Was kann Kaiser Leopold tun? Das osmanische Heer ist schnell vorgerückt, Leopolds Armee hingegen zu schwach, um es vor Wien abzufangen. In der Folge befiehlt der osmanische Befehlshaber Kara Mustafa 1683 die Belagerung Wiens. Das Undenkbare ist geschehen. Die Lage scheint aussichtslos, doch dann unterbreitet Mustafa den Wienerinnen und Wienern ein Angebot: Sollten sie sich zur Kapitulation entschließen, garantiert er ihnen freies Geleit für jeden aus der Stadt. Gleichzeitig erklärt er sich zum Schutzherrn aller, die zurückbleiben wollen. Soll Leopold dieses Angebot annehmen?
Leopold konnte das osmanische Heer mit der Hilfe verbündeter Truppen letzten Endes abwehren. Doch der Blick auf diesen historischen Moment zeigt: Es hätte auch anders kommen können. Mit der neuen Lernplattform „Offene Geschichte“ wollen Forschende des Sonderforschungsbereichs (SFB) 923 „Bedrohte Ordnungen“ gemeinsam mit dem Institut für Geschichtsdidaktik und Public History Schülerinnen und Schülern diese Ängste und Unsicherheiten eines historischen Moments vermitteln, dessen Ausgang aus zeitgenössischer Sicht offen war. Mit der Plattform möchte der SFB einen Beitrag dazu leisten, Geschichte erlebbar und dadurch auch besser verständlich zu machen – gerade auch unter den schwierigen Rahmenbedingungen der Pandemie.
„Geschichtsunterricht soll spannender werden. Genau dafür bieten die dramatischen Krisen, die der Sonderforschungsbereich erforscht, den perfekten Ausgangspunkt. Die bewusst offen gehaltene Herangehensweise, mit der der SFB Krisen untersucht, kann Lernenden helfen, ihre Gegenwart besser einzuordnen und zeigen ihnen, dass die eigene Zukunft nicht von der historischen Entwicklung vorgezeichnet ist“, sagt Projektleiter Professor Bernd-Stefan Grewe. Anhand dieser offen gedachten und prozessual modellierten „Bedrohten Ordnungen“ lernen die Schülerinnen und Schüler, sich eigenständig aus Quellen und Darstellungen eine eigene historisch triftige Erzählung zu erarbeiten. Eine triftige Erzählung, weil sie quellenfundiert begründet ist, weil sie aufgrund gesellschaftlicher Werte und Normen für die Lernenden relevant ist, und, weil sie diese Tatsachen und ihre Relevanz sinnvoll zu einer einordnenden Erzählung verknüpft. In diesem Prozess immer auch in Alternativen zu denken, hilft ihnen dabei, neue Deutungshorizonte zu eröffnen, und gibt ihnen Orientierung in einer für sie unübersichtlichen Gegenwart.
Die Plattform startet zunächst mit fünf Modulen. Jedes Modul fokussiert eine historische Krisensituation, auf die die damaligen Gesellschaften reagieren mussten: die Ausrufung des ersten Kreuzzugs, die Geschichte der Pest, das Kriegsende in Deutschland 1945 oder die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. In den kommenden Jahren wird die Plattform von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern kontinuierlich und lernplangerecht erweitert. Sie konfrontiert jedoch nicht mit fertigen Interpretationen, sondern animiert durch spezielle Aufgaben zu eigenständigem Denken. „Im Unterricht trauen wir unseren Schülerinnen und Schülern zu wenig zu. Zum Großteil findet lediglich Faktenvermittlung statt“, meint Grewe weiter. Die Plattform soll deshalb Lernende in die Lage versetzen, eine eigensinnige, spannende Geschichte zu verfassen und – noch wichtiger – zu einem triftigen historischen Urteil zu kommen.
Thorsten Zachary
Thorsten Zachary
Universität Tübingen
SFB 923 "Bedrohte Ordnungen"
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