Uni-Tübingen

E02: Viri absentes. Re-ordering der Geschlechterordnungen im Kontext der römischen Expansion (2./1. Jh. v. Chr.)

Projektmitarbeiter*innen:
Dr. Lisa Pilar Eberle
Teilprojektleiterin
Johanna Göcke, M.A.
Doktorandin

Fachgebiet: Alte Geschichte

In seiner ersten Phase – der zweiten Förderperiode des SFB – beschäftigte sich das Teilprojekt anhand von drei Fallstudien, davon zwei spätrömischen, mit der Bedrohung von Wirtschafts-, Sozial- und Herrschaftsordnungen durch die Verknappung von agrarischer Arbeitskraft. Während das Projekt wie die bisherige Forschung anfänglich vor allem die Bewältigung dieser Bedrohung durch rechtliche Regulierungen (z.B. durch gesetzliche Standes- und Ortsbindung der Arbeitskräfte) fokussierte, erwiesen sich im Laufe der Projektarbeit alltägliche, lokale Bewältigungsstrategien der landbesitzenden Eliten – z.B. Praktiken der Konkurrenz um Arbeitskräfte, hoher Wettbewerb um Land – als besonders aufschlussreich, die ihrerseits das Thema von Bedrohungskommunikation wurden und im Zusammenspiel mit anderen Faktoren zu einer Verschiebung von Macht- und Rangverhältnissen sowie In- und Exklusionsprozessen innerhalb dieser Gruppe führten. Bedrohung und re-ordering einer gesellschaftlichen Teilordnung – hier der Agrarwirtschaft – affizierten so andere gesellschaftliche Teilordnungen. Um diese Dynamik, die in der ersten Phase nur angeschnitten werden konnte, genauer zu analysieren, verlagert das Teilprojekt seinen Schwerpunkt auf ein dafür besonders aussagekräftiges Fallbeispiel: die römische Republik im 2. und 1. Jh. v.Chr.

Seit Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. erzeugte die römische Expansion im Mittelmeerraum einen chronischen Mangel an Männern im römischen Italien: In einzelnen Kriegszügen kam eine zuvor nicht gekannte Zahl an Männern um, und die Einsatzdauer der Soldaten außerhalb Italiens verlängerte sich drastisch. Bislang hat die Forschung im Zusammenhang mit dieser durch die Expansion bedingten Abwesenheit von Männern vor allem die Verarmung des Kleinbauerntums, den vermehrten Einsatz von Sklaven in der römischen Landwirtschaft und die Schwächung des Wehrpotentials untersucht und als wichtigen Faktor der als ‚Krise der römischen Republik‘ bekannten Bedrohung der sozialen und politischen Ordnung Roms seit dem späteren 2. Jh. v.Chr. beschrieben. Dieses Projekt nimmt eine andere, wenig beachtete soziale Folge der vermehrten Abwesenheit von Männern in den Blick, die nicht nur Arbeitskräfte, sondern vor allem ihre Rolle als Haushaltsvorstand (paterfamilias) betraf. Seine These ist, dass auch das sich zu dieser Zeit abzeichnende re-ordering der Geschlechterverhältnisse in Rom als Konsequenz einer Reihe miteinander verschachtelter Bewältigungsstrategien dieser Verknappung zu sehen ist. Die vermehrte Abwesenheit von Männern, so die Hypothese, bot Frauen verschiedener gesellschaftlicher Schichten die Möglichkeit, eine bedeutendere Rolle in der Verwaltung von Familie und Landbesitz einzunehmen und ihr wachsendes Eigentum eigenständig zu verwalten. Während dieser Umstand langfristig zu der im antiken Vergleich außerordentlich hohen sozialen Handlungsmacht römischer Frauen führte, erzeugte er zunächst viel Unbehagen: Bereits in der ersten Hälfte des 2. Jh. v. Chr. zeigen Gesetze, politische Reden und Komödien eine gesteigerte Sensibilität für die erhöhte Handlungsmacht von Frauen in Bezug auf Eigentum, thematisierten diese als Bedrohung für die Strukturen der römischen Familie und versuchten sie zu unterbinden. 

Ziel des Projektes ist es, die These vom Zusammenhang zwischen der vermehrten Abwesenheit von Männern und der Neuordnung der Geschlechterverhältnisse zu plausibilisieren und die Praktiken und Prozesse herauszuarbeiten, die bei der Neuordnung der Geschlechterverhältnisse wirksam waren. Auch hier spielt das Recht eine Rolle, aber vor allem liegt der Fokus auf alltäglichen Bewältigungsstrategien in Bearbeitung und Verwaltung von Landbesitz, auf gesellschaftlichen Diskursen und emotionalen Veränderungen in der Beziehung von Eheleuten. Für die althistorische Forschung ergibt sich dadurch die Chance, erstmals zwei bislang weitgehend getrennt betrachtete Fundamentalprozesse der Geschichte Roms in der Mittleren und Späten Republik – die römische Expansion und ihre ökonomischen Folgen sowie die Neuordnung der Geschlechterverhältnisse – systematisch zueinander in Beziehung zu setzen. Aufgrund seines Fokus‘ auf Bewältigungshandeln ist das Projekt im Teilbereich E angesiedelt. Zudem bietet es für den SFB ein Fallbeispiel für das Phänomen der Synchronizität, d.h. wie Bedrohung und re-ordering einer Ordnung (demographische Verhältnisse) als nicht intendierte Nebenfolge zugleich andere gesellschaftliche Teilordnungen (Geschlechterbeziehungen) affizieren und dort re-ordering-Prozesse auslösen. Neben der Analyse solcher synchronen Interdependenzen soll das Teilprojekt am Ende der dritten Förderperiode auf Basis dieser Ergebnisse und durch Zusammenführung mit denen der zweiten Förderperiode einen Beitrag zur Formulierung des Models Bedrohte Ordnungen leisten, indem es generalisierbare Aussagen dazu ermöglicht, wie im Kontext demographischen Mangels die Bedrohung einer Teilordnung andere Bereiche affizieren und so eine umfassendere gesellschaftliche Neuordnung in Gang setzen kann.