Uni-Tübingen

1 Ausgangsbereich „Modellierung“

1.1 (Nicht-)Wirksamkeit von Ambiguität in literarischen Texten

Literaturwissenschaft mit Linguistik und Psychologie

Bei diesem Thema geht es darum, die Ambiguität in literarischen Texten im Hinblick darauf zu untersuchen, inwiefern sie für die Kommunikation von Bedeutung ist und wo Ambiguität in literarischen Kommunikationszusammenhängen wirksam wird. Obwohl Ambiguität für literarische Texte häufig als generell charakteristisch angesehen wird (z. B. Bode 1988 für die Moderne), stellt sich die Frage, ob sie tatsächlich immer und in jeglicher Hinsicht eine Rolle spielt oder ob dies z. B. nur für bestimmte Arten von Ambiguität, für bestimmte Äußerungskontexte und für das Vorliegen beschreibbarer Strategien gilt. Ein Beispiel ist die Äußerung des Schoolmasters in Shakespeare/Fletcher, The Two Noble Kinsmen 3.5.1-3: „Fie, fie, / What tediosity and disinsanity / Is here among you!“ „Disinsanity“ ist eine Wortschöpfung, die nur an dieser einen Stelle vorkommt. Sie wurde auf unterschiedliche Weise interpretiert: Die Vorsilbe „dis-“ dient entweder der Negation oder als Verstärkung (Potter 2015: 269). Im ersten Fall sagt der Schoolmaster das Gegenteil von dem, was er meint. Trotzdem gibt uns der Kommunikationszusammenhang keinen Hinweis darauf, dass Ironie vorliegt (vgl. Bauer 2015b). Vielmehr scheint ein sogenannter malapropism vorzuliegen (vgl. Zirker 2016a). Wenn hier mit Ambiguität gespielt wird, ist es das Spiel der Autoren, nicht der Figur. Im innerdramatischen Kommunikationszusammenhang wird die Ambiguität offensichtlich nicht wahrgenommen und spielt keine Rolle. In der Kommunikation mit dem Zuschauer wird dagegen der Schoolmaster durch die Ambiguität als pseudo-intellektueller Sprecher charakterisiert. In der Dissertation sollen literarische Texte unterschiedlicher Gattungen und Epochen insbesondere im Hinblick auf das Vorkommen nicht wirksamer (bzw. nur in bestimmter Hinsicht wirksamer) Ambiguitäten untersucht werden. Damit wird die Dissertation zur literaturwissenschaftlichen Reflexion des in der Alltagskommunikation häufig anzutreffenden paradoxen Sachverhalts beitragen, dass Ambiguität die Kommunikation häufig nicht stört, obwohl man dies erwarten würde. Die Textanalyse und theoretische Systematisierung wäre durch eine empirische Studie zu ergänzen, in der getestet wird, welche Ambiguitäten aus dem untersuchten Korpus von Lesern stillschweigend aufgelöst werden und welche als konstitutiv für die Bedeutung des Textes angesehen und somit nicht aufgelöst werden. Die Dissertation wird u. a. einen Beitrag zur Beantwortung der Frage leisten, ob Ambiguität bzw. Ambiguitätswahrnehmung in literarischen Kommunikationszusammenhängen anders modelliert werden muss als in nichtliterarischen (PS+). Die Einbeziehung der Wahrnehmung in die Untersuchung literarischer Ambiguität stellt eine Verbindung zur übergeordneten Thematik der Relevanz von Ambiguität her.

Bibliographie

Bode, Christoph (1988). Ästhetik der Ambiguität. Zu Funktion und Bedeutung von Mehr-deutigkeit in der Literatur der Moderne. Tübingen: Niemeyer.

Bauer, Matthias (2015). "Ironie und Ambiguität: Annäherungen aus literaturwissen-schaftlicher Sicht." Faktuales und fiktionales Erzählen. Hgg. Nicole Falkenhayner, Monika Fludernik und Julia Steiner. Würzburg: Ergon. 139-58.

Potter, Lois (Hg.) (2015). William Shakespeare: The Two Noble Kinsmen. 3. Aufl. London: Bloomsbury.

Zirker, Angelika (2016). "Language Play in Translation: Character and Idiom in Shakespeare’s The Merry Wives of Windsor." Language Play and Language Contact. Hgg. Maik Goth, Sebastian Knospe und Alexander Onysko. Berlin et al: de Gruyter. 283-304.

1.2 Die Winograd Challenge in einer virtuellen Welt mit künstlichen Agenten

Kognitionswissenschaft mit Linguistik

Die „Winograd Challenge“ (Levesque 2014) stellt eine Pronomen-Disambiguierungsaufgabe, die nur mit semantischem Verständnis über die Welt lösbar ist. Sie hinterfragt rein statistische Ansätze in der Computerlinguistik und der künstlichen Intelligenz und fordert die Entwicklung von Alternativen. Die Herausforderung besteht darin, Pronomen, die sich auf zwei verschiedene Nomen beziehen können, korrekt zuzuordnen. Dabei ist eine erfolgreiche Disambiguierung nur möglich, wenn die Semantik der vorliegenden Sätze verstanden wird (RS+/RS–). In diesem Dissertationsprojekt soll es darum gehen, die aktuelle kognitive Architektur des künstlichen, intelligenten Agenten „Mario“ (Schrodt/Kneissler/Ehrenfeld/Butz 2017) so zu verbessern, dass er fähig ist, die Winograd Challenge zumindest bezogen auf seine Welt zu lösen. Die Erfahrungen, die Mario (angelehnt an das Computerspiel „Super Mario Bros.“) in Interaktion mit seiner Welt macht, wandelt er in prädiktive Wissenseinheiten um, die in Form von Produktionsregeln abgespeichert werden. So entsteht aus den gesammelten (simulierten) sensomotorischen Erfahrungen ein generatives, ereignisorientiertes Modell (vgl. Butz 2016; Butz/Kutter 2017) von Marios Welt. Das Modell ist zusätzlich an linguistische Modelle – einschließlich Grammatikanalyse und Satzgenerierung – gekoppelt, so dass Mario sein Wissen verbal wiedergeben kann und auch sequentielle Objektinteraktionen verbal instruiert werden können (Schrodt/Kneissler/Ehrenfeld/Butz 2017). Im Rahmen des Dissertationsprojekts soll das vorhandene Programm so erweitert werden, dass es Sätze über seine Welt im Winograd-Stil verarbeiten und verstehen kann. Zum Beispiel kann sich das Pronomen „it“ in dem Satz „When Mario knocks his head with an iron block, then it is destroyed.“ sowohl auf „his head“ als auch auf „an iron block“ beziehen; semantisch richtig kann aber nur der Bezug auf den Block sein, denn dieser wird durch die Aktion zerstört. Folglich soll das künstlich intelligente System in der Lage sein, Simulationen der Winograd-Sätze zu generieren und mittels des internen Vorhersagemodells seiner Umgebung die beschriebene Situation syntaktisch und semantisch zu analysieren.

Wir erwarten, dass neben der Weiterentwicklung des Programms auch die detaillierte, modellorienterte Analyse von identifizierten und weiteren konstruierten Ambiguitätsfällen zu einer systemorientierten, kognitiven Konzeptualisierung von Ambiguitäten beitragen wird. Während die Winograd Challenge durch eine Referenzambiguität entsteht, die durch semantisches Wissen disambiguiert werden kann, lassen in anderen Fällen die vorhandenen Informationen ggf. mehrere Interaktionsketten als Interpretation zu. Ziel des Projekts ist es, anhand von ambigen Sätzen und Satzkombinationen in der Mario-Welt eine Taxonomie von Ambiguitätsfällen zu entwickeln, die auch zur weiteren Konzeptualisierung und Strukturierung von unterschiedlichen und ähnlichen Ambiguitäten beiträgt.

Bibliographie

Butz, Martin V. (2016). "Towards a Unified Sub-Symbolic Computational Theory of Cognition." Frontiers in Psychology 7, 10.3389/fpsyg.2016.00925.

Butz, Martin V. und Esther F. Kutter. (2017). How the Mind Comes Into Being: Introducing Cognitive Science from a Functional and Computational Perspective. Oxford, UK: Oxford University Press.

Schrodt, Fabian; Jan Kneissler, Stephan Ehrenfeld und Martin V. Butz. (2017). "Mario Becomes Cognitive." Topics in Cognitive Science 9: 343-73.

1.3 Dynamische Bedeutungskonfiguration eventiv/stativ-ambiger Verben

Linguistik mit Philosophie, Psychologie und Literaturwissenschaft

Verben wie „blockieren, bedecken, führen“ weisen eine Ereignis/Zustand-Ambiguität auf:

(1) a. Die Demonstranten blockierten in Windeseile die Ausfahrt.

b. Schnee bedeckte langsam die Felder.

c. Anna führt die Gäste durch die Innenstadt.

(2) a. Die Container blockierten tagelang die Ausfahrt.

b. Schnee bedeckte lange die Felder.

c. Die Straße führt durch die Innenstadt.

Dieses Changieren zwischen eventiver und stativer Interpretation – zuweilen mit einhergehender Argumentstrukturalternation – zeichnet einen keineswegs kleinen Teil des Verbbestands aus. Während Standardansätze wie z. B. Rothmayr (2009) zwei Lexikoneinträge vorsehen und diese mehr oder weniger geschickt miteinander verbinden, erlauben neuere Lexikontheorien wie Asher (2011) die Überwindung eines solchen statischen Polysemie-Zugangs zugunsten einer dynamischen Konfigurierung der Verbbedeutung in Abhängigkeit von Komposition und Kontext. Im Rahmen des Dissertationsprojekts soll dieser dynamische Ansatz für eventiv/stative Verben erprobt und ausgearbeitet werden. Ziel ist die Entwicklung einer lexikalischen Semantik, die den Zusammenhang der beiden Lesarten adäquat erfasst und die Hypothesen erlaubt, ob (im Falle eines nicht-strategischen Auftretens) rezeptionsseitig eine Disambiguierung vorgenommen werden muss oder zugunsten semantischer Unterbestimmtheit unterdrückt werden kann. Das Dissertationsvorhaben ist damit innerhalb der GRK-Matrix primär im Bereich RS– angesiedelt. Besonders profitieren kann das Vorhaben von der Verbindung der theoretischen Überlegungen mit einer empirischen Basis in Form von Korpusstudien oder psycholinguistischen Experimenten. In Kooperation mit der Literaturwissenschaft ist zu klären, ob/wie sich in literarischen Kontexten besondere – erweiterte – Interpretationsspielräume ergeben. Verbindungen zur Philosophie ergeben sich zum einen über die ontologischen Grundkategorien Ereignis und Zustand; s. die Vorarbeiten in Maienborn et al. 2015. Zum anderen bietet die Thematik der semantischen Unterbestimmtheit Anknüpfungspunkte zu dem Vagheitsprojekt (s. 3.4.2.1). Als weitergehende Vision bietet das Vorhaben auch die Möglichkeit, auf formal und methodisch gesicherter Grundlage über die wörtliche Bedeutung hinaus in Gefilde nicht-wörtlicher, vor allem metaphorischer Bedeutungskonstitution vorzustoßen. Die

Arbeitshypothese hierzu wäre, dass metaphorische Interpretationen nicht bereits lexikalisch ausgewiesen sind, sondern durch globale Interpretationsstrategien verfügbar werden.

Bibliographie

Asher, Nicholas (2011). Lexical Meaning in Context. A Web of Words. Cambridge: Cambridge University Press.

Rothmayr, Antonia (2009). The Structure of Stative Verbs. Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins, 2009.

Maienborn, Claudia; Simone Alex-Ruf, Verena Eikmeier und Rolf Ulrich (2015). "Do we map Remembrances to the Left and Expectations to the Right on the Mental Timeline? Space-Time Congruency Effects with Retrospective and Prospective Verbs." Acta Psychologica 156: 168-178.

1.4 Ambiguität und Fokalisation

Klassische Philologie mit Linguistik und Literaturwissenschaft

Fokalisation gehört heute zu den am intensivsten diskutierten Begriffen der Erzähltheorie. Seitdem der Begriff von Genette in den 1970er Jahren eingeführt wurde, hat er ältere Korrelate wie Perspektive und Point of view nahezu ersetzt. Fokalisation antwortet auf die Frage „Wer nimmt wahr?“ im Gegensatz zur Frage „Wer erzählt?“ und erfasst analytisch das Perspektivenzentrum einer Erzählung und den Wissenshorizont ihrer wahrnehmenden Instanzen. Im Falle eines allwissenden Erzählers spricht Genette von Nullfokalisierung, wenn das Erzählen sich am Wissen einer Figur orientiert von Interner Fokalisation und wenn das Erzählen weniger sagt als die Figur wissen kann von Externer Fokalisation. Mieke Bal (1977; 1985) hat dieses Modell grundlegend erweitert und u. a. zwischen Fokalisierungsinstanzen und Fokalisierungsobjekten weiter differenziert. Irene de Jong definiert, in Anlehnung an Bal, den allwissenden Erzähler antiker Epen als (covert) external primary narrator-focalizer, die direkten Reden einzelner Figuren fallen unter die Kategorie (covert) secondary narrator-focalizer. Für das Thema der Ambiguität von Bedeutung ist das als embedding bezeichnete Phänomen der Abgabe der Fokalisation eines narrator-focalizers an einzelne Figuren: “It is one of the special characteristics of narrative texts that a primary narrator-focalizor can embed the focalization of a character in his narrator-text, recounting what that character is seeing, feeling, or thinking, without turning him into a secondary narrator-focalizer (who would voice his own focalization in a speech)” (De Jong 2014: 50). Die Übergänge zwischen verschiedenen Fokalisationsinstanzen sind da-bei häufig nicht explizit markiert, so dass Ambiguitäten darüber entstehen, ob Objekte einer Erzählung durch den Erzähler oder die Figur fokalisiert sind. An dieser Stelle setzt das Dissertationsprojekt ein, das derartige Fälle von Ambiguität der Fokalisation genauer untersuchen soll und dadurch einen Beitrag sowohl zur Ambiguitätsforschung als auch zur Diskussion des Fokalisationsbegriffs leisten könnte. Zu fragen ist unter anderem, welche Textstrategien mit dem bezeichneten Phänomen der ‘Fokalisationsambiguität’ verbunden sind, wie sich diese zu anderen Textstrategien verhalten, welche Ambiguisierungs- und Disambiguisierungsangebote über den Weg der Fokalisation erzeugt werden und welche sprachlichen Mittel dabei eingesetzt werden (Felder PS+/RS+). Methodisch wird vorgeschlagen, die oben genannten Fragestellungen an einem epischen Text der lateinischen Literatur zu untersuchen; auch die interdisziplinäre Verbindung mit Texten der modernen Literatur erscheint vielversprechend.

Bibliographie

Bal, Mieke (1985). Narratology: Introduction to the Theory of Narrative. Toronto: Toronto University Press.

Bal, Mieke (1977). Narratologie: Essais sur la signification narrative dans quatre romans modernes. Paris: Klincksieck.

De Jong, Irene (2014). Narratology and Classics: a Practical Guide. Oxford: Oxford University Press.

1.5 Ambiguität der Origo und kommunikative Nähe / Distanz

Linguistik mit Literaturwissenschaft, Rhetorik, Psycholinguistik, Psychologie und Philosophie

Referenzambiguitäten treten auch im Bereich sprachlicher Deiktika auf. Bei ihrer Analyse bildet den zentralen Referenzpunkt die (Sprecher-)Origo des Ich-Hier-Jetzt (Bühler 1965, Diewald 1991), und es werden typischerweise Kommunikationssituationen betrachtet, bei denen sich Produzent und Rezipient in einem gemeinsamen Handlungsrahmen und Wahrnehmungsraum befinden, so dass die vom Sprachsystem her bestehende Unbestimmtheit aufgelöst wird. Daneben gibt es jedoch Verwendungskontexte, in denen der Rezipient den zentralen Referenzanker für entsprechende deiktische Bezüge darstellt. Hierdurch kommen zwei klar unterscheidbare Interpretationsalternativen für die Deiktika ins Spiel (mit Sprecherorigo bzw. Hörerorigo). In der Forschung zu Gesten wurde bereits auf Verlagerungen bei referentiellen Bezügen hingewiesen (Fricke 2007, 2015); Bühler selbst thematisiert Verschiebungen der Origo unter dem Begriff der Deixis am Phantasma. Bislang gibt es jedoch noch keine umfassenden Studien zu der Frage, wie die Festlegung der Bedeutung deiktischer Ausdrücke erfolgt, d. h. inwieweit diese individuell verhandelt werden (müssen) und es hier zu Missverständnissen kommen kann (PS–/RS–), bzw. inwieweit es diskurstraditionelle Muster (etwa im Bereich der Werbesprache) oder einzelsprachliche Konventionen (etwa durch Differenzierung der Systeme der Demonstrativpronomina) gibt, auf die zurückgegriffen werden kann. Insbesondere ist noch nicht untersucht, inwiefern entsprechende Interpretationsspielräume bei Deiktika vom Produzenten und evtl. auch Rezipienten bewusst eingesetzt werden können (PS+, RS+), etwa um in der Werbekommunikation eine maximale Adressaten-Orientierung zu suggerieren. Im Projekt soll unter Heranziehung der Parameter der kommunikativen Nähe bzw. Distanz (Koch/Oesterreicher 2011, Oesterreicher/Koch 2016) untersucht werden, ob in Situationen der Nähekommunikation eine Sprecherorigo als Default angenommen wer-den kann und inwiefern für bestimmte Verwendungsbereiche (Chat, SMS-Kommunikation, Reiseblogs, Werbekommunikation) abweichende Interpretationsprinzipien angesetzt werden können. Ebenso ist zu klären, inwiefern die erfolgreiche Festlegung entsprechender Referenz-bezüge als Manifestation von Empathie (Geeraerts 2016) zu analysieren ist. In theoretischer Hinsicht stellt sich schließlich die Frage, wie die beobachteten Interpretationsspielräume zu kategorisieren sind (vgl. das Spannungsfeld von Ambiguität und Vagheit).

Bibliographie

Bühler, Karl (1934/1999). Sprachtheorie: Die Darstellungsfunktion der Sprache. 3. Aufl. Stuttgart: Fischer.

Diewald, Gabriele (1991). Deixis und Textsorten im Deutschen. Tübingen: Niemeyer.

Fricke, Ellen (2015). "Grammar, deixis, and multimodality between code-manifestation and code-integration or why Kendon's Continuum should be transformed into a gestural circle." Hgg. Gaëlle Ferré und Mark Tutton, Gesture and Speech in Interaction, 4. Aufl. (GESPIN 4), 14–16.

Fricke, Ellen (2007). Origo, Geste und Raum – Lokaldeixis im Deutschen. Berlin and New York: De Gruyter.

Geeraerts, Dirk (2016). „The Sociosemiotic Commitment.“ Cognitive Linguistics 27.4: 527-542.

Oesterreicher, Wulf und Peter Koch (2016). "30 Jahre 'Sprache der Nähe - Sprache der Distanz' - Zu Anfängen und Entwicklung von Konzepten im Feld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit." Zur Karriere von 'Nähe und Distanz.' Rezeption und Diskussion des Koch-Oesterreicher-Modells. Berlin and New York: De Gruyter.

Koch, Peter und Wulf Oesterreicher (2011). Gesprochene Sprache in der Romania : Französisch, Italienisch, Spanisch. 2. überarb. Aufl. Berlin und New York: De Gruyter.

1.6 Prozessierungsangebote ambiger Strukturen in Texten und Textcorpora

Rhetorik mit Linguistik, Literaturwissenschaft und Theologie

Bei Ambiguität gehen wir davon aus, dass sie sich in ihren Erscheinungsformen strukturell beschreiben lässt. Was aber beobachten wir, wenn wir Ambiguitätsprozesse als Beobachter zweiter Ordnung im Sinne Luhmanns beobachten? Aus der produktionstheoretischen Sicht der Rhetorik kann man die in den Texten sedimentierten Strukturkalküle in den Blick nehmen, die wir als Prozessierungsangebote an Adressaten bzw. als Erschwerung oder Verweigerung der Prozessierung auffassen können. Beobachtbare Ambiguitätserscheinungen werden also als Manifestationen kommunikativer Strategien (PS+) in Text und Interaktion aufgefasst, die auf das Initiieren von Ambiguitätserlebnissen hinauslaufen. Untersuchungsgegenstände können z. B. dialogische Texte (insbesondere Gespräche) sein, sodann beobachtbare Interaktionsabläufe in der Kultur oder auch Vorgänge der Produktwerbung und der PR. Die rhetorisch-strategischen Produktionskalküle beziehen sich dabei im Wesentlichen auf zwei Handlungskomplexe im Kommunikationsprozess: Identifizieren und Integrieren von Ambiguität. Unter dem Aspekt Identifizieren ist u. a. zu untersuchen, welche Möglichkeiten der Identifizierung von Ambiguität überhaupt vorhanden sind. Worin bestehen die dafür erforderlichen Trigger im je konkreten Fall? Welche gezielten Erschwerungskalküle und Verarbeitungschancen sind für die kognitive Verarbeitung eingearbeitet (z. B. hermetische Lyrik vs. Kriminalroman)? Dabei müssen Indikatoren der Ambiguitätsidentifikation entdeckt und systematisiert werden, z. B. Rekursangebote auf Erinnerungsressourcen, z. B. für Ähnlichkeitsidentifkationen (oder aber auch nicht, etwa im Fall von Hermetikstrategien). Unter dem Aspekt Integrieren geht es um die Frage, inwieweit das Ambiguieren ein kommunikatives Angebot an den Adressaten enthält, das er in sein emotional-kognitives System integrieren kann. Dient es z. B. der Irritation und Verunsicherung des Kommunikationspartners? Und warum? Sollen Texte und Rituale gezielt undurchsichtig gemacht werden oder handelt es sich um ambige ‚Unfälle‘? Sollen Texterwartungen konfrontativ frustriert werden oder soll ein Spiel eröffnet werden? Hier geht es auch um die Strukturen der Integrationsmöglichkeiten, etwa Kalküle in Hinblick auf bekannte Konnektoren beim Adressaten, Rätsel, die enträtselt werden sollen oder hermeneutische Schlüssel für die Disambiguierung. Zu untersuchen sind die prozessual wahrnehmbare Ab-folge von bestimmten Strukturangeboten im Text, Abläufe (Zuwächse, Abnahmen, Iterationen, Taktung, Rhythmen) und insgesamt um Abfolge von Informationen zum Zweck der Integration ins Bewusstsein des Adressaten. Maßgeblich wird dabei insbesondere auch die rhetorische Widerstandstheorie, denn Rhetorik basiert in ihren Erfolgskalkülen wesentlich auf Widerstandsanalysen und ihre gezielte Bearbeitung.