Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 4/2022: Schwerpunkt

Muss die Universität Tübingen ihr Verhältnis zu chinesischen Kooperationspartnern überdenken?

Ein Interview mit Professorin Monique Scheer, Prorektorin für Internationales und Diversität, über die China-Strategie der Universität Tübingen

Frau Scheer, muss die Universität Tübingen ihr Verhältnis zu chinesischen Kooperationspartnern überdenken? 

Wir haben seit vielen Jahren ein produktives Verhältnis mit Forschenden aus und an chinesischen Universitäten. Auf dieser guten Basis wollen wir weiterarbeiten. Wir stellen auch nicht den Studierendenaustausch mit chinesischen Universitäten grundsätzlich in Frage. Wir erkennen allerdings auf politischer Ebene eine Verschiebung der Rahmenbedingungen. 

Welche? 

Im August 2016 hat das Bildungsministerium in China Richtlinien herausgegeben, die eine Überprüfung des akademischen Personals auf Konformität mit der Parteilinie fordern. Im Jahr 2019 haben eine Reihe von Top-Universitäten die akademische Freiheit aus ihren Grundordnungen getilgt oder zumindest dem Patriotismus und Partei-Gehorsam untergeordnet. Einige namhafte chinesische Universitäten haben sich vor kurzem aus internationalen Rankings ausgeklinkt und wollen nur noch eigene, nationalen Rankings gelten lassen. Das mag alles ein Stück weit Symbolpolitik sein, aber wir nehmen diese Abgrenzungsbewegungen sehr ernst. 

Sehen Sie einen Zusammenhang hinter diesen einzelnen Entscheidungen? 

Ja, diese Abgrenzungsbewegungen sind politisch gewollt. Das kommt von oben. Wir dürfen deshalb nicht blauäugig in Kooperationen gehen. Gleichzeitig geht die Zusammenarbeit auf der Ebene  einzelner Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sehr gut weiter. Die chinesischen Kolleginnen und Kollegen wollen den Austausch. Wissenschaft ist international. Sie wollen Teil davon sein.

Hat es auf der institutionellen Ebene Veränderungen bei Kooperationen gegeben? 

Das Department of Chinese Studies an der Peking University hat während der Corona-Pandemie und ohne Rücksprache im vergangenen Jahr unser gemeinsames European Centre for Chinese Studies (ECCS) geschlossen. Als Begründung wurde uns genannt, dass Chinesisch als Fremdsprache nicht länger von einer Lehrkraft aus Deutschland unterrichtet werden müsse, das könne man selbst.  Das schmerzt, denn das Zentrum hatte zwanzig Jahre lang erfolgreiche Arbeit geleistet. Ich weiß nicht, ob diese Entscheidung politisch motiviert war.  Aber diese Art des Umgangs hatte es früher nicht gegeben und sie unterminiert die Vertrauensbasis erheblich. 

Wie können einzelne Wissenschaftler erkennen, ob politisch Einfluss auf eine Kooperation genommen wird oder die Finanzierung problematisch ist?

Wir unterziehen alle neuen Kooperationsvereinbarungen einer Prüfung und schauen nochmal alle bestehenden an. Dafür haben wir im Rektorat eine Checkliste erarbeitet, nach der sich Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen richten können, die im Gespräch mit chinesischen Partnern sind. Diese Checkliste orientiert sich an Empfehlungen und Leitlinien, die von der Hochschulrektorenkonferenz und dem DAAD herausgegeben worden sind und die wir ebenfalls auf Landesebene in einer Arbeitsgruppe als „Bewertungsmatrix“ abgebildet haben. Ganz oben auf der Liste steht natürlich der Punkt Dual Use….

…also Forschung, die sowohl für zivile als auch militärische Zwecke verwendet werden kann. 

Tübinger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die mit Kolleginnen und Kollegen in China forschen möchten, müssen prüfen, ob die Universität Mittel aus dem chinesischen Verteidigungsministerium erhält. Hinweise darauf können sie auf der Webseite „The Chinese Defence University Tracker“ finden. Eine australische Initiative listet auf dem Tracker chinesische Einrichtungen, die zu militärischen Zwecken forschen. Ein Ampelsystem gibt zudem an, ob die Finanzierung durch das Verteidigungsministerium sehr hoch, mittel oder niedrig ist. 

Haben Sie laufende Forschungsvorhaben an der Universität Tübingen identifiziert, die wegen möglicher militärischer Anwendungen problematisch sind?

Nein. Das ist allein schon wegen der Zivilklausel der Universität Tübingen ausgeschlossen. Der Passus legt in der Präambel unserer Grundordnung fest, dass Forschung, Lehre und Studium an der Universität Tübingen friedlichen Zwecken zu dienen haben. Diese Klausel ist aber im internationalen Vergleich ungewöhnlich. In vielen Ländern ist die Finanzierung von Forschung aus dem Verteidigungshaushalt durchaus üblich, besonders in den USA. Deshalb prüfen wir das schon immer bei Drittelmittelanträgen. Wir prüfen auch Anträge im Zusammenhang mit dem Chinese Scholarship Council (CSC) auf potenzielle Dual Use oder Patentrechtverletzung und andere sensible Technologien. Über das CSC- Stipendienprogramm kommen junge chinesische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Tübingen und arbeiten in Forschungsgruppen an der Universität mit. Bei kritischen Themen schreiben wir eben nicht über den CSC aus.

Welche weiteren Punkte stehen auf der Checkliste? 

Wir empfehlen den Forschenden in Kooperationsvereinbarungen bereits Ausstiegsklauseln mit zu formulieren: Wenn Geld vom Militär kommt, wenn Menschen im Rahmen des Forschungsprojekts wegen ihrer Ethnie oder ihres Lebensstils diskriminiert werden, dann sind das Gründe für eine Auflösung des Vertrags. Wir dulden auch keine Vereinbarungen, die einen Abbruch der Beziehungen zu Taiwan verlangen. Wir haben an der Universität ein European Research Center on Contemporary Taiwan und langjährige gute Beziehungen nach Taiwan. Das Zentrum wird von einer taiwanesischen Stiftung mit-finanziert, und es ist das einzige seiner Art in Deutschland.

Wo steckt in der Forschung in Tübingen Geld aus der Volksrepublik? 

Wir nehmen kaum Mittel aus China entgegen. Der größte Posten sind die CSC-Doktorandinnen und -Doktoranden, die mit dem Stipendium aus der Heimat nach Tübingen kommen und hier an Projekten mitarbeiten. Und da ist auch klar: Wer hierherkommt, muss sich an unsere Regeln halten. Dann ist aber jeder auch Teil unserer Community. Wir dulden keinen Generalverdacht gegen chinesische Studierende. Wir heißen sie willkommen!

An welchen Lehrstühlen bestehen Beziehungen nach China? 

Das sind rund zwanzig. Viele in der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, aber besonders intensiv natürlich in unserer sehr renommierten und erfolgreichen Sinologie. Durch sie haben wir Expertise zu China an unserer Universität. Unsere Sinologinnen und Sinologen können andere Fachbereiche, die mit China kooperieren, sehr gut zur Situation in der Region und auch zum Wissenschaftssystem beraten. Im China Zentrum Tübingen (CCT) veranstalten wir Round Table-Diskussionen und wollen das Zentrum auch in Zukunft weiter zu einem Kompetenzzentrum entwickeln.

Der deutsche Politikwissenschaftler Andreas Fulda, der in Nottingham lehrt, sagt: „Wie kann man unter Zensurbedingungen gemeinsam mit China forschen? Was für ein Erkenntnisgewinn soll das bringen?“ Hat er Recht mit seinen Zweifeln? 

Den ersten Teil seiner Aussage über die Zensur teile ich. Den zweiten nicht. Die einzelnen Forschenden müssen entscheiden, wie viele Einschränkungen sie bei ihrer Forschung akzeptieren können. Gerade für Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler ist es wichtig, weiterhin auch in schwierigen Ländern zu forschen. So halten sie ihre Kompetenz aufrecht, wissen was dort im Land los ist. Wenn wir uns komplett abschotten würden, könnten wir nicht weiter Wandel durch Austausch betreiben – ein Satz, den man früher im DAAD hochgehalten hat und nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine vielleicht nüchterner liest. Wenn wir aber auf der politischen Ebene immer weniger Austausch haben können, dann hat die Wissenschaft im Sinne der Science Diplomacy eine wichtige Funktion. Die wissenschaftliche Community ist global. Sie kann Kanäle offen halten, über die auch in schwierigen Zeiten weiter kommuniziert werden kann.

Das Interview führte Tilman Wörtz