Uni-Tübingen

B 01: Variabilität der Ressourcennutzung. Raumerschließung durch späte Neandertaler und frühe anatomisch moderne Menschen in Europa

Projektleitung: Prof. Dr. Harald Floss, Prof. Dr. Nicholas Conard

Mitarbeiter/ innen: Markus Siegris, Judy Yun Chang, Klaus Herkert

Zusammenfassung

Der Zeitabschnitt zwischen ca. 50.000 und 30.000 Jahren vor heute ist in Europa von tief greifenden demographischen und sozio-kulturellen Veränderungen geprägt. Nach mindestens ca. 200.000 Jahren erfolgreicher Existenz sterben die Neandertaler in dieser Phase aus, nicht aber ohne einen kleinen Teil ihres Genpools an anatomisch moderne Menschen weitergegeben zu haben (Green et al. 2010; vgl. Serre/Pääbo 2006).

In etwa derselben Zeit betreten erstmals anatomisch moderne Menschen Europa und breiten sich in der Folge auf dem Kontinent aus. Die Modalitäten, die Geschwindigkeit und die Dynamiken der Ausbreitung von Homo sapiens stehen nach wie vor ebenso im Mittelpunkt der Diskussionen wie die Gründe des Aussterbens der Neandertaler und die Frage, wie es zum Kontakt beider Menschenformen kam und welche Formen dieser gehabt haben könnte.
Die Untersuchung sozialer Netzwerke in Verbindung mit der Nutzung von Ressourcen stellt einen innovativen Ansatz der Erforschung der Neandertaler/Homo sapiens-Problematik dar. Zur Erhellung der Modalitäten dieses menschheitsgeschichtlich bedeutenden Wechsels an der Scharnierstelle zwischen Mittel- und Jungpaläolithikum trägt die bislang kaum erörterte Frage der Ressourcenerschließung besonders bei.

 

Wissenschaftliche Ziele

Ein Erkenntniszuwachs ist durch die Erschließung neuer Fundinventare und einen mit zeitgemäßen Methoden erzielten hoch auflösenden Vergleich von Verhaltensparametern letzter Neandertaler und erster moderner Menschen zu erwarten. Im Mittelpunkt der Studie stehen durch aktuelle Ausgrabungen erschlossene spätmittel- und frühjungpaläolithische Siedlungshorizonte in Burgund (Germolles, Saint-Martin-sous-Montaigu, Solutré, Fontaines: Floss) und auf der Schwäbischen Alb (Hohler Fels bei Schelklingen, Geißenklösterle, Vogelherd, Hohlenstein: Conard), die im Hinblick auf die Nutzungsstrategien von Silexrohmaterialien überprüft werden. Basis jeglichen Erkenntnisgewinns ist hier die zutreffende Art- und Herkunftsbestimmung der verwendeten Gesteinsrohmaterialien, was aus einem Zusammenspiel verschiedener archäologischer, petrographischer und geochemischer Analysemethoden erzielt werden soll. Desweiteren steht die Nutzung immaterieller Ressourcen im Blickpunkt, die sich vor allem auf die Bereiche Techniken und Kunst beziehen. Dies fokussiert auf die Vermittlung entsprechender Kenntnisse, die sich im Zuge von Kontakten bei Migrationsbewegungen ergeben haben. Zusammen mit Hinweisen auf die Nutzungsweisen tierischer und pflanzlicher Ressourcen zeichnen sich so spezifische Ressourcenkomplexe jeweils für die Neandertaler und den Homo sapiens ab, deren Untersuchung neue vergleichende Einblicke in die spezifischen sozio-kulturellen Dynamiken dieser zwei Populationen ermöglichen.

  1. Erstes Ziel ist es, durch Bestimmung der genutzten Ressourcen vergleichend Bewegungen bzw. Migrationen später Neandertaler und des frühen Homo sapiens zu ermitteln und so eine Rekonstruktion von Mobilität und Territorialverhalten zu erreichen. Auf diese Weise können Kontakthypothesen überprüft und Ausrichtungstendenzen fortschreitender Besiedlung aufgezeigt werden.

2. Es wird im Hinblick auf Mobilitätsprozesse konkret zu analysieren sein, inwieweit sich die von den Antragsstellern formulierten Hypothesen des so genannten Donaukorridors (Conard) bzw. der Rhein-Rhône-Achse (Floss) als Leitlinie für Migrationsbewegungen verifizieren lassen. Hier ist es ein faszinierender und auch so intendierter Nebenaspekt, dass beide definierten Fallbeispielregionen bereits während des Pleistozäns durch diese natürlich vorgegebenen Flusssysteme miteinander verbunden waren und eine gemeinsame und vergleichende Herangehensweise naturräumlich rechtfertigen.


3. Ein drittes Ziel ist es, mithilfe der ermittelten Ressourcennutzung sowie spezifischer technologischer Lösungen zu testen, inwieweit sich lateral jeweils Artefaktbestände später Neandertaler und früher anatomisch moderner Menschen in einer der beteiligten Fallbeispielregionen ähnliche Entwicklungstendenzen aufweisen oder sich unterscheiden und vor allem, ob sich im diachronen Vergleich zwischen den archäologischen Technokomplexen dieser Menschenformen entsprechende Tendenzen aufzeigen lassen. Durch die Ermittlung identischer oder unterschiedener Ressourcenkenntnisse kann ein Beitrag zur Frage gemeinsamer oder auch unterschiedener Traditionen und damit zur Frage des Verhältnisses der genanntenMenschenformen zueinander geleistet werden.


4. Schließlich sollen Hypothesen getestet werden, nach denen Homo sapiens gegenüber Neandertalern über eine größere räumliche Flexibilität und komplexere soziale Netzwerke verfügte, die ihm zu einer Überlegenheit verhalfen und letztlich zum Aussterben der Neandertaler beigetragen haben sollen. Die gegenüber den Neandertalern vermutlich entwickelten sozialen Netzwerke des Homo sapiens haben möglicherweise positive Auswirkungen auf eine effizientere Ressourcennutzung gehabt. Das Teilprojekt B 01 garantiert innerhalb des SFB eine deutliche Ausdehnung der diachronen Perspektive bis in das Paläolithikum. Es leistet einen erheblichen Beitrag zur Vermittlung der grundsätzlichen kulturellen Dimension der Ressourcennutzung von Sammlern und Jägern und bildet durch die grundsätzliche Dimension der Erörterung eine der tragenden chronologischen wie inhaltlichen Eckpfeiler des Gesamtprojektes.

 


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