Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2025: Studium und Lehre

Mit KI reflektiert schreiben – ein Lehrprojekt aus der Biologie

Grenzen und Möglichkeiten von KI-Tools beim Wissenschaftlichen Schreiben

Das Seminar „Kommunikation in den Naturwissenschaften“ ist seit rund zehn Jahren verpflichtend für alle Studierenden im Bachelor Biologie. In einem Modellprojekt und mit Hilfe einer initialen Projektförderung für innovative Lehrprojekte aus dem Dezernat für Studium und Lehre wurde es jetzt ergänzt um Inhalte, die im Projekt „Mit/trotz KI reflektiert schreiben“ erarbeitet wurden. Verantwortlich für dieses Lehrprojekt sind Tanja Budde und Dennis Hoksch vom Diversitätsorientierten Schreibzentrum der Universität sowie Dr. Sandra Dietz vom Fachbereich Biologie. Seit dem Sommersemester 2025 werden die im Projekt entstandenen Einheiten auch von anderen Dozierenden des Fachbereichs Biologie eingesetzt.

Was ist das Ziel der neuen Lerninhalte zum Thema KI und Schreiben?

Sandra Dietz: Durch die rasante Entwicklung im Bereich KI entstehen viele neue Fragestellungen und Herausforderungen, nicht nur in der Forschung, sondern eben auch im Bereich Studium und Lehre. Für mich gibt es gefühlt noch zu wenig Diskurs zum Thema KI am Fachbereich. Gleichzeitig spüre ich bei vielen Studierenden eine Verunsicherung im Hinblick auf die Frage, was denn eigentlich erlaubt ist und was nicht.

Das Seminar „Kommunikation in den Naturwissenschaften“, in dem das Schreiben einen großen Raum einnimmt, ist aus meiner Sicht der beste Ort, um das Thema KI anzusprechen und die Studierenden dafür zu sensibilisieren: Was sind die Leitlinien der Universität zum Einsatz von KI, wie gehe ich damit um? Auch um den Studierenden klarzumachen, dass man am Ende trotzdem selbst für das geradestehen muss, was man schreibt und veröffentlicht. Letztendlich ist es genau das, was die Universität von ihren Studierenden und Forschenden fordert: den reflektierten Umgang mit dem Thema KI. 

Das Seminar ist aber auch deshalb besonders gut geeignet, diese KI-Tools auszuprobieren, weil es keinen Notendruck gibt – die Studierenden bekommen ECTS-Punkte und erhalten Feedback, werden aber nicht bewertet. Dies schafft eine sehr offene Atmosphäre, in der alles zum Thema Schreiben gefragt werden kann, ganz unabhängig von KI.

Tanja Budde: Uns vom Schreibzentrum war es wichtig, den Einsatz generativer KI schreibdidaktisch zu umrahmen. Der Schreibprozess ist sehr komplex und es gehören eine Vielzahl verschiedener Skills dazu. Schreibprozesswissen – zu wissen, welche Schritte bzw. Phasen zum Schreibprozess dazu gehören – hilft, den eigenen Schreibprozess produktiv zu steuern. Gleichzeitig ermöglicht es auch ein Nachdenken über die verschiedenen Skills, die zum Schreibprozess gehören. Im Kontext von KI kommen dann natürlich Fragen dazu wie: Was macht der Einsatz von KI mit meinem Schreibprozess? Wo unterstützt KI mein eigenes Denken und Schreiben? Wo engt KI mich aber auch ein, nimmt mir Kreativität? 

Wird generative KI im Schreibprozess verwendet, ist dies häufig die bekannteste: ChatGPT. Aber daneben gibt es natürlich auch andere KI-Tools, die für die unterschiedlichen Phasen im Schreibprozess besser geeignet sein können. Es ist wichtig, diese Alternativen zu kennen und ein passendes Werkzeug aus der Vielzahl von Tools auszuwählen. Auch hierfür wollten wir ein Bewusstsein schaffen.

Wie kam es zu dem Projekt und wie haben Sie das Modul zu KI und Schreiben entwickelt?

Sandra Dietz: Ich habe vor zwei Jahren am World Café „KI in der Lehre – Erfahrungen aus drei Fakultäten“ teilgenommen. Im Hinterkopf hatte ich die Idee, den Aspekt „KI und Schreiben“ in unserem Seminar zu Kommunikation und Schreiben zu implementieren. Den Kontakt zum Schreibzentrum hat letztendlich Lucia Vennarini, die Dezernentin für den Bereich Studium und Lehre, hergestellt.

Im Wintersemester 2024/25 sind wir mit zwei Gruppen des Seminars „Kommunikation in den Naturwissenschaften“ gestartet, mit insgesamt gut 30 Studierenden. Dennis Hoksch hat den Studierenden zunächst erklärt, wie die KI-Tools überhaupt arbeiten. Das ist elementar, denn nur wenn ich eine Ahnung von deren Funktionsweisen habe, kann ich mir wirklich dazu eine eigene Meinung bilden.  

Gleichzeitig haben wir ein Padlet erstellt, in dem wir KI-Tools für verschiedene Aufgaben zusammengestellt haben. Dieses Padlet wurde permanent ergänzt, die Studierenden durften aber auch andere Tools ausprobieren. Ansonsten war die Zielrichtung klar: Die Studierenden sollten im Seminar die KI selber ausprobieren und Erfahrungen sammeln können.

Tanja Budde: Fachspezifische Tools wurden in diesem für Biologie-Studierende konzipierten Kurs in erster Linie für die Recherche genutzt. Bei ChatGPT und Text-Generatoren haben wir uns auf das Prompting fokussiert und erklärt, was gutes Prompting überhaupt beinhaltet.

Der konkrete Arbeitsauftrag an die Studierenden lautete Themenfindung und Präzisierung, dabei sollten sie über den Prompt wirklich in den Dialog treten mit dem KI-Tool. Es war den Studierenden jederzeit freigestellt, ob sie die Schreibaufgabe mit oder ohne KI bearbeiten möchten – oder ob sie sogar nacheinander beides ausprobieren wollen.

Folgende Themen wurden im Seminar abgedeckt:

  • Recherche mit KI-Tools
  • Strukturierung des Schreibprozesses und grundlegende Informationen zur Funktionsweise von KI-Tools
  • Themenfindung und Prompting
  • Texte überarbeiten mit Hilfe von KI-Tools

Sandra Dietz: Die Freiwilligkeit ist ganz wichtig, denn man muss sich fast für jedes Tool anmelden und irgendwelche Daten preisgeben. 

Ich sehe diesen Kurs immer als Training dafür, dass man nachher Publikationen schreiben kann. Ich sage meinen Studierenden immer: Man kann ein noch so toller Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin sein – wenn man diese Forschung nicht anschaulich und verständlich kommunizieren kann, wird man letztendlich keine Forschungsanträge schreiben und auch keine Paper publizieren können.

Dr. Sandra Dietz

Was war für Sie persönlich die wichtigste Erkenntnis aus diesem Projekt?

Sandra Dietz: Das Wichtigste war der Austausch über diese neuen Technologien und das Entwickeln eines kritischen Umgangs. Die Studierenden fanden es sehr hilfreich, zu erfahren, wie diese Tools funktionieren und Texte generieren.

Es gab sehr engagierte Studierende, die haben einige dieser Tools ausprobiert, aber klar gesagt, dass sie das nicht wirklich nutzen wollen – etwa die KI-Bildgeneratoren, bei denen viel Material von Künstlerinnen und Künstlern genutzt wird, ohne dass Rechte eindeutig geklärt sind.

Tanja Budde: Da stimme ich zu. Der Austausch war auch für uns sehr gewinnbringend und der Umgang der Studierenden mit KI sehr reflektiert. Bei der Übung zur Überarbeitung der eigenen Texte mit KI stand die sprachliche Ebene im Vordergrund. Wofür man sich den Einsatz von KI vorstellen kann und wofür nicht, darüber gingen die Meinungen der Studierenden weit auseinander. Für Deutsch konnten sich die Studierenden die Nutzung eines KI-Tools eher vorstellen, zum Beispiel zur Überprüfung. Im Englischen fühlen sich dagegen viele nicht sicher genug, die Rückmeldungen des Tools richtig einzuschätzen.

Auf viele Fragen gibt es beim Thema KI keine eindeutigen Antworten, die für jeden Kontext funktionieren. Fragen wie: Wie muss ich es zitieren? Oder was ist mit Datenschutz? Durch die Möglichkeit auszuprobieren und die anschließende Diskussion gibt das Seminar einen Rahmen, in dem man sich bewegen kann und der hilft zu erkennen, wo die Schwierigkeiten, die Fallstricke, aber auch die Möglichkeiten dieser KI-Tools sind.

Wie geht es weiter?

Sandra Dietz: Wir haben am Ende des Wintersemesters unsere Ergebnisse präsentiert. Das Interesse unter den Kolleginnen und Kollegen in der Biologie war groß, auch bei denen, die gar nicht im Seminar Kommunikation und Naturwissenschaften unterrichten. 

Bereits im aktuellen Sommersemester ist aus dem Projekt ein fester Bestandteil dieses Seminars geworden, d.h. alle Studierenden des Bachelors Biologie sollten zukünftig von den entstandenen Lerneinheiten profitieren können. Auf der Lernplattform Ilias haben wir einen Kurs bereitgestellt, in dem alle Lehrenden des Seminars „Kommunikation in den Naturwissenschaften“ Mitglied sind und sich bedienen können. Der Kurs ist so aufgezogen, dass er gut als Selbstlerneinheit genutzt werden kann. Die Dozenten müssen gar nicht so viel Input geben, da vieles von den Studierenden als Hausaufgabe gemacht werden kann. Die Studierenden setzen sich zu Hause mit der KI auseinander und probieren sie aus, mit Unterstützung der Lernmaterialien auf Ilias.

Tanja Budde: Das Thema KI in der Lehre ist für Lucia Vennarini und das gesamte Dezernat Studium und Lehre ganz wichtig. Dennis Hoksch und ich sind Mitglied in der AG Generative KI an der Universität, die Hochschuldidaktik hat viel zum Thema im Programm, Franziska Siebert aus dem Dezernat hat gerade eine umfangreiche Webseite zum Thema Generative KI in Lehre und Forschung zusammengestellt. Darüber hinaus bietet das Schreibzentrum auch andere Formate zum Thema KI und Schreiben an. Derzeit planen wir beispielsweise eine Selbstlerneinheit für Studierende zum Thema „Wissenschaftliches Schreiben und KI“, in die auch Erfahrungen aus dem gemeinsamen Projekt einfließen sollen. 

Das Interview führte Maximilian von Platen