zusammenarbeiten, um ein möglichst realistisches Bild der Umwelt zu erzeugen.


Michael Seifert


Ansprechpartner:

Professor Dr. Matthias Bethge
Universität Tübingen und Werner Reichardt-Centrum für Integrative Neurowissenschaften,
Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik
Tel: +49 7071 601-1770
E-Mail: mbethge[at]tuebingen.mpg.de