Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2015: Forschung

Ressourcen von der Geburt bis zum Tod

Tübinger Ethnologen erforschen in Indien die Bedeutung von Heilpflanzen und Reis

Was macht Pflanzen zu Heilpflanzen? Ist Reis nur ein Lebensmittel? Die Ethnologen Justus Weiß und Heribert Beckmann untersuchen im südost-indischen Bundesstaat Tamil Nadu, wie diese Pflanzen in Kultur und Religion verwurzelt sind und welche ökonomische Bedeutung sie haben. Weiß und Beckmann sind Doktoranden im Sonderforschungsbereich (SFB) 1070 „RessourcenKulturen“ an der Universität Tübingen. Ihr Ziel im Rahmen des SFB: verstehen, wie „Ressourcen“ im Kontext geschichtlicher Veränderungen ‒ wie Globalisierung, Postkolonialismus und Modernisierung ‒ neu definiert und genutzt werden. Besonders spannend ist dabei, ob sich die Ergebnisse dieses Projektes, die ja auf Indien fokussieren, auf andere Regionen übertragen lassen.


Justus Weiß beschäftigt sich mit der sogenannten Siddha-Medizin, verwandt mit Ayurveda. „Ich versuche zu beschreiben, welche Vorteile die traditionelle Medizin in der Therapie breiter Bevölkerungsschichten bietet“, sagt Weiß. Ein Beispiel ist die Heilpflanzenmischung Nilavembu Kudinir. Sie erwies sich im Kampf gegen virale Fiebererkrankungen wie Dengue und Chikungunya als so erfolgreich, dass inzwischen auch das staatliche Gesundheitssystem die Mischung verwendet. „Wird die Wirksamkeit einer traditionellen Heilpflanze naturwissenschaftlich bestätigt, steigen ihre Popularität und ihr Preis“, beschreibt Weiß die Folgen dieser Entwicklung.

„Der Reis verbindet die Menschen mit ihrer Umwelt“, sagt Heribert Beckmann: mit der Natur, den sozialen Schichten und der Religion. Beckmann untersucht am Beispiel eines Dorfes die Bedeutung des Reises. Ein wichtiger Einschnitt war die sogenannte „Grüne Revolution“ der Landwirtschaft in den 1960er Jahren. Doch die ländliche Bevölkerung macht deren Maßnahmen, allen voran den neuen Dünger, inzwischen für die Ausbreitung von Diabetes und Herzerkrankungen verantwortlich. Das ist wissenschaftlich nicht erwiesen, dennoch ändert sich dadurch die Sicht auf den Reis.

Zugleich sorgt der Reis für eine soziale Differenzierung: Die Schichten unterscheiden sich unter anderem an der Qualität des Reises, den sie konsumieren. Nur in der Religion wird nicht gespart: „In fast jedem Ritual wird Reis verwendet“, sagt Beckmann. So bekommen Gottheiten und Ahnen Reisgerichte dargeboten. Aber auch den Menschen begleitet das Getreide rituell vom Säuglingsalter bis zu seinem Tod.

Jörg Schäfer

Über seine Erfahrungen in der Feldforschung berichtet der Ethnologe Heribert Beckmann in einem Vortrag „Feldtagebuch: Ethnologische Forschungen in Indien“ beim 2. Tübinger Fenster für Forschung (TÜFFF) am 8. Mai um 17:00 im Hörsaal N1, Mensa Morgenstelle.