Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 4/2020: Leute

Neue Hüterin des Universitätsschatzes

Ein Interview mit Dr. Ariane Koller, Kustodin der Graphischen Sammlung am Kunsthistorischen Institut

Dr. Ariane Koller wacht über einen Schatz. Und das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Seit August 2020 ist sie Kustodin der Graphischen Sammlung und zusätzlich verantwortlich für das Historische Fotoarchiv des Kunsthistorischen Instituts sowie die Gemäldesammlung und den Silberschatz der Universität.

Herzlich willkommen an der Tübinger Universität, Frau Koller. Welche Bestände betreuen Sie in Ihrer neuen Aufgabe als Kustodin?

Graphische Sammlung 

Die Graphische Sammlung umfasst rund 12.000 Blätter aus der Zeit um 1500 bis in die Gegenwart, wobei der Altbestand insbesondere europäische Drucke vom 16.-18. Jahrhundert beinhaltet. Weitere thematische Schwerpunkte sind u.a. Künstlerselbstbildnisse, die Dokumentation verschiedener druckgraphischer Techniken sowie „Alte Kunst in Neuer Kunst“, also Blätter, die sich auf traditionelle Motive der Kunstgeschichte beziehen. Die Sammlung ist sehr vielfältig, wir haben zum Beispiel Holzschnitte aus der Zeit Dürers, Grafiken von Rembrandt oder Radierwerke und Zeichnungen des zeitgenössischen Künstlers Harald Naegeli, auch bekannt als der Sprayer von Zürich.

Gemäldesammlung

Bei der Gemäldesammlung handelt es sich vor allem um die Professoren- und Rektorenporträts sowie um die Sammlung Kölle, dem Vermächtnis des Diplomaten Christoph Friedrich Karl von Kölle (1781–1848), der in Rom und Paris Gemälde des 15.-19. Jahrhunderts zusammentrug und diese 1848 der Universität Tübingen vermachte.

Historisches Fotoarchiv

Das Fotoarchiv umfasst in erster Linie den Nachlass des Tübinger Kunsthistorikers Georg Weise (1888–1978), der auf seinen Reisen zahlreiche Architektur- und Skulpturaufnahmen gemacht hat. Auch Vorkriegsaufnahmen von Tübingen sind dort vorhanden, das ist sicherlich für viele Tübinger von besonderem Wert.

Silberschatz

Zum Silberschatz, der historisch vor allem der Repräsentation der Universität bei festlichen Anlässen diente, gehören neben Tafelaufsätzen und Prunkbechern vor allem die beiden spätmittelalterlichen Zepter der Gründungsfakultäten der Universität sowie der Rektoratsstab aus dem Jahr 1812.

Was hat Sie speziell an dieser Stelle gereizt? 

So viel Gestaltungsspielraum und Aufgabenvielfalt hat man bei einer Stelle nur selten. Zu meinen Tätigkeiten gehören neben der konservatorischen Betreuung des Bestandes auch Forschung und Lehre sowie die Konzeption von Ausstellungen, um die Sammlung in der breiten Öffentlichkeit noch bekannter zu machen.

Wo waren Sie vorher tätig?

Nach meinem Studium der Kunstgeschichte, Neueren Deutschen Literaturwissenschaft und Medienpädagogik in Augsburg, wo ich mit einer Arbeit zu niederländischen Welt- und Landkarten der Frühen Neuzeit promoviert wurde, habe ich die Bestände der graphischen Sammlung des Kölner Museums Ludwig digitalisiert. Danach war ich bis 2017 als wissenschaftliche Assistentin am Institut für Kunstgeschichte der Universität Bern tätig und habe mich dort mit der Erforschung der sogenannten Angewandten Künste beschäftigt – vor allem mit historischen Textilien, aber auch mit Goldschmiedearbeiten und Möbelkunst. Anschließend habe ich im Rahmen eines Forschungsprojekts der Universität Bern zum höfischen Trauerzeremoniell in der Frühen Neuzeit geforscht.

Welche Schwerpunkte möchten Sie in Ihrer Arbeit setzen? 

Meine Hauptaufgabe sehe ich zunächst in der umfassenden Digitalisierung und Aufnahme der Bestände in eine Datenbank. Bisher ist nur ein relativ kleiner Teil der Graphischen Sammlung digital erfasst, etwa die Porträtdarstellungen oder die Druckgraphiken von Peter Ackermann. In Zeiten von Corona wurde uns noch mehr als bisher vor Augen geführt, wie wichtig es ist, dass Bestände online verfügbar sind. Ein Drittmittelantrag für das Projekt wird deshalb gerade vorbereitet. Ich möchte die bereits vorhandene Infrastruktur der Universität nutzen und eng mit dem Digitalisierungszentrum der Universitätsbibliothek und dem Museum der Universität Tübingen (MUT) zusammenarbeiten. 

Mir ist es auch wichtig, diese ungewöhnliche Sammlung innerhalb der Stadtöffentlichkeit noch präsenter zu machen. Ich möchte daher die Öffentlichkeitsarbeit ausbauen und z.B. verstärkt Social Media nutzen.

Die Stelle ist außerdem mit einem erhöhten Lehrdeputat von 9 SWS verbunden, womit dem Ursprung der Sammlung als Lehrsammlung, also als Ort, an dem Studierende mit Originalen arbeiten und lernen können, Rechnung getragen wird. 

Wie kam die Universität in den Besitz der Graphischen Sammlung?

Den Grundstock bilden 7000 Dubletten, also doppelt vorhandene Drucke, aus dem ehemaligen Königlichen Kupferstichkabinett Stuttgart, die 1895 auf Initiative des ersten Tübinger Ordinarius für Kunstgeschichte, Konrad von Lange, erworben wurden. Nach der Gründung der Sammlung im Jahr 1897 kamen im Laufe der Zeit immer wieder Schenkungen und Stiftungen von privaten Sammlern hinzu, wie zum Beispiel das Vermächtnis des Freiherrn Otto von Breitschwert (1910) oder die Stiftung der Sammlung Max Kade (1965). Die Graphische Sammlung wird aber auch durch gezielte Ankäufe erweitert, meine Vorgängerin Dr. Anette Michels hat zum Beispiel verstärkt den Bereich der Moderne ausgebaut.

Wie erhalten Interessierte Zugang zu den Werken?

Solange die Bestände noch nicht digitalisiert sind, kann man sich in den Katalogen vergangener Ausstellungen oder vor Ort in einer Stecher- bzw. Inventorenkartei einen Überblick verschaffen. Vor Corona war die Sammlung immer mittwochs geöffnet und Besucherinnen und Besucher konnten sich einzelne Grafiken vorlegen lassen. Das ist leider aktuell nicht möglich. Bei Interesse vereinbare ich aber gerne per E-Mail individuelle Termine. 

Mareike Schlotterbeck