Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 3/2024: Forschung

Kritisches Wissen soll nicht in falsche Hände geraten

Exportkontrolle der Universität prüft Ausfuhr von Know-how und Technologien

Das Stichwort „Exportkontrolle“ lässt an den Zoll beim Grenzübertritt denken, der prüft, ob zu viel Schnaps oder Zigaretten im Gepäck sind. An der Universität umfasst die Exportkontrolle hingegen vor allem Technologien und Know-how aus der Forschung. Ob in Software, Publikationen oder Geräten, bei Weitergabe an Personen aus Drittstaaten, sei es in Beschäftigungsverhältnissen, bei Dienstreisen oder in Kooperationen – kritisches Wissen soll nicht in die falschen Hände geraten. Seit Anfang des Jahres befasst sich die Exportkontrollstelle der Abteilung „Universitätsentwicklung und Compliance“ im Dezernat I mit diesem Thema. Die Exportkontrolle betrifft Dual-Use-Güter, die sowohl für zivile Zwecke als auch militärisch genutzt werden könnten, zum Beispiel Expertise aus den Naturwissenschaften, die für ABC-Waffen relevant sein könnte. Hinzu kommen Technologien, die für Überwachung und Menschenrechtsverletzungen in autoritären Regimes eingesetzt werden könnten, etwa KI-Anwendungen. Die Exportkontrolle ist auch relevant bei der Beschäftigung von Personen, die ein entsprechendes Know-how missbrauchen könnten.

Die Exportkontrollstelle an der Universität Tübingen sei unter anderem aufgrund der geopolitischen Entwicklungen eingerichtet worden, erklärt Abteilungsleiterin Nadja Zoller. Seit den Anschlägen des 11. September 2001 hat die EU zunehmend Sanktionen verhängt, um die Ausfuhr bestimmter Güter an einzelne Länder und Personen zu kontrollieren. Verstöße gegen diese und weitere Bestimmungen zum Außenwirtschaftsverkehr seien strafbar, so Zoller. Vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) sind die Universitäten aufgefordert, Kontrollprozesse zu schaffen, um die geltenden Vorgaben einzuhalten.

Prüfung als Teil des Einstellungsverfahrens

Eine Prüfung im Hinblick auf Exportkontrolle umfasst Personen, länderbezogene Embargos und Güterlisten. Für Embargos und kritische Güter gibt der Gesetzgeber mit detaillierten Listen vor, was erlaubt ist und was nicht. Seit Juli ist die Prüfung notwendiger Bestandteil in Einstellungsverfahren: Steht die Person auf einer Finanz-Sanktionsliste der EU? Kommt sie aus einem Embargoland wie Russland, für das Einschränkungen gelten?

Der Informatiker Professor Dr. Hendrik Lensch leitet eine Arbeitsgruppe zur Computergrafik, sein Schwerpunkt umfasst auch Kamera- und Aufnahmetechnologie zur Erstellung von 3D-Modellen. Auch wenn seine Forschung weit von der Anwendungsreife entfernt sei, so Lensch, könnte die Technologie nach weiterer Entwicklungs- und Forschungsarbeit zukünftig womöglich für eine Überwachung oder Zielerfassung genutzt werden. Lensch sieht die Notwendigkeit der Exportkontrolle, schließlich gebe es Fälle, in denen Wissen missbraucht wurde oder Daten illegal abgeflossen seien. Manchen Aspekten steht er jedoch kritisch gegenüber. „Wenn ich jemanden einstellen möchte und zuerst fragen muss, ob die Person eine potenzielle Gefahr ist, finde ich das merkwürdig“, sagt Lensch. Die Prüfung stelle künftige Mitarbeiter unter Generalverdacht. Juristin Zoller weist diesen Vorwurf zurück: Gerade dadurch, dass die Prüfung für alle gilt, ob „Lieschen Müller aus Esslingen“ oder Forschende aus dem Ausland, sei sie eine notwendige Maßnahme, bei der sich in aller Regel aber keine Auffälligkeiten ergäben. Für Hendrik Lensch bleibt dennoch ein Unsicherheitsfaktor: Man müsse sich gut überlegen, Kandidaten aus kritischen Ländern ein Angebot zu machen, weil unklar sei, ob sie einreisen dürfen, sagt er. Dies könne zu einer impliziten Diskriminierung führen, die der Wissenschaftler eigentlich vermeiden will.

Verbesserung durch Austausch – auch auf Fachebene

Nadja Zoller ist es wichtig zu betonen, dass die Exportkontrolle Forschung und Forschende nicht durch Verbote einschränken soll: „Es geht darum, wie man die Dinge gestalten kann, um etwas möglich zu machen. Wir wollen es einfach so aufsetzen, dass alles rechtlich sicher ist.“ Andererseits: Wer Vorgaben umgehen wolle, finde auch einen Weg, erklärt Zoller. „Wir werden nie einen Prozess haben, der so wasserdicht ist, dass man gegen vorsätzliches Handeln gewappnet ist.“ Man könne nur Abläufe entwickeln und verfeinern, auch in Zusammenarbeit mit anderen Verwaltungseinheiten. So gebe es etwa einen Austausch mit dem Forschungsdezernat und dem International Office zu Kooperationen in schwierigen Kontexten. Noch werde die Exportkontrolle nicht überall mitgedacht, und in den Details sei das Thema knifflig, so Zoller. Schon die Tatsache, dass ein Forschender auf der Reise in bestimmte Länder Zugang zu kritischen Daten auf Tübinger Servern hat, könnte ein Prüffall sein. Oder die weltweite Abrufbarkeit mancher Publikation. Hier seien Kontrollmöglichkeiten noch völlig unklar.

Mehr Austausch und mehr Fachwissen bei der Prüfung sind auch ein Wunsch von Hendrik Lensch. Er begrüßt die administrative Unterstützung, vermisst aber thematische Expertise. Oft sei es schwer einzuschätzen, wann eine Technologie zu einer problematischen Anwendung beitragen könnte. Lensch fände es nützlich, Forschungsvorhaben unter diesem Aspekt bis ins Detail fachlich diskutieren zu können oder konkrete Fallbeispiele zum Vergleich zu erhalten. Hier könnten auch Wissenschaftsorganisation oder Fachgesellschaften ihre Expertise beitragen. Nadja Zoller weist darauf hin, dass die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät eine Kommission für Ethik sicherheitsrelevanter Forschung eingerichtet habe, die auf Antrag von Forschenden ein Votum zu den Dual-Use-Aspekten einzelner Projekte abgeben kann. „Das ersetzt jedoch keine rechtliche Prüfung“, sagt sie. So bleibt die weitere Professionalisierung der Exportkontrolle ein Thema – in der Universität und darüber hinaus.

Tina Schäfer

Informationen zur Exportkontrolle

  • Die Abteilung bietet viermal jährlich Sensibilisierungsschulungen zur Exportkontrolle an, darunter auch mindestens eine Veranstaltung auf Englisch. Die Schulungen richten sich vorrangig an Forschende.