Fernsehinterview mit Prof. Andreas Peschel
Panorama 3 Nr.35 vom 10.09.2013
Antibiotika: Wunderwaffe bald wirkungslos?
Anmoderation
Susanne Stichler:
Wie oft haben Sie es schon verschrieben bekommen? Ein, zwei Mal oder viel, viel häufiger? Die Rede ist von Antibiotika. Fakt ist: Viel zu oft wird dieses Medikament verschrieben, obwohl es gar nicht notwendig wäre. Die Keime freut‘s, sie werden einfach resistent. Und das kann für uns alle lebensgefährlich werden. Denn vor 70 Jahren war Antibiotika die Wunderwaffe, die Keule gegen Bakterien. Aber die Waffe ist stumpf geworden und neue Wirkstoffe sind nicht in Sicht, die Forschung stockt.
Die tägliche Spülung ihrer Galle – für Alexandra Abraham gehört sie dazu. Zum Kampf gegen die multiresistenten Keime in ihrem Körper. Weil nach einer Transplantation ihre Leber nicht richtig funktioniert, staut sich Gallensekret. Optimale Bedingungen für gefährliche Bakterien. Bricht die Infektion aus, bekommt Alexandra Abraham Fieberschübe. Helfen kann ihr dann nur noch eine einzige Antibiotikagruppe.
O-Ton
Alexandra Abraham:
„Als ich erfahren habe, dass ich multiresistente Keime habe, da war mir erst mal glaube ich die Bedrohung gar nicht so bewusst. Sondern das kam erst später, dass ich gemerkt habe, dass es wirklich so ist, dass mir jetzt nur noch eine Gruppe an Antibiotikum bleibt. Und dass es danach einfach nichts mehr gibt, zum jetzigen Zeitpunkt.“
Die Zeit läuft - das weiß auch ihr Arzt. Patienten wie Alexandra Abraham kann er nur
begrenzt helfen.
O-Ton
Dr. Stefan Schmiedel, Arzt:
„Tatsächlich ist es so, dass von den Standartantibiotika, die wir so im Krankenhaus einsetzen, nur noch eine einzige Antibiotikagruppe übrig ist, die wir jetzt regelmäßig zur Notfalltherapie einsetzen, wenn Infektionen wieder explodieren und die bisher gut geholfen haben. Wir machen das alle in dem Wissen, dass auch diese Antibiotikagruppe früher oder später versagen wird.“
Durch den sorglosen Umgang von Ärzten und den massiven Einsatz von Antibiotika in der Fleischproduktion entwickeln Bakterien rasend schnell Resistenzen. Die Folge: Die einstige Wunderwaffe wirkungslos.
Der Mikrobiologe Andreas Peschel warnt vor dramatischen
Zuständen:
O-Ton
Andreas Peschel,
Mikrobiologe:
„Es kann durchaus sein, dass wir in zehn oder fünf Jahren bereits in einer Situation sind wie wir vor dem 2. Weltkrieg waren, wo wir keine Antibiotika hatten. Wo wir an simplen, bakteriellen Infektionen sterben können.“
Verhindern könnten dies nur neue Wirkstoffe. Doch ihre Entwicklung dauert Jahre – kostet bis zu einer Milliarde Euro. Für Pharmafirmen ein unsicheres Geschäft. Viele haben sich aus der Forschung zurückgezogen.
O-Ton
Andreas Peschel,
Mikrobiologe:
„Bei Antibiotika haben wir das Problem, dass diese Wirkstoffe einen Patienten gesund machen können. Innerhalb von ein oder zwei Wochen kann man, wenn man Glück hat, gesund sein. Das ist schlecht für die Gewinne einer Pharmafirma. Das klingt zwar zynisch, aber so ist es nun mal. Weil Antibiotika eben keine Langzeittherapie implizieren, ist es für Firmen wenig attraktiv. Man investiert eher bei chronischen Erkrankungen.“
Keine Aussicht auf Gewinne – deshalb kaum neue Entwicklungen. Offenbar die Logik der Pharmafirmen. Beim Deutschen Zentrum für Infektionsforschung arbeitet Andreas Peschel. Nur bescheiden finanziert vom Staat, sucht er nach neuen Antibiotika-Wirkstoffen. Doch die Chancen auf Erfolg – sie sind gering.
O-Ton
Andreas Peschel,
Mikrobiologe:
„Wir werden erst in fünf, sechs Jahren wissen, ob wir wirklich auf dem richtigen Weg sind. Und von zehn, 20 interessanten Wirkstoffen, die man vielleicht gefunden haben wird, werden wir froh sein, wenn einer am Ende sich durchsetzt und tatsächlich zu einer neuen Wirkstoffklasse führt. Und auf dem Niveau mit dem wir im Moment starten, können wir keine Wunder vollbringen.“
Dabei könnte Alexandra Abraham so ein Wunder gut gebrauchen. Für die Untätigkeit der Pharmaindustrie hat sie kein Verständnis.
O-Ton
Alexandra Abraham:
„Ich finde es traurig, dass keine Forschung schon stattgefunden hat, beziehungsweise weiter vorangetrieben wird im Bezug auf Antibiotikum und Keime und wie man denen sozusagen sonst noch den Garaus machen kann. Weil ich denke, dass insgesamt auch das Gesundheitssystem immer da drauf aus ist, Kosten einzusparen, Gewinne einzufahren und ich bin immer der Meinung, dass man mit Patienten, mit Krankheit, keine Gewinne machen kann.“
An der Uniklinik Schleswig-Holstein sucht man jetzt nach Auswegen aus der Misere. In Kiel und Lübeck soll der Antibiotika-Verbrauch massiv gesenkt werden. Im Rahmen eines Pilotprojektes nehmen Ärzte, Apotheker und Mikrobiologen jeden Patienten gemeinsam unter die Lupe. Die alles entscheidende Frage: Ist die Vergabe alternativlos?
O-Ton
Dr. Anette Friedrichs,
Ärztin:
„Das Positive für den Patienten ist, dass einfach seine Antibiotikatherapie aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet wird. Das heißt zum einen aus dem klinischen: Ist das notwendig, ja oder nein. Zum anderen aus dem pharmazeutischen: Welche Nebenwirkungen gibt es mit den
anderen Medikamenten, die der Patient bekommt. Und aus dem mikrobiologischen
Blickpunkt, dass eben der Erreger auch noch mit einbezogen wird.“
Im Krankenhaus ist so ein neues Problembewusstsein entstanden. Andere Kliniken zeigen bereits Interesse an dem Projekt. Die Hoffnungen sind groß.
O-Ton
Dr. Anette Friedrichs,
Ärztin:
„Wenn sich ein solches Programm flächendeckend über mehrere Jahre durchsetzen kann, dann kann das einen sehr guten Einfluss auf den Antibiotikaverbrauch und auch die Resistenzsituation haben. Sowohl im Krankenhausbereich als auch im ambulanten Bereich beim niedergelassenen Kollegen.“
Den Antibiotikaverbrauch konsequent senken – ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Trotzdem müssen neue Wirkstoffe her, sonst könnten bald wieder Menschen an simplen Infektionen sterben.
O-Ton
Andreas Peschel,
Mikrobiologe:
„Wir müssen viel aktiver und konsequenter mit der Pharmaindustrie zusammen agieren und überlegen wie wir dort wieder Anreize schaffen können, um die Antibiotikaentwicklung auch bei den Firmen wieder attraktiver zu machen. Und wir können neue Wege gehen wo staatliche Stellen mit den Firmen gemeinsam in so genannten Public-Private-Partnership-Projekten die Entwicklung vorantreiben.“
All das kostet Zeit. Zeit, die Alexandra Abraham nicht hat. Versagt auch die letzte
Antibiotikagruppe kann nur eine neue Leber sie retten. Im schlimmsten Fall könnte sie an den Resistenzen sterben.
O-Ton
Alexandra Abraham:
„Das weiß meine Familie auch. Da sind wir auch bis jetzt immer offen mit umgegangen. Wir haben auch für den Fall alles abgeklärt. Das heißt wir waren beim Notar, wir haben sozusagen alles für uns geklärt was zu klären ist, wenn man stirbt. Und das ist schon was, was man auch im Blick behalten muss. Was natürlich, was man immer hofft, was nicht passiert. Aber das ist natürlich so, dass das auch so ausgehen kann und das ist uns bewusst.“
Abmoderation
Susanne Stichler:
Natürlich haben wir bei diversen Pharmafirmen nachgefragt, warum sie nicht neue Antibiotika entwickeln. Ergebnis: Das koste eben zu viel, und Zulassungsverfahren für neue Medikamente in Deutschland seien zu kompliziert. Immerhin: Das Bundesforschungsministerium hat nun Projekte gestartet, um nach neuen Wirkstoffen zu suchen. Alle Infos finden Sie im Netz unter: ndr.de/panorama3
Autoren: Philipp Hennig
Kamera: Roman Hauska, Boris Mahlau, Ulrike Schede
Schnitt: Dennis Hoffmann, Stefanie Blasch-Freels