Wie ein Zuckercode auf der Bakterienoberfläche den Austausch von Resistenzgenen steuert
Evolution bakterieller Infektionserreger: Wie ein 'Code‘ aus Zuckerstrukturen auf der Bakterienoberfläche den Austausch von Resistenz- und Virulenzgenen steuert
Infektionen durch Antibiotika-resistente Bakterien sind die Ursache für viele tausend Todesfälle in Deutschland und eine der häufigsten Todesursachen weltweit. Da sich immer neue resistente Bakterien ausbreiten, von Pharmafirmen aber immer weniger neue Antibiotika entwickelt werden, ist zu befürchten, dass ein großer Teil der Infektionen in wenigen Jahren kaum noch therapierbar sein wird. Für die rasante Ausbreitung der Resistenzen und die Entstehung neuer, hoch pathogener Erregerstämme, spielt die Fähigkeit der Bakterien, Gene auszutauschen, eine besondere Rolle. Durch welche Mechanismen auch kaum verwandte Bakterien Gene ‚horizontal‘ austauschen können, ist bislang noch kaum verstanden. Tübinger Wissenschaftler haben nun herausgefunden, wie ein Code aus variablen Zuckerstrukturen an der Bakterienoberfläche darüber bestimmt, mit welchen anderen Mikroorganismen pathogene Staphylokokken genetisches Material austauschen können.
Staphylococcus aureus ist einer der häufigsten Erreger von Haut- und Wundinfektionen, die oft zu systemischen, lebensbedrohlichen Blutvergiftungen führen. Es entstehen ständig neue Erregerstämme mit neuen Kombinationen von Resistenz- und Virulenzgenen, die sich rasch weltweit ausbreiten und die Infektionsmedizin vor wachsende Herausforderungen stellen. Oft scheinen die neuen Gene aus anderen Bakterienarten zu stammen, mit denen S. aureus offenbar genetisches Material ausgetauscht hat. Das Tübinger Team um Volker Winstel, Guoqing Xia und Andreas Peschel hat nun im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten SFB766, Transregioverbunds TRR34 sowie des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung herausgefunden, dass S. aureus unter bestimmten Bedingungen sehr leicht und effizient Gene mit anderen Bakterienarten austauschen kann. Entscheidend ist dafür, dass DNA-Donor und Rezipient ähnlich aufgebaute Glycostrukturen, sogenannte Teichonsäuren, auf ihrer Oberfläche tragen. Teichonsäuren haben sehr variable Zusammensetzungen, die von Bakterien-spezifischen Viren, den Bakteriophagen, als Erkennungsstrukturen genutzt werden. Manche Bakteriophagen haben die Fähigkeit, DNA zwischen verschiedenen Bakterienstämmen zu transferieren und ermöglichen so die Evolution neuer Erregerstämme.
Die Tübinger Wissenschaftler fanden nun heraus, dass Bakteriophagen genetisches Material auch zwischen kaum verwandten Bakterienarten transferieren können, wenn diese ähnliche aufgebaute Teichonsäuren tragen. So konnten bestimmte S. aureus-Stämme DNA mit Listeria monocytogenes und Staphylococcus epidermidis austauschen, die ähnliche Teichonsäuren bilden, nicht aber mit Enterokokken, die andere Zuckerbausteine verwenden. Diese Erkenntnis ist überraschend, denn die Bakteriophagen können sich in anderen Bakterienarten nicht vermehren. Die aktuelle Arbeit zeigt jedoch, dass sie sehr wohl DNA in andere Arten einbringen können und zwar in hoch effizienter Weise. Bei ihrer Forschung stießen die Wissenschaftler zudem auf besondere S. aureus-Stämme, die ihre Teichonsäuren so verändert hatten, dass sie mit anderen S. aureus keine DNA mehr austauschen können, wohl aber mit ganz anderen Bakterienarten. Diese neue S. aureus-Linie namens ST395 scheint sich also evolutionär abgekoppelt zu haben und auf dem Weg zu einer neuen Erregerspezies zu sein.
Diese Erkenntnisse helfen zunächst einmal, zu verstehen, welche Mechanismen die Evolution neuer Erreger steuern. Sie helfen aber auch bei der Einschätzung, wie wahrscheinlich der genetische Austausch zwischen bestimmten Bakterienarten in der Zukunft sein wird und wie schnell sich ein bestimmtes neues Resistenzgen unter pathogenen Bakterien vermutlich ausbreiten kann. Neue Antiinfektiva, die die Biosynthese von Teichonsäuren blockieren, könnten in der Prävention und Therapie bakterieller Infektionen eine große Bedeutung erlangen. Auch diesem Fernziel widmen sich die Tübinger Wissenschaftler mit ihrer Forschung.
Titel der Originalpublikation:
Winstel V, Liang C, Sanchez-Carballo P, Steglich M, Munar M, Bröker BM, Penade JR, Nübel U, Holst O, Dandekar T, Peschel A, Xia G (2013) Wall teichoic acid structure governs horizontal gene transfer between major bacterial pathogens. Nature Communications. In press
Weitere Publikation zum Thema:
Xia G, Wolz C. (2013) Phages of Staphylococcus aureus and their impact on host evolution.
Infect Genet Evol. 2013 May 6. doi:pii: S1567-1348(13)00171-8. 10.1016/j.meegid.2013.04.022
Kontakt:
Prof. Dr. Andreas Peschel
07071- 2981515, andreas.peschelspam prevention@uni-tuebingen.de
Dr. Guoqing Xia
07071-2981514, guoqing.xiaspam prevention@med.uni-tuebingen.de
Volker Winstel
07071-2981514, volker.winstel@med.uni-tuebingen.de
Interfaculty Institute of Microbiology and Infection Medicine
Cellular and Molecular Microbiology Unit
University of Tübingen
Elfriede-Aulhorn-Strasse 6
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