Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 3/2011: Termine und Veranstaltungen

Avishai Margalit mit Dr. Leopold Lucas-Preis 2011 ausgezeichnet

„Maßgeblich zur Steigerung unserer politischen Urteilskraft beigetragen“.

„Wir verstehen negative Situationen besser als positive“, erklärt Avishai Margalit seine Philosophie der Negativ-Abgrenzung, das heißt, was alles in einer humanen Welt nicht passieren darf. „Ungerechtigkeit bringt uns in die Politik, die Hölle ist spannender als das Paradies. Eval Things are more interesting.“ Die Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Tübingen hat im Mai den politischen Sozialphilosophen Avishai Margalit aus Israel mit dem Dr. Leopold Lucas-Preis ausgezeichnet. Margalit erhält den mit 50.000 Euro dotierten Preis als renommierter Wissenschaftler, so heißt es in der Verleihungsurkunde, „der vor allem mit seinem Entwurf zu einer `anständigen Gesellschaft´, mit seiner Analyse des Kompromisses und mit seiner Theorie der Erinnerung wichtige Bedingungen der menschlichen Lebenswelt erhellt und damit maßgeblich zur Steigerung unserer politischen Urteilskraft beigetragen hat“. Die Auszeichnung ist eine der höchstdotierten für Geisteswissenschaftler in Deutschland.


Die Philosophie der Negativ-Abgrenzung findet sich unter anderem auch in Avishai Margalits bekannten Überlegungen zu einer „anständigen Gesellschaft“. Charakteristisch für diese sei es, dass ihre schwächsten Mitglieder nicht durch soziale Institutionen systematisch erniedrigt, gedemütigt oder entwürdigt werden. Laudator Volker Drehsen, Dekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät Tübingen, lobte besonders Margalits „reflektiven Umgang mit Erinnerung“. Dabei sei besonders der „moralische Zeuge“ von Bedeutung. Dieser schildert nicht nur, was passiert ist, sondern auch wie, wie er etwas erlebt hat und wie das Geschehen nachempfunden werden kann. „Die Ethik der Erinnerung ist wichtig für die Generalthematik des Preises“, sagte Drehsen.

Avishai Margalit wurde 1939 im palästinensischen Afula geboren und wuchs in Jerusalem auf, wo er Philosophie und Wirtschaftswissenschaften studierte. Nach seinem Studium war Margalit im Sechs-Tage-Krieg 1967 an der Eroberung Ost-Jerusalems beteiligt, seither engagiert er sich in der israelischen Friedensbewegung und spricht sich im israelisch-palästinensischen Konflikt für die Zwei-Staaten-Lösung aus: „Ein Ende der Besatzung und eine Deklaration des Palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967“ seien die Lösung.


Bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2008 hatte Margalit die renommierte Shulman-Professur für Philosophie an der Hebräischen Universität von Jerusalem inne und ist seitdem George F. Kennan-Professor am Institute for Advanced Study in Princeton.

Auf Vorschlag des Fachbereiches Geschichtswissenschaft der Universität Tübingen ging der Dr. Leopold-Lucas-Nachwuchswissenschaftler-Preis im Jahr 2011 an Dr. Silke Katharina Mende. Das Thema ihrer mit dem Preis gewürdigten Dissertation lautet: „‘Nicht rechts, nicht links, sondern vorn.‘ Eine Geschichte der ‚Gründungsgrünen‘.“ Der Preis ist mit 12.000 Euro.

Simona Steeger-Przytulla

Mit dem Dr. Leopold Lucas-Preis werden alljährlich Persönlichkeiten geehrt, die zur Förderung der Beziehungen zwischen Menschen und Völkern wesentlich beigetragen und sich durch Veröffentlichungen um die Verbreitung des Toleranzgedankens verdient gemacht haben. Die Auszeichnung wurde 1972 von dem am 9. Juli 1998 verstorbenen Generalkonsul, ehemals Ehrensenator der Universität Tübingen, zum 100. Geburtstag seines in Theresienstadt umgekommenen Vaters, des jüdischen Gelehrten und Rabbiners Dr. Leopold Lucas gestiftet.
Dr. Leopold Lucas wurde 1872 in Marburg geboren, studierte Geschichte und jüdische Wissenschaft sowie Philosophie und orientalische Sprachen in Berlin. 1895 wurde er in Tübingen zum Doktor der Philosophie promoviert, bevor er im Jahre 1899 als Rabbiner nach Glogau berufen wurde.1940 folgte Lucas einem Ruf an die Hochschule für Wissenschaft des Judentums nach Berlin. Nur zwei Jahre später wurde Leopold Lucas zusammen mit seiner Frau nach Theresienstadt deportiert, wo er als Seelsorger für seine Leidensgenossen fungierte und am 13. September 1943 den Strapazen des Konzentrationslagers erlag. Seine Frau Dorothea Lucas wurde im Oktober 1944 nach Auschwitz verschleppt und umgebracht.