Uni-Tübingen

Adventskalender 2016

Schätze aus der Universitätsbibliothek und dem Universitätsarchiv

14. Dezember: „Beglücktes Haus, gesegneter Beruf“

Werbeprospekt der Heilanstalt Bellevue in Kreuzlingen (Universitätsarchiv)

Im Jahr 1857 erwarb der Arzt Ludwig Binswanger (1820-1880) die Villa Bellevue in Kreuzlingen nahe Konstanz, um dort eine psychiatrische Klinik für heilfähige Kranke und Pfleglinge aus den besseren Ständen einzurichten. Nach dem Kauf unternahm er nicht unerhebliche Werbeanstrengungen, um Patienten zu gewinnen. Der erste Werbeprospekt von 1857 zeigt die Anstalt, unmittelbar vor den Toren Konstanz‘ am Ufer des Bodensees gelegen. Mit der Entwicklung der Psychiatrie zu einer medizinischen Disziplin in unserem heutigen Verständnis entstanden auch die ersten spezialisierten Krankenanstalten. Die sogenannten „Irren“ wurden in eigenen Anstalten, den „Irrenhäusern“ untergebracht. Neben den staatlichen Einrichtungen entstanden damals auch eine Reihe privater Anstalten wie die Heilanstalt Bellevue.

Der Gründer Ludwig Binswanger trat nach dem Studium der Medizin in Heidelberg und München 1848 die Stelle eines Assistenzarztes an der Medizinischen Klinik in Tübingen an. Das recht bescheidene Einkommen als Arzt an der Klinik in Tübingen genügte kaum, um den Bedarf seiner Familie zu decken. Als Ihm 1850 die Leitung der Irrenanstalt in Münsterlingen im Kanton Thurgau angeboten wurde, griff er zu. Als es seine finanziellen Verhältnisse zuließen machte er sich mit der Heilanstalt Bellevue selbständig.

In der Anstalt Bellevue verfolgte Binswanger ein durchaus modernes Behandlungskonzept. Die Kranken lebten in einer Art therapeutischer Gemeinschaft mit der Familie des Arztes zusammen. Statt den damals noch üblichen Zwangsmaßnahmen setzte er auf Arbeitstherapie und die geistige Anregung durch Unterricht in Sprachen, Geschichte und Literatur. Die Klinik wurde bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1980 von Mitgliedern der Familie Binswanger geleitet. Insbesondere unter der Leitung der von Ludwig Binswanger dem Jüngeren (1881-1966) entwickelte sich die Einrichtung zu einer Anlauf- und Zufluchtsstelle für das europäische Geistesleben.

Nach der Schließung der Anstalt 1980 suchte man nach einer Möglichkeit die Patientenunterlagen, das Verwaltungsschriftgut der Anstalt Bellevue, den wissenschaftlichen Nachlass von Ludwig Binswanger dem Jüngeren und die Ärztebibliothek unterzubringen. Man wandte sich an das Tübinger Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, das dann den Kontakt zum Universitätsarchiv Tübingen herstellte. Seit 1986 verwahrt das Archiv die Unterlagen aus der Heilanstalt und den Nachlass Binswangers (UAT 441, 441a, 442, 443), die Bibliothek wird im Institut für Ethik und Geschichte der Medizin aufbewahrt. 2002 gelangte auch das Familienarchiv Binswanger (UAT 443a) in die Obhut des Archivs.

Literatur: