Uni-Tübingen

C 07: Prähistorische Ikonen als Ressourcen in Vergangenheit und Gegenwart

Projektleitung: Prof. Dr. Jörn Staecker, Prof. Dr. Heinrich Härke

Mitarbeiter/ innen: Nina Nordström

Zusammenfassung

Gegenstand des Projektes sind historische Individuen und Monumente, die in der Vergangenheit zu Berühmtheit gelangt sein können und es heute in Ausstellungen oder Inszenierungen definitiv sind. Diese Individuen und Monumente nehmen in der modernen Welt eine identitätsstiftende und in Einzelfällen auch nationsstiftende Rolle ein, sie stellen eine Ressource für verschiedene soziale Einheiten dar und werden Teil eines kulturellen Gedächtnisses. Ihre Bedeutung, d. h. wie sie sich entweder durch die Exponierung oder geographische Lage zu Erinnerungsorten entwickeln, basiert hierbei vor allem auf einem langen und abwechslungsreichen ‚Leben‘, sowohl in der Vergangenheit als auch der Ge-genwart, d. h. in der Forschung und Öffentlichkeit (Museen und Medien). Sie stellen kulturelle Ikonen dar, die eine mehrschichtige Vita in der Politik, Religion und Mythenbildung erhalten, welche schon in der Vergangenheit einsetzt. Sie sind Bestandteil von Sagen/Legenden, werden auf unterschiedlichen Materialien abgebildet und ihre Inszenierung erfolgte bis ins kleinste Detail. Die Popularität der Ikonen bis in die Gegenwart lässt sich nicht nur mit ihrem Reichtum oder ihrer Großartigkeit begründen, son-dern vor allem mit ihrer Einzigartigkeit, welche sich durch den Interaktionsprozess zwischen Wissenschaftlern, Medien und Öffentlichkeit ergibt. Die Wertschätzung der Individuen und Monumente als archäologische Funde – sowohl national als auch international – mit Faktoren wie Aussehen, Alter und Geschlecht, beeinflusst in hohem Maße die Darstellungen und Reflexionen über ihre historische und heutige Bedeutung. Die Bewertung von Gesellschaften, ob es sich um Ikonen handelt, erfolgt nicht mit objektiv messbaren Faktoren. Die Individuen werden im Laufe der Zeit aufgrund ihrer faszinierenden Geschichte zum Teil eines historischen Prozesses, der durch unterschiedliche wissenschaftliche Analysen geprägt wird.

Fallstudien

Im geplanten Teilprojekt sollen in der ersten Förderphase Elitengräber, d. h. sowohl Königs- und Königinnengräber als auch Fürsten- und Fürstinnengräber, untersucht werden. Hierzu gehören zum einen die sehr gut erhaltenen und berühmten wikingerzeitlichen Schiffsgräber von Oseberg und Gokstad aus Norwegen. Dazu gehört zum anderen das über die Jahrhunderte immer schwieriger zu interpretierende Monument von Jelling, Dänemark. Dieses Monument befindet sich wie die norwegischen Schiffsgräber zusammen mit seinen Individuen in einer ständigen Dynamik, deren Bewegungen sowohl in der Wissenschaft, den Medien und der Inszenierung beobachtet werden können. Neben die skandinavischen Beispiele soll das Schiffsgrab von Haithabu-Busdorf gestellt werden, welches nie von einer nationalen Aura umgeben wurde, weil es nach 1864 auf dem ‚falschen‘, d.h. deutschen Territorium lag.In einer zweiten Phase werden die hallstattzeitlichen Elitengräber von Hochdorf und von der Heune-burg Gegenstand der Untersuchung sein. Der ‚Keltenfürst‘ und die ‚Keltenfürstin‘ nehmen primär eine identitätsstiftende Rolle ein, sie dienen nicht der Nationsstiftung wie in Dänemark und Norwegen. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Leistungsshow der Denkmalpflege und ihr wissenschaftliches als auch mediales Potential wird voll ausgeschöpft. Zu diesen ‚Megastars‘ gibt es wieder eine ‚blasse Cousine‘, das Grab der ‚Dame von Vix‘. Gleichzeitig wird für die zweite Phase eine Kooperation mit der Ethnologie angestrebt. Es soll hier ein anderer Raum – Zentralasien – unter vergleichbaren Aspekten analysiert werden. Zu dem Untersuchungsgebiet gehören mehrere befestigte Siedlungen und Gräber des Hochmittelalters, die an der ehemaligen Seidenstraße liegen. Diese Monumente stellen einen wichtigen Teil des nationsbildenden Prozesses in Kirgisien und Kasachstan dar. Für die dritte Phase ist eine Untersuchung von identitätsstiftenden Tempelanlagen in Kambodscha (Angkor Wat) und Indi-en (Jagannath) geplant, die im 12. Jh. gegründet wurden.

 

Wissenschaftliche Ziele

Im Teilprojekt werden zwei eng miteinander verbundene Ziele verfolgt:

1. Es soll der Prozess einer ‚Ikonenbildung‘ aufgezeigt werden, d. h. wie sich ein historisches Indivi-duum bzw. Monument zu einer identitätsstiftenden Ressource entwickelt. Von Bedeutung sind hier die verschiedenen Stationen – historische Dimension, Grablege, Ausgrabung, Ausstellung und Rekon-struktion – und damit die Entwicklung zu einer eigentlichen ‚Biographie‘.

2. Die sozio-kulturelle Dynamik der Bewertung im Prozess von Wissenschaft, Medien und der Öffent-lichkeit, also die Frage, was als Teil eines kulturellen Gedächtnisses definiert wird, ist bedeutungsvoll, um zu verstehen, wie die medialisierte Welt mit einem Kulturgut umgeht und wie dieser Prozess einen nations- bzw. identitätsstiftenden Charakter einnimmt.

Bedeutung des Teilprojekts für den SFB

Mittels dieser Untersuchung sollen mehrere im SFB beteiligte Fächer dazu angeregt werden, über ihre eigenen identitätsstiftenden Ikonen und Monumente zu reflektieren. Hierzu gehören nicht nur die Königsgräber von Qatna (Syrien), welche angesichts der gegenwärtigen politischen Verhältnisse noch ihre Bedeutung belegen müssen, sondern auch allgemeine Bilder von Gruppen/Ethnien, wie ‚die Neandertaler‘ – mit einer Assoziation zu Primitivität und Wildheit, ‚den Griechen‘ – mit einer Assoziation zu Kultur, Demokratie und Bildungsideal, oder ‚den Wikingern‘ – mit einer Assoziation zu Unbezwing-barkeit und Wagemut. Dazu gehören aber auch Bilder von Schatzfunden und unendlichem Reichtum, von Burgen und ihren Rittern oder von Klöstern mit Mönchen und Nonnen. Es soll hier aufgezeigt werden, dass das gesellschaftliche Interesse an Individuen, Ethnien oder Monumenten nicht willkürlich ist, sondern immer durch soziokulturelle Faktoren gesteuert wird.


Die Rechte der auf dieser Seite verwendeten Bilder liegen beim SFB 1070, Teilprojekt C 07.