Uni-Tübingen

B 06

Mensch und Ressourcen in der Bronze- und Eisenzeit – Anthropologische und bioarchäologische Analysen zur Nutzung von Nahrungsressourcen und Detektion von Mobilität

Fachklassifizierung

Ur- und Frühgeschichte
Anthropologie
Wirtschaftsgeschichte




Die Bedeutung von Ressourcen in der Kulturgeschichte wird nicht nur durch Handlungen von Menschen, sondern auch unmittelbar in deren Körper reflektiert. Unterschiede im Zugang zu Ressourcen und deren spezifische Nutzungsweise können direkte Entsprechungen im physischen Erscheinungsbild finden und dadurch wertvolle individualisierte, aber auch generalisierbare Informationen über naturräumliche, ökonomische und sozio-kulturelle Lebensbedingungen liefern und so Wechselwirkungen mit der kulturgeschichtlichen Dynamik beleuchten.

In der ersten Phase des Projekts wurde der alamannische Siedlungsraum in Baden-Württemberg intensiv untersucht. Auf Basis ausgewählter Gräberfelder des 5.–8. Jh. wurde zum einen durch die Wirtschaftsgeschichte der Siedlungsraum in Bezug auf seine naturräumlichen und ökonomischen Voraussetzungen analysiert, zum anderen ausgewähltes Skelettmaterial gründlich untersucht. So konnte für das Gräberfeld von Fridingen eine deutliche Korrelation zwischen den reich ausgestatteten Separatgrablegen und den Isotopenwerten, die auf proteinreiche Ernährung deuten, nachgewiesen werden. Eine bestimmte Personengruppe hatte somit Zugang zu einer abweichenden Ernährung und konnte es sich erlauben, einen aufwändigen Grabbau zu betreiben und unterschiedliche Objekte in den Gräbern zu ‚vernichten‘. Insbesondere ist es von Interesse zu überprüfen, ob diese für den alamannischen Raum nachgewiesenen Resultate auch zu anderen Zeiten an anderen Orten belegt werden können. In der zweiten Phase wurde daher der Fokus auf die Wikingerzeit gelegt, besonders auf Regionen in Skandinavien und (dem späteren) Norddeutschland, die sich im 8.–11. Jh. potentiell durch geographische Mobilität ausgezeichnet haben. Inhaltlich wurde in der zweiten Projektphase besonderes Augenmerk auf die Interaktion von Gewalt (messbar über Schädeltraumata und Waffenspuren), Lebensweise und kulturgeschichtliche Dynamik gelegt. Im Fokus standen drei Regionen: 1. Die Gräberfelder von Thumby-Bienebek und Kosel in der Nähe des Handelsplatzes Haithabu, um Zentrum-Peripherie-Effekte zu untersuchen. 2. Mehrere Gräberfelder auf der dänischen Insel Bornholm, um den Kontakt von skandinavischer und möglicherweise slawischer Bevölkerung zu betrachten. 3. Die Insel Gotland mit ihrer zentralen Rolle im östlichen Ostseeraum. Sowohl bei den frühmittelalterlichen Teilstichproben der Alamannen (Projektphase 1) als auch der Skandinavier (Projektphase 2) konnte mit der Analyse der stabilen Kohlenstoff- und Stickstoffisotopen gezeigt werden, dass sowohl zwischen den Siedlungsplätzen als auch innerhalb der Bevölkerungen unterschiedliche Ernährungsstrategien existierten, darunter geschlechtsspezifische Muster. Männer unterlagen einer stärkeren sozialen Differenzierung im Vergleich zu Frauen, die eine insgesamt homogenere Ernährung aufwiesen. In der zweiten Projektphase konnten für die untersuchten wikingerzeitlichen Bestattungskontexte Korrelationen festgestellt werden zwischen Individuen mit ‚bemerkenswerten‘ archäologischen Grabmerkmalen (Bsp.: Überhügelung) und einer hochwertigen Ernährungszusammensetzung. Aus diesem Befund leiten sich unterschiedliche Zugänge zu Nahrungsressourcen ab, was die Ergebnisse aus der ersten Projektphase bestärkt. Es zeigte sich, dass die ressourcenbezogene Ungleichheit in der wikingerzeitlichen Gesellschaft zwischen Männern und Frauen relativ klein war. In der Viehwirtschaft, die einen wichtigen Teil des RessourcenKomplexes ‚Ernährung‘ darstellt, konnten Frauen einen größeren Beitrag zum Haushaltseinkommen leisten und erreichten dadurch eine stärkere soziale Stellung als in anderen Regionen Europas zur gleichen Zeit. Weiterhin lässt sich eine sukzessive Verschmelzung traditioneller und fremder Kulturelemente feststellen, wie beispielsweise Symboliken des aufkommenden christlichen Glaubens. In der nordischen Gesellschaft war die Ungleichheit von Ernährung und Gesundheit zwar gegeben, allerdings war sie nach unseren Ergebnissen weniger stark ausgeprägt als in der mitteleuropäischen frühmittelalterlichen Gesellschaft.

Ob dies auch für nicht-maritime (Binnenland) und maritime (Inseln) Populationen und RessourcenKulturen des westlichen Mittelmeers in der Bronze- und Eisenzeit der Fall war, werden unsere Analysen in der dritten Projektphase zeigen. Wie schon in Phase 1 und 2 liegt dieser dritten Projektphase eine Analyse von Skeletten mit anthropologischen und biochemischen (isotopenspezifischen) Methoden zugrunde. Zur Untersuchung einer maritimen Gesellschaft kann auf außergewöhnlich gut erhaltene archäologische und anthropologische Materialien zurückgegriffen werden, die in der Biniadrís-Höhle auf Menorca gefunden wurden und die das gesamte demographische Profil einer Dorfgemeinschaft dieser Zeit repräsentieren können. Mithilfe von anthropologischen und naturwissenschaftlichen Methoden wird das Skelettmaterial, wie in den Förderungsphasen davor, unter den Faktoren von Alter, Geschlecht und Gesundheitsstatus (darunter Pathologien) sowie von muskel-induzierten Veränderungen der Knochenmorphologie (v. a. Enthesien) eingehend untersucht. Zusätzlich erlauben mehrere archäologische Schichten die chronologische Differenzierung des Materials. Daraus – und aus nicht-maritimen Vergleichsstichproben aus dem Landesinneren von Südwesteuropa – ergibt sich eine einzigartige Möglichkeit, Ernährung und Gesundheit sowie Funktionszuweisungen und Nutzungsadaptionen als spezifische RessourcenKulturen für maritime und nicht-maritime Ökonomien während der Bronze- und Eisenzeit zu rekonstruieren sowie Ungleichheiten innerhalb der Gesellschaften zu detektieren. Die Lebensmittelproduktion auf Menorca und die nicht-maritimen Vergleichsregionen im westlichen Mittelmeerraum werden auf Basis der regionalen Ernährungsmuster der Bronze- und Eisenzeit über die Zeit dokumentiert und der Wandel der Anbauprodukte bioarchäologisch untersucht. Hierfür werden auch Tierknochen einer intensiven Untersuchung unterzogen, weil die Viehwirtschaft als RessourcenKomplex eine der wichtigen Nahrungsquellen auf Menorca war. Zudem werden die Produktion der maritimen und nicht-maritimen Ökonomien und ihre Nachhaltigkeit erforscht, um zu erkennen, ob demographischer Druck auf Menorca zu einem gleichgewichtigen Wachstum führte oder nicht. Migration könnte eine Alternativhypothese zur Erklärung der zu beobachtenden Muster sein, die untersucht werden, indem 100 Analysen von Strontiumisotopen durchgeführt werden. Insgesamt wird untersucht, ob bestimmte Formen von Machtstrukturen sich in kulturell prädeterminiertem Verhalten äußerten. Diese Fragestellung wird zum generellen Verständnis der sozialen und kulturellen Strukturen von maritimen und nicht-maritimen Populationen beitragen. Die Ergebnisse zur Ernährungsweise und zur Migration werden in einen vergleichenden Kontext mit denen der ersten und zweiten Phase des Teilprojektes gesetzt. Dabei werden die beobachteten Abhängigkeiten im Nahrungsmittelkonsum und die Migrationsereignisse als Adaptions-, Integrations- oder Ablehnungsprozesse analysiert.