Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2020: Forschung

Depressions-Früherkennung per Smartphone-App

WhatsApp-Nachrichten können Hinweise auf einen Rückfall geben

„Ein grundlegendes Problem bei der Depression ist, dass die Rückfallquote so hoch ist. Ich selbst habe Jugendliche in der Therapie, die schon die zweite oder dritte Depression hatten. Dagegen wollen wir mit unserem Forschungsprojekt etwas tun“, erklärt Stefan Lüttke vom Fachbereich Klinische Psychologie und Psychotherapie. Ziel des Projekts ist die Entwicklung einer App, die bei jugendlichen Patienten, die bereits eine Depression erlitten haben, die Smartphonenutzung analysiert, um eine erneute Depression früh zu erkennen. Voraussetzung für eine solche App ist die Bestimmung von so genannten Depressionsmarkern, an denen beginnende Symptome sichtbar werden. Finanziert wird die „What’s up?-Studie“ durch eine Crowdfunding-Kampagne, die auch der Mediziner und Entertainer Eckart von Hirschhausen mit einem Vortrag in Tübingen im Januar 2018 unterstützt hat. 

Erste Pilotstudie lässt erste Depressionsmarker erkennen

„Im Frühjahr 2018 konnten wir mit der ersten Pilotstudie mit 13-21-jährigen Probanden ohne Diagnose einer klinischen Depression starten. Diese Daten werten wir aktuell noch aus“, berichtet Stefan Lüttke. „Wir konnten aber jetzt schon feststellen, dass Probanden, die im vorab ausgefüllten Fragebogen depressive Symptome angegeben hatten, sich weniger bewegen und tatsächlich auch in WhatsApp-Chats anders schreiben. Sie verwenden oft absolutistische Ausdrücke wie „immer“, „nie“ oder „alles“, durch die ein Schwarz-Weiß-Denken zum Ausdruck kommt. Außerdem verwenden sie viel mehr Negationen als gewöhnlich.“ Ziel dieser ersten Studie sei auch gewesen, festzustellen, ob Jugendliche überhaupt bereit sind, an einer solchen Untersuchung mitzumachen. Erfahrungswerte gibt es dazu in der Wissenschaft bisher kaum. „In der zweiten, aktuell laufenden Studie arbeiten wir tatsächlich mit Jugendlichen zusammen, die aktuell an einer Depression erkrankt sind. Es war also wichtig, in der ersten Studie zu testen, ob diese Forschungsmethode auch vom Ablauf und der Technik her so umsetzbar ist“, erläutert Lüttke.

Die zweite Pilotstudie läuft seit April 2019. Hier befragt das Forschungsteam 13-17-jährige Jugendliche, von denen ein Teil schon diagnostizierte Depressionen hatte. Zunächst beantworten die Probanden einen Fragebogen, in dem unter anderem nach Symptomen, Gesundheitszustand allgemein und sozialen Kontakten gefragt wird. „Anschließend sollen die Jugendlichen dann eine Woche lang ganz normal ihr Smartphone nutzen. Wir zeichnen im Hintergrund mit einer App die GPS-Daten auf und wann das Gerät an- und ausgeschaltet wird. Für die Textanalyse der WhatsApp-Nachrichten bitten wir die Probanden, uns das Protokoll eines selbst gewählten Chats zu geben. Interessant ist dabei beispielsweise auch neben der Wortwahl, wie oft auf WhatsApp-Nachrichten geantwortet wird“, erzählt Lüttke. Außerdem werden die Probanden mittels App über ein Pop-Up-Fenster dreimal am Tag gefragt, wie es ihnen im Moment geht. Diese Angaben sollen den Wissenschaftlern helfen, Anzeichen für eine Depression von normalen, kurzzeitigen Stimmungsschwankungen zu unterscheiden.

Grundlagenforschung für die Programmierung eines Algorithmus

Mit Abschluss der zweiten Studie hoffen die Wissenschaftler um Stefan Lüttke, Drittmittel einwerben zu können, um die Programmierung einer App in Auftrag geben zu können, mit der die bisherigen Ergebnisse weiter verfeinert werden können. „Das, was wir gerade machen, ist Grundlagenforschung, die uns irgendwann in die Lage versetzen soll, einen Algorithmus zu programmieren, mit dem sich Depressionen über die Smartphone-Nutzung vorhersagen lassen. Wir müssen herausfinden, welche Depressionsmarker wir weiter verfolgen müssen. Es könnte beispielsweise sein, dass uns die GPS-Daten nicht weiterhelfen, dafür aber die Textanalyse der WhatsApp-Chats“, so Stefan Lüttke.

Auf lange Sicht wollen die Tübinger Psychologen erreichen, dass eine solche Depressions-Frühererkennungs-App in die ärztliche Regelversorgung aufgenommen wird und Ärzte ihren Patienten, die schon einmal eine klinische Depression hatten, diese verschreiben können. Am Projekt beteiligt sind auch die Fachbereiche für Psychologie der Universitäten Dresden und Leipzig. Für die Textauswertung arbeiten die Wissenschaftler mit einem Sprachanalyseunternehmen aus Heilbronn zusammen. Bei der Analyse der WhatsApp-Nutzungsdaten unterstützen Informatiker der Universität Würzburg.

Welche Daten werden gelesen?

Stefan Lüttke hält gelegentlich Vorträge in Schulen über Depressionen bei Jugendlichen und spricht in diesem Zusammenhang auch über die „What’s up?-Studie“. „Die Jugendlichen interessiert natürlich, wie viel wir von den WhatsApp-Chats mitlesen. Da erkläre ich dann sehr genau das Verfahren und dass wir nur Chats auswerten, die unsere Probanden explizit freigegeben haben.“ Datenschutz sei ihm auch für seine eigenen persönlichen Daten wichtig. Schon allein deswegen werde beim Projekt auch sehr auf die Einhaltung der entsprechenden Vorgaben geachtet.

Laut Lüttke gibt es in Deutschland jährlich in den Altersgruppen bis 18 Jahre 450.000 Patienten mit Depressionsdiagnose. „Bei einer solchen Dimension wäre es meiner Meinung nach absolut wünschenswert, wenn die Forschung in diesem Bereich deutlich mehr gefördert wird, zumal mit einer Depression meistens noch weitere, dadurch verursachte Krankheiten einhergehen“.

Johannes Baral