Uni-Tübingen

Teilprojekt D02: Josephinismus, katholische Kirche und landständischer Adel. Bedrohungskonstellationen in Innerösterreich

Der Josephinismus, der selbst eine Ordnung konstituierte, bedrohte die hergebrachten Ordnungen der barocken Kirche und des landständischen Adels. Als Josephinismus wird die Gesamtheit der aufgeklärt-absolutistischen Reformen in der Habsburger-Monarchie in der Regierungszeit Maria Theresias und Josephs II. bezeichnet, wobei insbesondere die kirchlichen Reformen im Mittelpunkt standen und auch für die Entstehung des Begriffs Anlass gaben. Da die retardierenden Kräfte die Durchsetzung der neuen Ordnung in Frage stellten und dadurch in ein Konkurrenzverhältnis zu diesem traten, ordnet sich das Teilprojekt in den Projektbereich D (Ordnungskonkurrenz) ein.

Die bisherige Forschung untersuchte den Josephinismus zumeist aus der Perspektive des Monarchen und der Zentrale des Staates. Dies hatte eine Konzentration auf die Träger der josephinischen Reformen und die zentralen Territorien der Habsburgermonarchie – Österreich, Böhmen und Ungarn – zur Folge. Der Josephinismus wurde dabei überwiegend im Kontext einer allgemeinen Modernisierungstheorie gedeutet, die positiv oder negativ besetzt werden konnte.

In der Auseinandersetzung um die aufgeklärt-absolutistischen Reformen Kaiser Josephs II. standen sich einander ausschließende Ordnungsvorstellungen diametral gegenüber. Die jeweils andere wurde dabei als Bedrohung wahrgenommen. Die Untersuchung der sich daraus ergebenden Ordnungskonkurrenzen steht im Mittelpunkt des Teilprojekts. Dabei wird eine teleologische Perspektive durch eine differenzierte Analyse der einzelnen Gruppen und Ordnungen ersetzt.

Das diskursgeschichtlich pointierte Projekt wird zur Neuvermessung der Epochengrenze um 1800 einen Beitrag leisten. Durch die differenzierte Untersuchung verschiedener Gruppen wird sich zeigen, dass eine Zuschreibung nach den Gesichtspunkten „vormodern“ und „modern“ nicht stichhaltig ist. Wegen seiner zeitlichen Verortung in der sogenannten „Sattelzeit“ kann das Projekt so einen Beitrag zur kritischen Auseinandersetzung mit der Dichotomie von „Vormoderne“ und „Moderne“ leisten und somit an einer Neuvermessung von Zeitgrenzen Anteil nehmen.

Darüber hinaus können durch die räumliche Konzentration auf die „Peripherie“, ferner durch die Betonung der Wechselseitigkeit der Bedrohung und der Ausgangsoffenheit der historischen Konkurrenzsituation neue Ansätze und Konturierungen in der Josephinismusforschung erreicht werden.

Projektteam

Projektleitung:

Prof. Dr. Anton Schindling

Mitarbeiter:

Philip Steiner, M. A.

Dennis Schmidt, M. A.

Hilfskraft:

Markus Gerstmeier

Fachgebiete und Arbeitsrichtung

Neuere Geschichte

Projektbeschreibung

Das Teilprojekt D02 „Josephinismus, katholische Kirche und landständischer Adel. Bedrohungskonstellationen in Innerösterreich“ (Fachgebiet: Neuere Geschichte), im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 923 „Bedrohte Ordnungen“ der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, befasst sich mit dem komplexen Gegensatz zwischen den Befürwortern und Gegnern der aufgeklärt-absolutistischen Reformen unter dem habsburgischen Herrscher Joseph II. (1741-1790) in Innerösterreich (Steiermark, Kärnten, Krain), wobei sich das Forschungsinteresse auf den innerösterreichischen Adel und den innerösterreichischen katholischen Klerus konzentriert. Das Projekt bezieht sich unter anderem deshalb auf Innerösterreich, da die Bedrohungskonstellation zwischen josephinischen Reformern und Gegnern in den innerösterreichischen Ländern, abseits der Haupt- und Residenzstädte, deutlicher als in anderen Territorien der Habsburger-Monarchie hervortrat und dennoch bis zum heutigen Tage diesbezüglich Forschungslücken zu beklagen sind.

Die öffentlichen und privaten Kontroversen rund um die Reformen Josephs II., der nach dem Tode seiner Mutter Maria Theresia ab 1780 die Alleinregierung inne hatte, versinnbildlichten die einander gegenüberstehenden und miteinander unvereinbaren Ordnungsvorstellungen der verschiedenen Konfliktparteien. Der Zweck der josephinischen Reformvorhaben war es, einen effizienten, modernen und vor allem ein zentralisiertes bürokratisches System zum „Wohl“ und zur „Glückseligkeit“ des Staates zu kreieren. Um dieses Ziel zu erreichen, erschien es, angesichts der alten katholisch-dominierten Ständeordnung in der Habsburger-Monarchie, als unerlässlich, die traditionellen Privilegien des Adels und der katholischen Kirche Schritt für Schritt zurückzudrängen oder ganz abzuschaffen. So entstanden logischerweise Ordnungskonkurrenzen, die individuelle Bedrohungsszenarien mit einer klassisch-spezifischen Bedrohungsterminologie bzw. -semantik entwarfen. Die Bedrohungserfahrungen, mit denen sich das Teilprojekt auseinandersetzt, waren von vielfältiger Natur: Der Monarch selbst fühlte sich wegen der militärischen Erfolge Preußens von außen und von den Gegnern der Reform im Inneren bedroht.

Der konservative Flügel des katholischen Klerus erachtete die josephinische Bestrebung, ein Staatskirchentum nach dem Willen des Herrschers einzuführen, als existenzielle Bedrohung. Maßnahmen wie die Toleranzpatente (Gewährung von religiösen und bürgerlichen Rechten für Angehörige des protestantischen, griechisch-orthodoxen und jüdischen Glaubens), gegen die barocke Frömmigkeit (Beschränkung der Wallfahrten, Feiertage etc.), Klosteraufhebungen und Vorschriften für eine bescheidenere Liturgie brachten jenen Teil des katholischen Klerus, der auf das Prinzip der Monokonfessionalität, der barocken Frömmigkeit, der geistlichen Ordensgemeinschaften und der Scholastik im Bildungswesen bestand, auf die Barrikaden. Die aufgeklärten Geistlichen und Josephiner in der katholischen Kirche, deren Zahl man keinesfalls unterschätzen darf, sahen ihre Geisteshaltung durch die weiterhin bestehende „Bigotterie“ und den grassierenden „Aberglauben“ weiter Teile des Klerus und des Volks bedroht. Die tief verwurzelte Volksfrömmigkeit macht es auch verständlich, dass die radikale Kürzung der Feiertage und das Vorgehen gegen die Frömmigkeit bei einem Großteil des Volkes auf Missfallen stieß. Diese vielschichtigen Gegensätze auf kirchlicher Ebene waren bereits unter Maria Theresia offensichtlich geworden, wobei sich die Bedrohungskommunikation seit den Toleranzpatenten ab 1781 und den Klosteraufhebungen seit 1782 intensivierte.

Die Bedrohung der Ständeordnung durch den neu konstituierten Beamtenapparat und der Verlust zahlreicher Privilegien ließen weite Teile des landständischen Adels zu eifrigen Gegnern der josephinischen Reformen werden. Das Ständewesen war nicht umsonst die Basis der damaligen gesellschaftlichen Ordnungsstruktur. In diesem Ständesystem und in der Landesverfassung dominierte naturgemäß der Adel, der stets auf die Erhaltung der eigenen Privilegien pochte. Ständepartizipation und Länderautonomie stellten wesentliche Bestandteile des politischen Systems der Habsburger-Monarchie dar. Als der Josephinismus an diesen tragenden Ordnungssäulen rüttelte, musste es unweigerlich zu Differenzen kommen, die in den Streit um das Steuer- und Urbarialpatent am 10.02.1789 gipfelten. Genauso gab es aber auch adelige Unterstützer der Reformbewegung, deren Rolle ebenfalls genauer zu untersuchen ist. Somit stellt sich das Teilprojekt ganz klar gegen die bisher angenommene Homogenität der einzelnen Parteien, die hinterfragt werden soll. Die Bedrohungswahrnehmungen erbrachten also sowohl Inklusionen als auch Exklusionen, wobei vermittelnde und polare Positionen ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Verschwörungstheorien spielten bei der Dramatisierung von Bedrohungsszenarien zudem durchaus eine Rolle. Während einige josephinische Reformer hinter den Kritikern eine Verschwörung der „Ex-Jesuiten“ vermuteten, betrachtete mancher katholische Kleriker die „Freimaurerei“ als Katalysator des vermeintlichen Übels.

Die in diesem Teilprojekt tätigen wissenschaftlichen Mitarbeiter Dennis Schmidt und Philip Steiner sollen mit ihren jeweiligen Dissertationen zu einem Erkenntnisgewinn beitragen. Dennis Schmidt behandelt Joseph II. und den innerösterreichischen Klerus, während Philip Steiner das Verhältnis des innerösterreichischen Adels zu den josephinischen Reformen näher analysiert. Beide Dissertationen nehmen spezifisch Bezug auf Bedrohungserfahrungen, Bedrohungswahrnehmungen, Bedrohungskonstellationen und Bedrohungssemantik der jeweiligen konkurrierenden Ordnungsakteure, die ihre unterschiedlichen Interessen vertreten.

Um neue Forschungserkenntnisse zu gewinnen, sind mehrmonatige Archiv- und Bibliotheksaufenthalte in Wien, Graz, Salzburg, Klagenfurt und in Ljubljana geplant.

Projektbezogene Vorträge und Publikationen

Schindling, Anton

Schmidt, Dennis

Steiner, Philip

Tagungen, Workshops, Konferenzen

Projektrelevante Lehrveranstaltungen

Schmidt, Dennis

Steiner, Philip: