Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 4/2024: Uni intern

Ein Jahr Doppelspitze an der Philosophischen Fakultät

Interview mit Dekanin Angelika Zirker und Professor Dietmar Till

Vor gut einem Jahr wurden Professorin Dr. Angelika Zirker und Professor Dr. Dietmar Till zu Dekanen der Philosophischen Fakultät gewählt. Für die Einrichtung einer Doppelspitze bedurfte es im Vorfeld der Zustimmung des Unirats und des Senats der Universität Tübingen und des Wissenschaftsministeriums Baden-Württemberg, da es diese Struktur zuvor landesweit nirgends gab und sie daher erst formal ermöglicht werden musste. Die Amtszeit von Zirker und Till beträgt fünf Jahre. Maximilian von Platen hat die beiden interviewt.

Sie sind jetzt ein Jahr als Dekanin bzw. Dekan im Amt. Wie kam es zu der Doppelspitze? 

Till: Als die Amtszeit von Jürgen Leonhardt ausgelaufen ist, war eigentlich klar, dass die Fakultät erst mal beim hauptamtlichen Modell bleibt: Es hat sich letztlich bewährt für die Großfakultät, auch weil es einen Schub an Professionalisierung mit sich gebracht hat. Zugleich war klar: Es sollte jetzt mal eine Frau werden. 

Zirker: … und das war auch das Feedback aus der Exzellenzstrategie. 

Till: Letztendlich gab es – wie in den anderen Großfakultäten – auch in der Philosophischen Fakultät keine weibliche Kandidatin. Dann war die offizielle Amtszeit von Jürgen Leonhardt schon abgelaufen, die Zeit drängte, weil sein Ruhestand bevorstand. Denn ein Dekan bleibt so lange im Amt, bis ein Nachfolger bzw. eine Nachfolgerin gewählt ist… Aus dieser Zwangslage ergab sich dann ein innovatives Modell.

Letztendlich kam die Idee der Doppelspitze aus dem akademischen Mittelbau, von Dr. Sebastian König aus der Allgemeinen Rhetorik. Sie kam nicht aus der Professorenschaft, in der das Modell der Doppelspitze anfangs eher kritisch gesehen wurde.

Sie sind beide nebenamtliche Dekane…

Till: Ich bin jetzt einen Tag in der Woche – immer dienstags – am Institut, mache meine Vorlesung, in diesem Wintersemester die Einführungsvorlesung. Ich habe meine Studierenden, die ich weiterhin betreue, alles auf einem reduzierten Niveau, und darauf will ich auch nicht ganz verzichten. 

Zirker: Ich bin auch dienstags noch im Englischen Seminar und in der Lehre aktiv. Im ersten Wintersemester haben wir das mit unterschiedlichen Lehrtagen probiert, aber das hat sich als nicht so günstig erwiesen. Mit dem Dienstag als gemeinsamem Lehrtag klappt das von den internen Arbeitsabläufen her viel besser.

Was hat Sie in Ihrem ersten Amtsjahr am meisten überrascht? Wie sieht der Arbeitsalltag in der Doppelspitze aus?

Zirker: Am meisten hat uns beide überrascht, wie gut es funktioniert. Wir sind uns in ganz vielen Dingen intuitiv einig, auch in grundsätzlichen Fragen. Es gab bisher keinen Streit; da sind wir beide aber auch nicht die Typen dafür.

Durch das Amt habe ich die Universität noch einmal komplett neu kennengelernt. Ich habe viel gelernt über Abläufe, habe Menschen persönlich getroffen, denen ich bisher nie begegnet war. Ich musste und muss mir als Dekanin Vieles neu erarbeiten, und ich habe den Eindruck, das gelingt mir gut. Mir hat auch Verwaltungsarbeit immer schon Spaß gemacht. Ich komme hier abends oft raus mit dem Gefühl, heute habe ich wirklich was erledigt und vorangebracht. Dadurch bin ich viel zufriedener. 

Till: Die größte Veränderung ist für mich im Dekanat, dass es mehr Büroarbeit ist: Klassische Verwaltungsarbeit mit E-Mails, telefonieren, Briefe schreiben, viele Besprechungen und Sitzungen, ganz viel Kommunikation – viel mehr noch als bei mir am Seminar. Die Arbeitswoche ist generell viel mehr durchgetaktet mit Terminen.

Zirker: Einer der größten Vorteile der Doppelspitze ist aus meiner Sicht, dass man einen Ansprechpartner auf Augenhöhe hat, der die gleichen Dinge wissen darf und muss, und mit dem man Dinge durchdiskutieren, sich austauschen oder auch fragen kann: Wie fandst Du diesen Termin gerade? Das macht für mich die Attraktivität dieses Modells aus. 

Till: Ich glaube, dass wir dieses kooperative Modell künftig öfter an der Universität sehen werden – nicht eine Person, die einsam und top down Entscheidungen trifft. Die Zukunft sind Modelle, die stärker kommunikativ und teamorientiert sind. So versuchen wir auch, das Dekanat intern zu führen.

Sie haben bei Amtsantritt gesagt, dass Ihnen der Aspekt Digitalisierung und die Digital Humanities besonders wichtig sind…

Zirker: Wir haben mit Stefan Morent aus der Musikwissenschaft jetzt einen Prodekan für Studium und Lehre sowie für Digitales; er hat auch die einzige Professur an der Fakultät mit einer Digital-Humanities-Denomination. 

Stefan Morent hat als eine seiner ersten Amtshandlungen die bereits an der Fakultät vorhandenen Projekte im Bereich Digital Humanities und Künstliche Intelligenz (KI) und die Expertise der Kolleginnen und Kollegen, die in diesem Bereich unterwegs sind, auf einer eigenen Homepage zusammengefasst. Neben der besseren Sichtbarkeit ist dabei auch das Ziel, die Vernetzungsmöglichkeiten und Synergien zu fördern.

Mit derselben Zielrichtung habe ich im Sommersemester 2024 eine Ringvorlesung veranstaltet, in deren Rahmen verschiedene Projekte aus dem Bereich die Digital Humanities vorgestellt wurden, und zwar gemeinsam mit Fabian Schwabe, einem von zwei für diesen Bereich an der Fakultät zuständigen Mitarbeitern.

Till: Das Thema Digital Humanities, neue Methoden, digitale Methoden, hat man bei uns tatsächlich ein bisschen verschlafen. Hinzu kommt noch, dass Baden-Württemberg im Vergleich zu Bayern etwa weniger in die Digitalisierung an Universitäten investiert. Man muss nur mal sehen, wie sich Universitäten etwa in Würzburg oder Erlangen auf diesem Feld entwickeln.

Zirker: Die Tübinger Geisteswissenschaften sind grundsätzlich sehr stark: Wir belegen im DFG-Förderatlas Platz drei deutschlandweit in diesem Bereich. Nur die deutlich größere LMU München und die Universitäten in Berlin sind da noch besser aufgestellt. Deswegen ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt zu sagen: Wir packen den Bereich Digital Humanities an und bringen bei uns die digitalen Methoden – die eigentlich bereits state of the art sind, bei denen wir aber noch Nachholbedarf haben – weiter nach vorne. Denn wir wollen natürlich auch zukünftig ganz vorne mitspielen können.  

Till: Das ist auch Teil der Strategie gegen die „Krise der Geisteswissenschaften“, die vielerorts ausgerufen wird: Es geht darum, zu zeigen, dass die Geisteswissenschaften in der Lage sind, sich noch mal neu zu erfinden und neu auch zu positionieren in einem technologieoffenen Feld. 

Wie sieht es denn aus mit Online-Lehrformaten an der Fakultät, gab es da einen Push durch die Corona-Pandemie?

Zirker: Mein Eindruck ist, dass die Pandemie keinen großen, nachhaltigen Effekt auf digitale Lehrformen gehabt hat. Ich persönlich bin beteiligt – gemeinsam mit einem Lehrbeauftragten aus der Medienwissenschaft und einem Kollegen aus der Informatik – an bwGPT, einer Initiative des Landes Baden-Württemberg. Sie wird vom KIT in Karlsruhe geleitet und es geht darum, Lehrkonzepte im Hinblick auf KI zu entwickeln und diese dann auch in die Breite zu streuen. 

Till: Was tatsächlich online in der Praxis passiert: dass man jemanden in eine Veranstaltung zuschaltet, hybride Formate, oder mündliche Prüfungen, wenn Leute im Ausland sind. Zoom-Sprechstunden für Studierende, wenn es um Kleinigkeiten geht. Oder externe Mitglieder von Berufungskommission, die nicht für kürzere Termine extra nach Tübingen anreisen können.

Bei den Vorlesungen gibt es Bestrebungen beim ZDV, die Hörsaal-Ausstattung zu verbessern, so dass man besser hybride Lehre machen oder auch aufzeichnen kann, um diese Lehrformate niedrigschwelliger zu machen. Zu Beginn dieses Wintersemesters gibt es Einführungen in die neue Aufzeichnungstechnik in den Hörsälen. Das betrifft aktuell einen Hörsaal im Kupferbau sowie zwei auf der Morgenstelle, soll aber künftig auch in weiteren Hörsälen installiert werden. Das ist eine prinzipiell gute Entwicklung, denn sie schafft neue Möglichkeiten.

Im Bericht des Landesrechnungshofes wurden kleine Fächer insbesondere in den Geisteswissenschaften ins Visier genommen, darunter Judaistik und die Ägyptologie. Was sagen Sie zu diesem Bericht?

Till: Es ist natürlich ein Aufregerthema, weil der aktuelle Lehrstuhlinhaber in der Ägyptologie in absehbarer Zeit in Ruhestand gehen wird. Christian Leitz gräbt viel in Ägypten und ist dabei sehr erfolgreich bei der Einwerbung der Finanzierung von Projekten. Für uns ist ganz klar: Wir wollen diese Professur nicht abschaffen, sondern neu besetzen und die Erfolgsgeschichte fortschreiben. 

Wir sind eine Fakultät, zu der auch viele kleine Fächer gehören. Nehmen Sie das Institut für die Kulturen des Alten Orients (IANES) mit der Ägyptologie, der Vorderasiatischen Archäologie und der Altorientalischen Philologie. Es spielt eine zentrale Rolle im Verbund der verschiedenen Archäologien. Und in diesem Bereich sind wir in den weltweiten Rankings unter den Top Ten, was wiederum auch ausstrahlt auf die Theologien mit dem Lehrstuhl für Biblische Archäologie. Wenn man hier einen Teil wegen niedriger Studierendenzahlen streicht, bricht man aus diesem Mosaik etwas ganz Wichtiges heraus, das für die Synergieeffekte in der Forschung unverzichtbar ist. Denn gerade die großen Verbundprojekte leben sehr stark aus den kleinen Fächern. Anglistik und Germanistik für sich hat man überall. Aber das, was Tübingen ausmacht, ist das Zusammenwirken der kleinen und großen Fächer. 

Zirker: Man sollte diese Fächer nicht isoliert betrachten. Nehmen Sie die Slawistik: hier haben Schamma Schahadat und Tilman Berger das Seminar in der Folge des Ukrainekriegs neu aufgestellt, haben andere Schwerpunkte gesetzt – und die Studierendenzahlen steigen wieder, mit fast 50 Prozent Zuwachs in der jüngsten Statistik. Hier sind erste Erfolge bereits deutlich sichtbar.

Till: Das Slawische Seminar macht auch die fremdsprachliche Ausbildung. Das sind letztendlich Leute, die wir jetzt und zukünftig dringend brauchen. Klaus Gestwa hat mir erst jüngst erklärt, dass es wahnsinnig viele Osteuropaexperten gibt, die weder Russisch noch andere osteuropäische Sprachen können und die deshalb gar nicht in der Lage sind, Quellen aus erster Hand – etwa russische Militärblogger – im Original zu lesen. Es geht um kulturelle Expertise im weitesten Sinne, und die brauchen wir. Ohne Slawistik gibt es im Grunde auch keine osteuropäische Geschichte mehr. Da bricht dann halb Europa weg.

Diese Vernetzung, die gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnisse der Fächer voneinander, die Lehrexporte und dieses Kleinteilige, das alles hat der Rechnungshof bei seiner Analyse gar nicht in den Blick genommen hat.

Es wird immer wieder behauptet, von der Exzellenzstrategie profitierten vor allem die Natur- und Lebenswissenschaften…

Zirker: Wir haben in der aktuellen Runde mit Critical Proximities eine Clusterinitiative im Rennen, sind aber mit Angehörigen der Fakultät an zwei weiteren Clusterinitiativen beteiligt: HUMAN Origins und Machine Learning. Darüber hinaus profitieren auch wir schon lange von der Exzellenzstrategie und daraus entstandenen gesamtuniversitären Strukturen: Bestes Beispiel dafür ist die Graduiertenakademie.

Till: Der Exzellenzstatus der Universität macht Zwischenfinanzierungen für Forschungsprojekte und Anschubfinanzierungen für künftige Sonderforschungsbereiche leichter. Über Stipendienprogramme wie Teach@Tübingen kommen junge Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland nach Tübingen und tragen so entscheidend zur Vernetzung, zur Internationalisierung und auch zur Diversifizierung des Lehrpersonals an der Universität bei. 

Zirker: Und nicht zuletzt sind auch die Summer und Winter Schools für Postdocs ein tolles Format mit Mitteln aus der Exzellenzstrategie, für die internationale Expertinnen und Experten nach Tübingen eingeladen werden können.  

Was schätzen Sie persönlich an Tübingen? 

Till: Ich habe drei Jahre in Berlin in Prenzlauer Berg gewohnt – also diagonal auf der anderen Seite Berlins als die FU. Das ist als ob man in Stuttgart wohnt und in Tübingen arbeitet. Tübingen dagegen ist eine Stadt der kurzen Wege. Es gibt hier eine sehr intensive Kommunikationskultur: die Wilhelmstraße rauf und runter, quasi der Flurfunk Tübingens – all das gab es so an der FU nicht, da hat sich alles ein wenig verlaufen und man hat sich viel weniger getroffen. Ich schätze das sehr an Tübingen, und das ist, glaube ich, auch Teil unseres Erfolges. Außerdem ist Tübingen eine ausgesprochen schöne Stadt mit einem wunderschönen Umland.

Zirker: Dass interdisziplinäre Forschung hier völlig selbstverständlich ist. Das habe ich so an anderen Unis nicht erlebt, und ich finde das sehr sympathisch. Es hat wahrscheinlich mit diesen erwähnten Kommunikationswegen zu tun, dass man hier leichter ins Gespräch kommt und daraus – interdisziplinäre – Forschung entsteht. Wir sind beispielsweise beide beteiligt am Sonderforschungsbereich „Andere Ästhetik“, gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus der Geschichtswissenschaft, Archäologie, Musikwissenschaft und Kunstgeschichte.

Die Eingewöhnung in Tübingen fand ich schwierig, denn ich komme nicht aus der Gegend, bin also eine „Neigschmeckte“. Ich gehe unglaublich gern auf dem Wochenmarkt und inzwischen – nach 20 Jahren in Tübingen – kennt man mich dort, man redet mit mir und man weiß, dass ich irgendwie dazugehöre. Es hat vergleichsweise lange gedauert, aber inzwischen fühle ich mich hier wirklich zu Hause. Mir gefällt in Tübingen auch die Nähe zur Schwäbischen Alb und zum Schwarzwald.

Und wie entspannen Sie, wenn Sie nicht im Dienste Ihrer Fakultät oder der Wissenschaft unterwegs sind?

Zirker: Ich kann gut Kraft tanken beim Kochen, Gärtnern und Wandern.

Till: Musikhören, Fahrradfahren, aber auch Fotografieren – das sind Dinge, bei denen ich gut abschalten kann. Aber toll ist es auch, einfach draußen zu sein und etwas zu gärtnern.