Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2025: Leute
Experte für das Neue Testament und die Person Jesus von Nazareth
Zum Tode von Professor Dr. Dr. h.c. Peter Stuhlmacher ein Nachruf von Christof Landmesser
Am Samstag, den 5. April 2025, ist der evangelische Theologe Peter Stuhlmacher im Alter von 93 Jahren verstorben. Die Evangelisch-Theologische Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen trauert um einen international bekannten und angesehenen Kollegen, der nahezu drei Jahrzehnte als Ordinarius für Neues Testament in Tübingen wirkte. Wir verlieren mit Peter Stuhlmacher einen profilierten und hoch engagierten Forscher und Lehrer.
Peter Stuhlmacher wurde am 18. Januar 1932 in Leipzig geboren. Er legte sein Abitur im Jahr 1951 am Eberhard-Ludwigs-Gymnasium in Stuttgart ab. In den Jahren 1952 bis 1959 studierte er Evangelische Theologie, Philosophie und Pädagogik in Tübingen und Göttingen. In Göttingen legte Stuhlmacher im Jahr 1959 das Fakultätsexamen ab. Mit Ernst Käsemann kam er als dessen Wissenschaftlicher Assistent 1959 nach Tübingen. Er wurde 1962 mit seiner Arbeit „Gerechtigkeit Gottes bei Paulus“ zum Dr. theol. promoviert. In den Jahren 1963 und 1964 war Stuhlmacher Vikar in Dußlingen bei Tübingen. Die Zweite Theologische Dienstprüfung legte Stuhlmacher 1964 in Stuttgart ab. Für die Jahre 1964 bis 1968 kehrte er als Wissenschaftlicher Assistent an die Evangelisch-Theologische Fakultät zurück. Im Jahr 1967 habilitierte sich Stuhlmacher mit seiner Arbeit „Untersuchungen zur Traditionsgeschichte des paulinischen Evangeliums“ und erhielt die Venia Legendi für das Fach Neues Testament. Zum 1. August 1968 wurde Stuhlmacher als Ordinarius für Neues Testament an die Theologische Fakultät der Universität Erlangen berufen. Stuhlmacher folgte 1972 einem Ruf nach Tübingen, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2000 als Ordinarius für Neues Testament wirkte. Das Amt des Dekans übernahm Stuhlmacher in den Jahren 1980/81 und 1994/95. In den Jahren 1975 bis 1979 war er der Vertreter der Tübinger Fakultät in der Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Von 1986 an bekleidete Stuhlmacher das Ehrenamt eines Frühpredigers an der Stiftskirche in Tübingen für einige Jahre. Der Tod seiner Ehefrau Irmgard Maria Stuhlmacher im Jahr 2012, die er in den Jahren vor ihrem Tod mit Hingabe gepflegt hatte, bildete für Peter Stuhlmacher und seine ganze Familie einen tiefen Einschnitt.
Bereits die Qualifikationsarbeiten Stuhlmachers lassen die Schriften des Paulus mit ihrer Theologie und ihrer Traditionsgeschichte als einen Schwerpunkt seiner Forschungen erkennen. Die zahlreichen Publikationen und die Themen seiner Lehrveranstaltungen berühren darüber hinaus nahezu alle Felder der neutestamentlichen Theologie. Stuhlmacher hat das Neue Testament stets vor dem Hintergrund der Hebräischen Bibel, der Septuaginta als der griechischen Übersetzung des Alten Testaments und im Kontext des Frühjudentums gelesen. Das führte ihn insbesondere im Gespräch mit dem Tübinger Alttestamentler Hartmut Gese und seinem Kollegen im Neuen Testament Martin Hengel zu seinem zweibändigen Werk „Biblische Theologie des Neuen Testaments“ (1991 und 1999). Der Untertitel des ersten Bandes „Grundlegung. Von Jesus zu Paulus“ ist für Stuhlmachers Lektüre des Neuen Testaments bezeichnend. In kritischer Auseinandersetzung mit weiten Teilen der neutestamentlichen Forschung des 20. Jahrhunderts, insbesondere mit Rudolf Bultmann, versteht Stuhlmacher nicht nachösterliche Gemeindetraditionen als Grundlage der Texte des Neuen Testaments, sondern die in den Evangelien greifbare und historisch zuverlässige Jesustradition. Biblische Theologie wird nach Stuhlmacher nur dann angemessen betrieben, wenn die alt- und neutestamentliche Überlieferung so ausgelegt wird, wie sie selbst ausgelegt werden will. Das damit angedeutete Programm hat Stuhlmacher grundlegend bereits in dem Band „Vom Verstehen des Neuen Testaments. Eine Hermeneutik“ (1979) vorgestellt. Er nennt sein Vorgehen eine „Hermeneutik des Einverständnisses“. Die Lektüre der biblischen Texte darf nach Stuhlmacher nicht bei sich selbst verharren, sie muss immer auf das Leben der Glaubenden und die Kirche ausgerichtet sein. Sein Interesse ist eine geistliche Schriftauslegung, die zu einer geistlichen Erweckung führt. Letztlich ist nach Stuhlmacher Mission das zentrale Thema des Neuen Testaments und auch der Kirche in der Gegenwart.
Im Zentrum von Forschung, Lehre und Predigt steht nach Stuhlmacher die Person Jesus aus Nazareth als der im Alten Testament verheißene Messias. Dass sich in Jesus, dem Sohn Gottes, Gott selbst offenbart, bildet nach Stuhlmacher das Zentrum der Schriften des Neuen Testaments. In den Debatten um die geschichtliche Person Jesus hat sich Stuhlmacher immer wieder kräftig zu Wort gemeldet. Eine bedeutende Station seines akademischen Wirkens bildet das „Gespräch über Jesus“ mit Papst Benedikt XVI. im Jahr 2008 in Castelgandolfo. Zu diesem Treffen Joseph Ratzingers mit seinen Schülern waren auch Peter Stuhlmacher und Martin Hengel zu Vorträgen eingeladen. Stuhlmacher trug zu dem Thema „Jesu Opferung“ vor. Die Lehre Jesu, sein Tod und seine Auferstehung bilden nach Stuhlmacher das im Neuen Testament bezeugte Heilsereignis schlechthin und sind die Grundlage für die Entwicklung der Christologie.
Mit seiner intensiven Auslegung des Neuen Testaments wirkte Stuhlmacher in der Wissenschaft und in der Kirche. Er entwickelte eine große Nähe zu pietistischen Frömmigkeitsrichtungen und gewann auf diesem Weg auch Einfluss im kirchlichen Raum.
Stuhlmacher betreute viele Doktorandinnen und Doktoranden, er erfuhr Ehrungen durch Vortragseinladungen und ihm gewidmete Publikationen. Zu seinem 65. Geburtstag im Jahr 1997 wurde ihm von Schülern und Kollegen die Festschrift „Evangelium. Schriftauslegung. Kirche“ überreicht. Die Theologische Fakultät der Universität Lund verlieh im Jahr 1992 Peter Stuhlmacher die Würde eines Ehrendoktors.
Die Tübinger Evangelisch-Theologische Fakultät wird dem Menschen, Forscher und Lehrer Peter Stuhlmacher ein dankbares Andenken bewahren.
Christof Landmesser