Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2023: Forschung

Neue Studien zu COVID-19 und Alzheimer

Nebenwirkungen von COVID-19-Impfungen – Erkennung von Emotionen und nonverbale Kommunikation mit Maske – Alzheimer-Therapie

Zwei neue Studien am Universitätsklinikum Tübingen untersuchen die Nebenwirkungen von COVID-19-Impfungen sowie die Erkennung von Emotionen und nonverbale Kommunikation beim Tragen von Masken. In einer weiteren Studie haben Forschende unter Federführung des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) einen neuen Ansatzpunkt für Alzheimer-Therapien gefunden.

Nebenwirkungen von COVID-19-Impfungen

Eine der wichtigsten Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus ist weiterhin eine Impfung. Wie bei anderen Impfstoffen auch können jedoch Nebenwirkungen auftreten. Im Rahmen einer neuen Studie „TüSeRe“ untersuchte daher ein Forschungsteam um Prof. Dr. Tamam Bakchoul vom Institut für Klinische und Experimentelle Transfusionsmedizin (IKET) am Universitätsklinikum Tübingen sowie um Prof. Dr. Katja Schenke-Layland und Dr. Nicole Schneiderhan-Marra vom Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut (NMI) in Reutlingen die möglichen Nebenwirkungen von Covid-19-Impfungen. 

Ziel der Studie war es, Nebenwirkungen sowie die Veränderungen des Antikörperspiegels nach der ersten, zweiten und dritten Impfung zu untersuchen. Dazu wurden 1.046 Mitarbeitende des Tübinger Uniklinikums, des Zentrums für Klinische Transfusionsmedizin und des NMI Reutlingen in die Analyse einbezogen. Mithilfe eines Online-Fragebogens konnten die Studienteilnehmenden über ihre lokalen (d.h. Schwellungen, Rötungen, Schmerzen an der Injektionsstelle, Hautempfindlichkeit) und systemischen Nebenwirkungen (d.h. Müdigkeit, Durchfall, Übelkeit, Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen, Schüttelfrost, Fieber) berichten. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass nach der ersten Impfung vor allem lokale Nebenwirkungen bei den mRNA-Impfstoffen BioNTech/Pfizer und Moderna auftraten, während systemische Nebenwirkungen bei dem Vektorimpfstoff von AstraZeneca häufiger und schwerer waren“, berichtet Alan Bareiß (IKET), einer der Erstautoren der Studie. Günalp Uzun (IKET), ebenso Erstautor, führt fort: „Nach der zweiten Dosis nahm jedoch die Häufigkeit systemischer Nebenwirkungen ab, wenn AstraZeneca verabreicht wurde. Nach der zweiten und dritten Impfung war die Häufigkeit der Nebenwirkungen höher bei der Impfung mit Moderna als mit BioNTech/Pfizer.“ 

Weitere Analysen zeigten eine Tendenz zu lokalen und systemischen Nebenwirkungen bei Studienteilnehmenden die jünger als 45 Jahre waren. Außerdem meldeten weibliche Teilnehmerinnen vermehrt Nebenwirkungen. Personen mit Hauterkrankungen wiesen eine höhere Wahrscheinlichkeit auf, eine lokale Nebenwirkung zu entwickeln. Ebenso wurde das Vorliegen einer kardiovaskulären Erkrankung mit einer höheren Frequenz an systemischen Nebenwirkungen in Verbindung gebracht. Diese Ergebnisse könnten für eine vollständige und tiefergehende Aufklärung vor Verabreichung der Impfung relevant sein. 

Originaltitel der Publikation in der Fachzeitschrift Viruses:

Alan Bareiß, Günalp Uzun, Marco Mikus, Matthias Becker, Karina Althaus, Nicole Schneiderhan-Marra, Axel Fürstberger, Julian D. Schwab, Hans A. Kestler, Martin Holderried, Peter Martus, Katja Schenke-Layland, Tamam Bakchoul: Vaccine Side Effects in Health Care Workers after Vaccination against SARS-CoV-2: Data from TüSeRe:exact Study Viruses 15, no. 1: 65. doi: https://doi.org/10.3390/v15010065  

Pressemitteilung des Universitätsklinikums


Herausforderungen nonverbaler Kommunikation beim Masketragen

Die Covid-19-Pandemie hat das Tragen von Gesichtsmasken alltäglich werden lassen. Das Verdecken von Mund und Nase trägt dabei zwar zu einem besseren Infektionsschutz bei, hemmt jedoch gleichzeitig die Wahrnehmung und Zuordnung von Gesichtern und Gesichtsausdrücken. Insbesondere für Menschen mit neurologischen und psychischen Störungen stellen die fehlenden Informationen eine große Herausforderung in der Kommunikation dar. Prof. Dr. Marina Pavlova, Forschungsgruppenleiterin an der Tübinger Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie und Expertin im Bereich der nonverbalen sozialen Kommunikation, hat im Rahmen einer Studie das Lesen verdeckter Gesichter untersucht. Die Ergebnisse sind in den Fachzeitschriften Cerebral Cortex und Neuroscience and Biobehavioral Reviews publiziert.

Die Ergebnisse im Überblick

Im Rahmen der Studie zeigte sich, dass Maskentragen das Erkennen von Emotionen beeinflusst, wenngleich zuverlässige Rückschlüsse auf grundlegende emotionale Ausdrücke möglich bleiben: „Gesichtsmasken erschweren die Erkennung von Emotionen und die soziale Interaktion. Jedoch können Menschen selbst mit Maske leicht zwischen echtem Lächeln und vorgetäuschtem, unehrlichem Lächeln unterscheiden“, erklärt Prof. Pavlova. Trotzdem führen Masken zu einer Verengung der Bandbreite wahrnehmbarer emotionaler Ausdrücke – und erschweren so die zutreffende Bewertung des Gegenübers. Wie schwer es ist, trotz Maske Emotionen zu lesen, hängt dabei vom Alter und Geschlecht des Lesenden ab: Für Männer, so die Studie, stellt es eine größere Herausforderung dar als für Frauen und variiert selbst bei gesunden älteren Menschen. 

Masken können Vorurteile verstärken und die wahrgenommene Attraktivität von Gesichtern beeinflussen. So zeigen die Ergebnisse, dass als gutaussehend wahrgenommene Gesichter an Attraktivität verlieren und weniger gutaussehende Gesichter an Attraktivität gewinnen – unabhängig von Geschlecht und möglicher symbolischer Funktion der Maskenfarbe.

Untersuchungen mithilfe funktionaler Magnetresonanztomographie (fMRT) verdeutlichen außerdem, dass für ein effizientes Lesen verdeckter Gesichter nicht nur das soziale Gehirn an sich erforderlich ist, sondern auch weitere, groß angelegte neuronale Schaltkreise (Neuronen, die über Synapsen miteinander verbunden sind). Insbesondere unterstützen diese im menschlichen Gehirn u.a. die Aufmerksamkeit, die Entscheidungsfindung und das soziale Verhalten.  

Titel der Originalpublikationen

Pavlova MA, Sokolov AA. (2022a). Reading covered faces. Cereb Cortex. 32(2): 249-265. doi: 10.1093/cercor/bhab311 
Pavlova MA, Sokolov AA. (2022b). Reading language of the eyes. Neurosci. Biobehav. Rev. 140: 104755. doi: 10.1016/j.neubiorev.2022.104755 

Pressemitteilung des Universitätsklinikums


Neuer Ansatzpunkt für Alzheimer-Therapien 

In den Blutgefäßen des Gehirns von Alzheimer-Patienten lagert sich zusammen mit dem Protein Amyloid-β auch das Protein Medin ab. Diese sogenannte Co-Aggregation haben Forschende am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) entdeckt. Ihre Beobachtung veröffentlichen sie jetzt im renommierten Fachmagazin Nature. „Medin ist zwar schon seit rund 20 Jahren bekannt, wurde aber in seinem Einfluss auf Krankheiten bisher unterschätzt. Wir konnten zeigen, dass krankhafte Veränderungen der Blutgefäße von Alzheimer-Patienten durch Medin deutlich verstärkt werden“, sagt Studienleiter Dr. Jonas Neher vom Tübinger Standort des DZNE. An der langjährigen Studie waren außerdem das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung in Tübingen, die Universität Tübingen und mehrere internationale Institutionen und Kooperationspartner beteiligt.

Medin gehört zur Gruppe der Amyloide. Von diesen Proteinen ist Amyloid-β am besten bekannt, da es im Gehirn von Alzheimer-Patienten verklumpt. Diese Aggregate lagern sich dann sowohl als sogenannte Plaques direkt im Gehirngewebe, aber auch in dessen Blutgefäßen ab und schaden dadurch den Nervenzellen bzw. den Blutgefäßen. Während sich daher viele Studien mit Amyloid-β beschäftigten, stand Medin bisher nicht im Mittelpunkt des Interesses. „Es gab wenig Hinweise auf eine Pathologie, also auf einen klinisch auffälligen Befund in Zusammenhang mit Medin – und das ist oft die Voraussetzung für eine eingehendere Beschäftigung mit einem Amyloid“, erklärt Jonas Neher. 

In ihren jüngsten Studien färbten die Forschenden Gewebeschnitte sowohl von Mäusen als auch von Alzheimer-Patienten so, dass konkrete Proteine sichtbar werden. Dadurch konnten sie zeigen, dass sich Medin und Amyloid-β gemeinsam in Blutgefäßen des Gehirns ablagern – Co-Lokalisation ist dafür der Fachbegriff. Mit weiteren Versuchen konnten sie in einem nächsten Schritt beweisen, dass diese beiden Amyloide auch co-aggregieren – also gemischte Anhäufungen bilden. „Erstaunlicherweise interagiert Medin direkt mit Amyloid-β und fördert dessen Aggregation – das war noch vollkommen unbekannt“, fasst Jonas Neher die Ergebnisse zusammen. 

Genau daraus schöpfen die Forschenden Hoffnung für die Entwicklung einer möglichen Behandlung. „Medin könnte ein therapeutisches Ziel sein, um vaskuläre Schäden und kognitive Verschlechterungen zu verhindern, die aus Amyloid-Ansammlungen in den Blutgefäßen des Gehirns resultieren“, lautet ihre Schlussfolgerung. In Fachkreisen ist es unumstritten, dass Ursachen für die Alzheimer Erkrankung nicht nur die Aggregate von Amyloid-β im Hirngewebe, sondern auch vaskuläre Veränderungen sind – also die verringerte Funktion oder die Beschädigung von Blutgefäßen. Nimmt man bei einer Behandlung also nicht nur die Plaques als Angriffspunkt, sondern auch die betroffenen Blutgefäße, könnte das den Patientinnen und Patienten helfen.

In einem nächsten Schritt muss jetzt geklärt werden, ob sich bereits gebildete Medin-Aggregate therapeutisch entfernen lassen und ob dieser Eingriff tatsächlich einen Einfluss auf die Gedächtnisleistung hat. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen das zunächst an Mausmodellen erproben, weil diese die krankhaften Veränderungen in Alzheimer-Patienten sehr gut widerspiegeln.

Originalpublikation:

Medin co-aggregates with vascular Ab in mouse models and Alzheimer patients
Jessica Wagner, Karoline Degenhardt, Marleen Veit, Nikolaos Louros, Katerina Konstantoulea, Angelos Skodras, Katleen Wild, Ping Liu, Ulrike Obermüller, Vikas Bansal, Anupriya Dalmia, Lisa M. Häsler, Marius Lambert, Matthias De Vleeschouwer, Hannah A.Davies, Jillian Madine, Deborah Kronenberg-Versteeg, Regina Feederle, Domenico Del Turco, K. Peter R. Nilsson, Tammaryn Lashley, Thomas Deller, Marla Gearing, Lary C. Walker, Peter Heutink, Frederic Rousseau, Joost Schymkowitz, Mathias Jucker, Jonas J. Neher

https://www.nature.com/articles/s41586-022-05440-3 

Pressemitteilung der Universität Tübingen vom 17.11.2022