Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 3/2023: Leute

Hochschullehrer mit Herz und Verstand, der mit Leidenschaft den Bogen von der Kernphysik zur Elementsynthese in Sternen spannte

Zum Tode von Professor Dr. Günter Staudt ein Nachruf von seinen Schülern und ehemaligen Kollegen

Am 1.Mai 2023 ist Professor Dr. Günter Staudt im Alter von 92 Jahren verstorben.

Günter Staudt legte 1949 in seinem Geburtsort Bernburg an der Saale im heutigen Sachsen-Anhalt sein Abitur ab. Unmittelbar danach reiste er aus der damaligen sowjetischen Besatzungszone aus, um bei Verwandten in Hohenstadt in Württemberg unterzukommen. Sein Ziel war es, im Westen ein Studium aufzunehmen. Allerdings war er sich aufgrund seiner vielfältigen Interessen weder über das Fach, noch über den Studienort im Klaren, so dass er sich unter anderem an der Uni Mainz um einen Studienplatz in Germanistik und in Tübingen in Physik bewarb. Nachdem er zunächst aus Tübingen eine Absage wegen abgelaufener Bewerbungsfrist erhielt, gelang es ihm im September 1949 durch seine Hartnäckigkeit doch noch eine Zulassung zu bekommen. Kurz danach erhielt er auch eine Zusage aus Mainz, aber da hatte er sich bereits für Tübingen und die Physik entschieden. 

Im Dezember 1956 legte er seine Diplomprüfung an der Universität Tübingen ab. In seiner Diplomarbeit und in den ersten Jahren seiner wissenschaftlichen Tätigkeit am Physikalischen Institut der Universität Tübingen beschäftigte er sich mit dem Aufbau von Van-de-Graaff-Generatoren und der Untersuchung von Kernemulsionen und Auslösezählrohren als kernphysikalische Teilchendetektoren. Mit der Inbetriebnahme des Beschleunigers auf der Rosenau wandte sich Günter Staudt dem Studium der neutronen-induzierter Kernreaktionen zu. Am 26.5.1967 promovierte er am physikalischen Institut der Universität Tübingen über das Thema „Die (n,α) -Reaktion mit 15 MeV- Neutronen an den Kernen 138Ba, 140Ce und 142Nd". Die Kernphysik und insbesondere die herausragende Rolle des α-Teilchens bei der Beschreibung der Synthese und des Aufbaus von leichten Kernen lies ihn für den Rest seines Berufslebens nicht mehr los. Im Juli 1972 habilitierte er sich im Fachgebiet Physik und hielt einen Vortrag zu der Frage „Gibt es superschwere Elemente“. Leider ist nicht überliefert zu welchem Schluss er in seinem Vortrag kam. Tatsache ist aber, dass diese Frage so interessant war, dass sich das Großforschungszentrum GSI in den 1980- und 1990er-Jahren des letzten Jahrhunderts intensiv mit der Suche nach superschweren Elementen befasste. Nach seiner Habilitation wurde er 1975 zum „Wissenschaftlichen Rat und Professor“ und schließlich 1978 zum C3 Professor ernannt. Da der Tübinger Van-de-Graaff-Beschleuniger bald an seine Grenzen geriet, führte Prof. Staudt seine Messungen an Beschleunigern im In- und Ausland durch (Bukarest, Bonn, Hamburg, Heidelberg, Jülich, Karlsruhe, Stuttgart, Villigen). Für die Diplomandinnen / Diplomanden und Doktoranden seiner Gruppe waren diese Messkampagnen - die zwar meist mit wenig Schlaf verbunden waren - ein sehr beliebtes Teambuilding Event. Die Ergebnisse der Messungen und Auswertungen wurden durch zahlreiche Arbeiten in Fachzeitschriften veröffentlicht und durch Vorträge auf Fachtagungen vorgestellt. Insbesondere die Teilnahme an der Frühjahrstagung der DPG, war ein fester Termin im Jahresplan. Die Teilnahme war für Mitglieder seiner Arbeitsgruppe im besten Sinne eine Vernetzungs- und Bildungsreise. So war es folgerichtig, dass seine Arbeitsgruppe nicht nur aus „Tübingern“ bestand, sondern international besetzt war. Ein regelmäßiger fachlicher und personeller Austausch fand mit einer Arbeitsgruppe des Wiener Atominstituts statt.

Während seiner Tätigkeit am Physikalischen Institut bekleidete er die Funktion des Dekans, Prodekans, und Studiendekans der Fakultät für Physik. Außerdem war er in sämtlichen Fakultätskommissionen tätig. Ende der achtziger Jahre übernahm er zusätzlich zu seinen Verpflichtungen in Tübingen eine Lehrstuhlvertretung am Institut für Strahlenphysik der Universität Stuttgart.

Seine Grundvorlesung zur Experimentalphysik war bei Studentinnen und Studenten sehr beliebt. Er hat damit Generationen von Physikerinnen und Physikern an der Universität Tübingen geprägt. Das von ihm herausgegebene Skript galt als „Standardwerk“ nicht nur bei Studierenden der Physik sondern auch in den benachbarten Fächer. Das Skript wird heute noch in Form von zwei Büchern, G. Staudt Experimentalphysik I und II, verlegt.

Während seiner Zeit als Professor betreute er zahlreiche Zulassungs-, Diplomarbeiten und führte 16 Doktorarbeiten zu einem erfolgreichen Abschluss. Als Prüfer in Diplom- und Staatsexamensprüfungen wer er wegen seiner Fairness und ruhigen Wesensart äußerst beliebt. Es war für ihn selbstverständlich, auch nach seiner Emeritierung 1997, auf Bitten des Physikalischen Instituts, Vorlesungsvertretungen zu übernehmen. In seinen öffentlichen Vorträgen, die er bis ins hohe Alter hielt, verstand er es immer wieder sowohl physikalische Laien, als auch Fachleute, mit seiner ansteckenden Begeisterung für physikalische Themen in seinen Bann zu ziehen.