Warum ist die Flusslandschaft des Naryn und Syr Darya für Sie als Ethnologin so interessant?
In seinem 3000 Kilometer langen Flusslauf spiegelt sich praktische jede soziale und ökologische 'Nische' in Zentralasien wider: von Gletschern über sowjetische Städte für Staudammarbeiter bis hin zu jahrtausendealten, fruchtbaren Oasen und Halbwüsten.
Dieser Fluss ist eine Lebensader für große Teile der Bevölkerung dieser Region, und doch wird ihm nicht die gleiche symbolische Rolle zugemessen wie beispielsweise dem Rhein.
Meist wird von diesem Fluss nur als "x Kubik-Kilometer Wasser" gesprochen, um die sich die vier Anrainer-Republiken streiten. Dabei ist eine Flusslandschaft voller Lebewesen und Infrastruktur wie Staudämmen und Brücken viel mehr als ein neutrales Wasservolumen, das man beliebig umwuchten kann.
Was sind die gravierendsten sozialen und ökologischen Veränderungen, die Sie in dieser Region beobachten konnten?
Der großangelegte sowjetische Versuch, dieses Wasservolumen zu 100 Prozent für die Landwirtschaft zu nutzen, hat am Aralsee zu einer der größten menschengemachten Umweltkatastrophen des 20. Jahrhunderts geführt. Mitte des letzten Jahrhunderts galt auch im Westen, dass jede Herausforderung technisch lösbar sei. Die Lösung vieler negativer 'Nebeneffekte' – wie etwa ein austrocknendes Meer – wurden mit dieser Technik-Gläubigkeit in die Zukunft verlagert. Aber immer noch leiden die Menschen in dieser Region an dem Aussterben einer ganzen Fischereiflotte und an schweren Schadstoffbelastungen. Die einzigartigen Tugai-Wälder entlang dieser Flüsse sind fast völlig verschwunden, und durch die Zerstörung dieses Lebensraums sind seit den 70er-Jahren der Turan-Tiger und viele andere Arten ausgestorben.
Ohne diese Wälder und Sümpfe als natürliche 'Klärwerke' und Wasserspeicher müssen auch die Anwohner an den Flussoberläufen darum kämpfen, ihre Felder bewässern zu können. Auch eine Garantie für sauberes Trinkwasser gibt es nicht. Die Gletscher des Tien-Shan-Gebirges, aus denen sich der Naryn und Syr Darya speisen, sind in den letzten Jahrzehnten stark geschrumpft. Diese fehlenden Speicher und 'Kühlelemente' werden den Wasserkreislauf der Region künftig wahrscheinlich noch stärker belasten.
Inwieweit kann Wissenschaft Lösungsmodelle für politische Fragen/Konflikte anbieten?
Als Team sahen wir es vor allem als unsere Aufgabe, die menschliche und landschaftliche Vielgestaltigkeit dieses Flusses zu erarbeiten.
Wenn eine Flusslandschaft neu gesehen wird, dann macht das auch deren Bewohner – menschliche wie auch nicht-menschliche – neu sichtbar. Dieser politisch engagierte Zugang wirft neue spannende Fragen auf: Was ist eigentlich ein Fluss? Wen oder was zähle ich zu einer Flusslandschaft dazu? Diese Frage beantworten Wissenschaften wie Ethnologie, Geografie oder Ökologie auf ganz unterschiedliche Art. Die Definition wird dabei immer auch an bestimmte Zwecke und sozio-kulturelle Lebensrealitäten gebunden sein.
Die großen ökologischen und politischen Herausforderungen unserer Zeit können nur mit einem neuen Verständnis unserer gegenseitigen Abhängigkeiten gelöst werden. In einer Region voller Ressourcen-, Sprach- und Grenzkonflikte verdeutlicht unsere Kunstausstellung zugleich, wieviel die Menschen im Syr-Darya-Delta mit Menschen im Hochgebirge gemein haben.
Während Einigungsversuche der Wasserdiplomatie auf regionaler wie nationaler Ebene seit Jahrzehnten eher bescheidene Ergebnisse bescheren, setzen wir mit unserer Ausstellung in fünf lokalen Sprachen dagegen auf eine Art 'Graswurzel-Diplomatie'.
Wissenschaft und Kunst: Wo sehen Sie Berührungspunkte, wo Gegensätze?
Sowohl Wissenschaft als auch Kunst verstehen sich meist als eine Art, die Welt zu erkunden und ihr Wesen zu erfassen. Die Anerkennung und Kriterien der 'Qualität' in diesen Bereichen sind natürlich ganz unterschiedliche. Interessanterweise stehen aber sowohl in der Wissenschaft wie auch in der Kunst bahnbrechende Ideen im Vordergrund, wenn es um die Kategorie der ‚Exzellenz’ geht.
Es ist für mich jedes Mal ein hochspannender Prozess, mit Künstlerinnen und Künstlern zusammenzuarbeiten: Ich bekomme dabei nie-erahnte Fragen gestellt, werde herausgefordert, meine Praxis zu reflektieren und sicheres Wissen zu hinterfragen. Genau das wünschen wir uns ja auch genauso von einem Konferenzbesuch.