Uni-Tübingen

Die Verteidigung der Literatur in Zeiten dauernden Exils

Eine Lesereihe in drei Gesprächen

Das Slavische Seminar, das Institut für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde sowie das Studio Literatur und Theater haben drei Autor:innen aus Russland, Belarus und der Ukraine eingeladen. Mit den Autor:innen haben wir Gespräche geführt über die Verantwortung der Intellektuellen im Exil, über Schreiben in der Fremde, über die Schnittstellen zwischen Kunst und Politik und über ihre neusten Bücher – die gerade auf Deutsch erschienen sind.

Der russische Star-Autor Vladimir Sorokin, die junge belarusische Lyrikerin und Prosaautorin Volha Hapeyeva und die ukrainische Fotokünstlerin und Autorin Yevgenia Belorusets leben spätestens seit Frühjahr 2022 mehr oder weniger in Deutschland, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen: wegen politischer Repressionen (Russland und Belarus), bzw. wegen der Kriegsaggressionen (Ukraine). Angesichts der gegenwärtig katastrophalen Situation zwischen den Ländern ist es nicht zu unterschätzen, dass es uns gelang, Autor:innen aus diesen drei Ländern, von denen zwei Kriegsparteien und das dritte ein oppressiver, von Russland gelenkter Staat ist, für die Lesereihe zu gewinnen.

Vladimir Sorokins Übersetzerin Dorothea Trottenberg und Yevgenia Belorusets’s Übersetzerin Claudia Dathe waren ebenfalls dabei, so dass auch das Übersetzen in Kriegszeiten ein Thema war.

Die drei Lesungen fanden jeweils mittwochs von 18.00 Uhr - 19.30 Uhr in der Shedhalle statt.

Dies war eine gemeinsame Veranstaltung vom Slavischen Seminar, dem Institut für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde sowie dem Studio Literatur und Theater der Universität Tübingen in Kooperation mit der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg, dem Universitätsbund e.V., mit der Stadt Tübingen, der Shedhalle Tübingen e.V. und der Buchhandlung Quichotte.

Der Eintritt zu allen Veranstaltungen war kostenfrei.

Zu den Autor*innen:

Yevgenia Belarusets, geboren 1980 in Kyjiv, ist (Foto-)Künstlerin und Schriftstellerin; sie lebt in Berlin. Ihre Kunst befindet sich an der Grenze zum politischen Aktivismus; ihr fotografisches Werk, das sich mit den vulnerablen Teilen der ukrainischen Gesellschaft befasst (queere Familien, Roma, Menschen, die im Kriegsgebiet leben), wurde zweimal im ukrainischen Pavillon auf der Biennale in Venedig ausgestellt.

In der Veranstaltung ging es um die Wahrnehmung des Krieges von außen und von innen, um die Verknüpfung von Aktivismus und Kunst sowie um ihre neuesten Bücher: In „Anfang des Krieges. Tagebücher aus Kyjiw“ sind die Tagebucheinträge gesammelt, die sie seit Kriegsausbruch im „Spiegel“ publiziert hat; in „Über das moderne Leben der Tiere“ (erschienen Februar 2024) werden wahrscheinliche und unwahrscheinliche tierliche Begebenheiten geschildert. „In ihrer ethnografisch präzisen und nüchtern-poetischen Sprache entsteht in dieser fiktiven Vorlesungsreihe ein Raum für marginalisierte Erfahrungen in der heutigen Ukraine, die mindestens seit 2014 auch von Gewalt geprägt sind.“ (https://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/ueber-das-moderne-leben-der-tiere.html?lid=3)

Volha Hapeyeva, geb. 1982 in Minsk, ist eine belarusische Lyrikerin und Prosaautorin, die seit 2020 im Exil lebt (zunächst in der Schweiz, inzwischen in Deutschland). Zur Zeit ist sie Stadtschreiberin in Jena. 2022 wurde sie mit dem Wortmeldungen-Preis ausgezeichnet, da heißt es in der Begründung der Jury: „Hapeyevas kunstvoll arrangiertes Plädoyer für eine widerständige Poesie gewinnt vor dem Hintergrund des Krieges gegen die Ukraine an bedrückender Aktualität. Hapeyeva tut, was eine Autorin im Angesicht von Gewalt und Unterdrückung zum Besten tun kann: mit starken Worten wirken“ (https://www.droschl.com/autor/volha-hapeyeva/).

In dem Gespräch mit Volha Hapeyeva ging es um die Situation in Belarus, um die Rolle des belarusischen Exils sowie um ihre Lyrik und ihre Prosa, auch um ihre neuesten Bücher, über den Lyrikband „Trapezherz“ (2023) und über den Roman „Samota“ (2024).

Vladimir Sorokin, geb. 1955 in Moskau, lebt seit Februar 2022 in Berlin; sein Roman "Der Tag des Opritschniks" (2006) wird als geradezu visionäre Voraussage des heutigen Russlands angesehen; "Doktor Garin" schreibt diese Dystopie fort. Seit Anfang der 2000er Jahre werden Sorokins Bücher in Russland immer wieder attackiert; sie wurden öffentlich zerrissen, konfisziert und sein Verlag wurde durchsucht.

In dem Gespräch ging es um die aktuelle politische Lage in Russland, um das Schreiben und Veröffentlichen im Exil.

"Der originellste aller zeitgenössischen russischen Schriftsteller heißt seit über 30 Jahren Vladimir Sorokin", schreibt Uli Hufen in seiner Besprechung von Sorokins neuestem Roman "Doktor Garin" (https://www.ndr.de/kultur/buch/tipps/Vladimir-Sorokins-Doktor-Garin-Atemloses-Lesevergnuegen,sorokin104.html).