Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 3/2016: Studium und Lehre

Chance auf einen Neuanfang

Das Refugee-Programm der Universität Tübingen

Startschuss für das Refugee-Programm: 45 Menschen mit Fluchthintergrund bereiten sich an der Universität Tübingen auf ein Hochschulstudium vor. Auf dem Stundenplan stehen Deutsch- und Integrationskurse.

Auf den ersten Blick könnte es ein ganz normaler Einführungskurs für Erstsemester sein. Die Stimmung ist gelöst, die Gesichter voller freudiger Erwartungen. Stundenpläne und Kursmaterial werden herumgereicht. Die Teilnehmer kennen sich größtenteils noch nicht, aber das wird sich bald ändern. Doch sie sind keine Erstsemester, sondern Menschen, die aus ihrer Heimat geflohen sind und nun das kostenlose Refugee-Programm der Universität Tübingen absolvieren. Sie alle vereint das Ziel, die Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang zu bestehen.

Laut Schätzungen des Wissenschaftsministeriums haben etwa zehn bis 15 Prozent der Flüchtlinge eine akademische Vorbildung. „Und genau dieses Potenzial möchten wir nutzen“, erläutert Dr. Christine Rubas von der Stabsstelle Flüchtlingskoordination der Universität Tübingen. Um gut ausgebildeten Migranten ein Studium in Deutschland zu ermöglichen, hat die Universität Tübingen das Refugee-Programm entwickelt. Es verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz. Die Teilnehmer sollen über zwei Semester lang nicht nur in 20 Stunden pro Woche Deutsch lernen, sondern sich auch auf ein Leben in Deutschland vorbereiten. In den Kursen „Politik und Geschichte“, „Leben in Deutschland“ und „Religion“ erfahren sie mehr über ihre neue Heimat, das politische System, Werte und Rechte. Weil sich gerade die Rolle der Frau in verschiedenen Kulturen oft unterscheidet, gibt es auch einen Frauenclub, bei dem die Teilnehmerinnen ganz unbefangen über ihre Sorgen und Eindrücke sprechen können. Darüber hinaus werden zusätzlich freiwillige Kurse in „Academic English“, kreativem Schreiben, eine Musik-AG und ein Debattier-Klub angeboten. Für gemeinsame Freizeitaktivitäten bekommt jeder „Refugee“ einen sogenannten Buddy an seine Seite, mit dem er nebenbei auch noch Deutsch üben kann. Im zweiten Semester erhalten die Studieninteressierten dann die Gelegenheit, in verschiedene Studienfächer hinein zu schnuppern.

„Sie sind Überlebende“, stellt Rubas fest. Krieg, Terror, Ungewissheit – das haben viele der Teilnehmer in ihren Heimatländern erlebt. Der Weg nach Deutschland war beschwerlich. Per Boot haben einige von ihnen das Mittelmeer überquert und sich von der Türkei aus zu Fuß über die Balkan-Route durchgeschlagen. Monate der Entbehrung liegen hinter ihnen. Jetzt möchten sie aber vor allem nach vorne blicken und sich etwas aufbauen. „Ich wünsche mir, mich zu integrieren, hier zu Hause zu fühlen und normal zu leben“, sagt einer der syrischen Teilnehmer.

Insgesamt 105 Menschen mit Fluchthintergrund haben sich für das Tübinger Refugee-Programm beworben. Eigentlich war nur ein Kurs mit 25 Teilnehmern geplant, aufgrund der großen Nachfrage hat sich die Universitätsleitung jedoch entschieden, einen zweiten Kurs mit bis zu 25 Personen einzurichten. Um einen der begehrten Plätze zu ergattern, mussten die Bewerber Deutschkenntnisse auf B1-Niveau nachweisen, ein Motivationsschreiben verfassen und im Interview überzeugen. Geschafft haben es insgesamt 45 Personen, darunter 15 Frauen. Die große Mehrheit stammt aus Syrien, aber es sind auch einzelne Teilnehmer aus Ländern wie dem Irak, Eritrea, Togo oder Ägypten dabei. Die meisten von ihnen möchten Medizin, Pharmazie oder internationale Wirtschaft studieren – auch vor dem Hintergrund, dass dieses Wissen in ihrem Heimatland gebraucht werde, so Rubas.

„Unsere Kursteilnehmer gehörten sicherlich auch schon in ihrer Heimat zu den Überfliegern“, stellt sie fest. Viele haben bereits einige Jahre studiert, manche von ihnen sogar schon im Beruf gearbeitet. Ein Beispiel dafür ist Ammar Alkhalidi. Der 31-Jährige stammt aus dem Irak und wohnt mit Freunden in Tübingen. Über deutsche Freunde hat er vom Kurs erfahren. Im Irak hatte er bereits einen Bachelor in Musik und nach einer Weiterbildung als Spezialist für Umweltschutz und Sicherheit gearbeitet. Er musste seine Heimat verlassen, weil er als Musiker und Künstler wiederholt von islamistischen Gruppen mit dem Tode bedroht worden war. Nach dem Refugee-Programm möchte er Luft- und Raumfahrtechnik oder Maschinenbau studieren. Beworben hat er sich schon und hofft nun, dass alles klappt: „Inschalla – so Gott will“, sagt er lächelnd.

Mareike Manzke