Liebe Sophie Rücker, liebe Gina Feis, in Ihrer Arbeit beschäftigen Sie sich mit dem Thema „Kinderverschickung“. Was waren Kinderverschickungen und wann fanden sie statt?
Zwischen 1950 und 1990 wurden ca. acht bis zwölf Millionen Kinder in Deutschland auf Empfehlung von ärztlichem Personal, Gesundheits- und Jugendämtern in sogenannte Verschickungsheime gebracht, wo sie eine vier- bis zwölfwöchigen Kinderkur durchliefen. Das angebliche Ziel: Kranke Kinder sollten gesund werden, gesunde Kinder sollten Urlaub machen. Doch die Realität sah vollkommen anders aus – statt sich zu erholen, wurden die Kinder teils physisch und psychisch gequält. Eine erschütternde Studie von Report Mainz (ARD) aus dem Jahr 2019 zeigt, dass insgesamt 94 Prozent der ehemaligen Kurkinder ihr Kurerlebnis als von Demütigung und Gewalt geprägt bewerten.
Was genau erlebten die Kinder in Verschickungsheimen?
In den Heimen herrschte eine strenge Pädagogik. Ein Beispiel aus dem Speisesaal: Eines der Kurziele war die Gewichtszunahme, und so mussten die Kinder in der Regel ihre Teller vollständig aufessen. Konnten sie das nicht, wurden oft Strafen eingesetzt, um das Kind zum Weiteressen anzutreiben.
Viele ehemalige Verschickungskinder litten in den Wochen in Kur unter starkem Heimweh und Verlustängsten. Betroffene berichten von Erfahrungen, die von demütigenden Strafen, körperlicher Gewalt bis hin zu sexuellen Übergriffen, Sedierungen und der Teilnahme an illegalen Medikamententests reichen.
Inwiefern prägt das Erlebte die ehemaligen Verschickungskinder noch heute?
Im Rahmen unserer Masterarbeit haben wir mit zahlreichen Verschickungskindern gesprochen. Die Mehrzahl gab an, dass der Kuraufenthalt sie sehr prägte, viele wurden durch die Aufenthalte in den Heimen stark traumatisiert. Das zeigte sich auch später, beispielsweise in Form von Bindungs- und Verlustängsten oder auch in Zwangsstörungen. Auch auf die körperliche Gesundheit haben die negativen Erlebnisse nachweislich Einfluss: Viele Verschickungskinder geben an, heute unter chronischen Erkrankungen und Stress zu leiden.
Es wurden zwischen acht und zwölf Millionen Kinder verschickt. Das bedeutet, dass viele aus der heutigen Generation ehemalige Verschickungskinder kennen könnten. Inwiefern sollten wir als Gesellschaft mehr über die Geschichte der Kinderverschickung wissen?
Auch wir haben während unserer Recherche festgestellt, dass es in unseren Familien Betroffene gibt – die jedoch bis zu diesem Zeitpunkt nie über ihre Erlebnisse gesprochen hatten. Von anderen Betroffenen hörten wir, dass sie sich erst nach der ersten öffentlichen Reportage von Report Mainz im Jahr 2019 ihrer Erlebnisse bewusstwurden und dabei feststellten: „Ich bin nicht allein.“ Die Kinderverschickung als zentrales und prägendes Thema der Nachkriegsgeschichte ist lange Zeit von der Gesellschaft vernachlässigt worden. Sie sollte zeitnah erforscht werden, um die langfristigen sozialen Folgen zu verstehen.
Sie haben eine Scrollytelling*-Seite erstellt, um die komplexen und emotionalen Geschichten der ehemaligen Verschickungskinder aufzuarbeiten. Was war Ihnen bei der Erstellung der Seite wichtig?
Uns war wichtig, die Thematik umfassend darzustellen und aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Eine Besonderheit unserer Webseite ist ihre Multimedialität, sie vereint Text- und Bildmaterial mit Video- und Audiosequenzen. Es kommen sowohl Betroffene von Kinderverschickung zu Wort als auch Expertinnen und Experten aus verschiedenen Fachbereichen. So war es uns möglich, Information mit Emotion zu verknüpfen und das Erlebte für die Lesenden spürbar zu machen. Die Webseite soll für Menschen interessant sein, die noch nie von der Thematik gehört haben, aber auch Betroffene auf ihrem Weg der Aufarbeitung unterstützen.
Inwiefern hat Ihr Studium Sie auf Ihre Masterabschlussarbeit vorbereitet?
Wir haben beide unseren Bachelor in Medienwissenschaft hier in Tübingen abgeschlossen, danach folgte dann der Master. In beiden Studiengängen sammelten wir vielfältige praktische Erfahrungen: In den Lehrredaktionen etwa konnten wir immer wieder unterschiedliche redaktionelle Aufgaben übernehmen und unsere Fähigkeiten zum Beispiel im Bereich Webseitenerstellung, Audioproduktion oder Videoschnitt erweitern. Auch das Team vom Zentrum für Medienkompetenz hat uns immer gut beraten und mit technischer Ausrüstung unterstützt. Während des Masterstudiums orientierten wir uns dann zunehmend praktisch und legten unseren Fokus auf die Medienproduktion und -analyse.
Haben Sie schon Ideen für weitere gemeinsame Projekte?
Da wir beide nach unserem Masterabschluss jetzt erst einmal ins Berufsleben starten, gibt es aktuell (noch) keine Pläne für ein Folgeprojekt. Uns liegt aber weiterhin sehr viel an der Aufarbeitung von Kinderverschickungen, weshalb wir uns gut vorstellen können, aus dem von uns produzierten Material eine Radiosendung zu machen.
Das Interview führte Rebecca Hahn
Scrollytelling ist ein journalistisches Format, das sich durch seine Multimedialität und interaktive Erzählweise auszeichnet. Geschichten bauen sich hier von oben nach unten auf, es gibt keine Unterseiten oder Querverbindungen. Der Begriff setzt sich aus den Begriffen „Scrollen“ (dt. den Bildausschnitt auf dem Bildschirm verschieben) und „Storytelling“ (dt. Geschichtenerzählen) zusammen.
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